In jenem Sommer – Kritik

Die Früchte des erneuten Hinsehens: Göran Hugo Olssons Found-Footage-Film In jenem Sommer bringt uns zurück zu alten Bekannten. Ein bittersüßes Geschenk.

Im Sommer 1972, in jenen sonnigen golden days, sind sie noch alle beisammen, die es bald darauf nicht mehr sein werden. Die Hautevolee aus Kunst und Glamour, die Gesichter aus Warhols Factory, Mike und Bianca Jagger, Truman Capote, Jackie Kennedy und ihre Schwester Lee Radziwill verbringen gemeinsame Zeit in Montauk, New York, schießen Fotos und Filme, haben Spaß. Die suspendierte Zeitlichkeit der Muße wird hier eins mit der Kunstproduktion, die wie beiläufig zwischen Badesessions und Cocktails immer weiter vonstattengeht. Lee Radziwill und dem Fotografen Peter Beard kommt die Idee, einen Film über Lees Tante und Cousine zu drehen. Sie brechen auf nach East Hampton, New York, wo Big Edie und Little Edie nun schon lange in Abschottung von der Welt wohnen. Die beiden verbringen viel Zeit dort, machen Aufnahmen, aus denen nichts wird. Die Brüder Albert und David Maysles übernehmen das Projekt, und 1975 entsteht der inzwischen zum Klassiker des Direct Cinema gewordene Grey Gardens. Aber das nicht verwendete Material von 1972, es ist nicht verschollen gegangen. Göran Hugo Olsson montiert daraus In jenem Sommer, verdichtet es mit den Super 8-Aufnahmen von Jonas Mekas und Andy Warhol sowie den Stimmen von Peter und Lee, aus dem heutigen Off gesprochen.

Wahr-schön, nicht falsch-schön

Peter und Lee in East Hampton: Sie finden das Haus, das einmal zu den reichsten gehörte, verwildert und verwahrlost. Vor und aus ihm wachsen Bäume, die Wände verrotten, marodes Mobiliar, bis zu den Löchern durchgelegene Matratzen. Das Haus schellt sich schön im analogen Bild, wahr-schön, nicht falsch-schön, Schichten zeigen sich hinter anderen Schichten. Stapelweise liegen Stoffe und Kissen herum, Bücher, Souvenirs, Fotos, Postkarten, Schnipsel und Reste, säckeweise Müll und was sonst noch alles in charmanter Unordnung. Katzen auf Schritt und Tritt. Draußen – ein verwunschener Garten, ein Sessel steht im Schatten der Bäume, eine von Mutter und Tochter geteilte Fantasiewelt, geflochten aus Liedern und Träumen, verziert mit Perlen vergangener Zeit. In jenem Sommer ist ein Sommer der Frauen. Lee, schön und anmutig, forscht nach der eigenen Familiengeschichte. Die beiden Edies entdecken die Kamera, kokettieren mit und performen für sie, ziehen Grimassen, sind verstellt unverstellt. Have you seen my lipstick, Edie? Keep losing it all the time! Hinter der Exzentrik kommen Anzeichen mentaler Störungen zum Vorschein, die Gesichter öffnen uns das Herz, gefilmt wurde alles sehr delikat. Gesprochen wird ständig, vielmehr einander zugerufen: die ein wenig südstaatenhaft gedehnte Stimme von Little Edie, die hohe singende von Big Edie (Was ist French enough for you, sweetie?), Lees Stimme aus feinstem Samt und die sachte von Peter.

Keeping the pen going

Peters Haus in Montauk ist inzwischen so eins, in dem sich Erinnerungen stapeln. Zurück in unserer Zeit kniet er dort auf dem Boden, ordnet Fotos, Postkarten, Zeitungsschnipsel zu einer Collage, das ist seine berühmte Tagebuchtechnik, keeping the pen going, nennt er das. Diese Technik ist dem Verfahren von Olsson nicht ganz unähnlich, der das Material seinerseits sehr zurückgenommen und durchsichtig zusammenfügt, Filmrolle nach Filmrolle. Ein kluger und sensibler Filmemacher, mit einem Faible für lange Prologe. Das Flackern und die typische Körnigkeit des Analogen machen ihr Ding. Am Schluss sagt Peter, dass der Sommer 1972 im Zeichen des warmen Beisammenseins stand, ein Sommer, an dem einfach alles stimmte.

Und es fragt sich also, was Göran Olsson an diesen Bildern und Menschen so dringlich erschien, wo doch keine Themen von großer Brisanz daran auszumachen sind, wie sie seine Arbeiten bisher prägten. Beim genauen Hinsehen entsteht aus dem, was ans Sentimentale grenzt, doch ein Zeitdokument und ein Erinnerungsstück, das tief ins Fleisch schneidet. Das Schmerzende an der Nostalgie – das griechische álgos – handelt vom Abhandenkommen der Konzepte. Ein zweites Hinsehen, eine erneute Lektüre des bereits Vorhandenen lassen uns ins Fragen und ins Denken kommen. Wo sind die Gewissheiten, wo ungetrübte Unschuld, wo die Akzeptanz statt dem unverbindlichen Wohlwollen? Mit Lee und Peter kommen Handwerker, man räumt auf, setzt die Wasserleitungen in Stand, fixing things, denn die Schönheit ist äußerst vergänglich. Heute trägt man lieber Ambivalenzen, aber auch sie sind inzwischen nur blasse Klischees. Die Fragen stellen sich, Dissense schmerzen, die Antworten müssen weitergesucht werden. Für die eigene extensive Landwirtschaft des Fragens hat Olsson, so scheint es, zumindest seine passende Technik bereits gefunden. In jenem Sommer, ein bittersüßes Geschenk.

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