Taste of Cement - Der Geschmack von Zement – Kritik
Syrien verlassen, um Beirut aufzubauen: Ziad Kalthoum macht in Taste of Cement den Rohbau zum Akteur.

Es kreischt und rumort unaufhörlich im Wolkenkratzer. Aufzugtüren knallen, gedrängte Männergruppen surren dicht an dicht an gerade entstehenden Stockwerken vorbei. Ihr Werk wird Luxus bieten, dessen Genuss seinen Erschaffern vorenthalten bleiben wird. Zwischen Schichten hausen sie in feuchten Verschlägen, ein paar Stockwerke unter der Baukrone. Nach 19 Uhr haben sie Hausarrest. Sie sind toleriert, weil sie Gastarbeiter sind und Tag für Tag ihre Knochen dem Tower opfern. Immerhin besser als Krieg.

Die Einzigartigkeit jedes Mannes verliert sich völlig zwischen Auftrag, Helm und Schuhen. Wie Ameisen wimmeln sie auf der Gebäudespitze umher, füttern sie an, lassen die schleichende Aufwärtsbewegung erahnen. Gezeigt wird, was nicht zu sehen ist. Es tropft, Kräne ächzen, dazwischen stille Räume, die gerade erst entstehen. Die nie wieder so unfertig aussehen, so frei von Raumgreifendem sein werden. In ihrer Askese gleichen sie den Arbeitern, die wohlgepflegt sind, schweigsam, spartanisch, wartend anmuten. Regisseur Ziad Kalthoum lässt sie nicht zu Wort kommen in Taste of Cement, doch jede ihrer Gesten sagt, dass ihre Leben eigentlich anders sind. Erst in den Überblendungen nach Syrien, wenn alle schreien, weil Kinder lebendig in eingestürzten Häusern begraben werden, hört man ihresgleichen reden. Anklagend, flehend, wahnsinnig.
Der Klang von Schutt und Asche

Eine Stimme begleitet bedacht aus dem Off, greift Fäden auf, erzählt tieftraurig vom früher und heute. Sie gehört einem Arbeiter, der als Kind das Meer auf der Küchentapete sah, träumte. Der den Vater roch, wenn er nach Hause kam, und den Zement, der aus all seinen Poren zu strömen schien. Auch dieser Vater hatte Syrien verlassen, um Beirut aufzubauen, in der Hoffnung, seinem Sohn mehr bieten zu können. Doch der ist auch in Beirut, schmeckt Zement und hat vom Meer kaum mehr als Wind. Weil Syrien zerstört ist und der Krieg noch tobt. Weil es keine gute Arbeit für Flüchtlinge gibt, aber in Beirut Wolkenkratzer gebaut werden. Weil Entscheidungsfreiheit Luxus ist. Die Arbeiter ziehen stets dem Krieg hinterher, dringt die Weisheit des Vaters ins Off. Eines Tages wird er nach Hause zurückkehren und mit dem Wiederaufbau seines eigenen Landes beschäftigt sein. In unerträglichen Sequenzen rattern Panzer durch Straßen, schießen Raketen in die Nacht, zerstören planmäßig jedes Gebäude einer Stadt. Hunderte, Menschen, Mütter, Väter, Kinder, Syrer stehen um eine Ruine, graben mit Papptellern im Schutt nach Angehörigen, flehen um Gottes Gnade. Zement wirbelt durch die Luft.
Krieg und Weltwirtschaft sind Wolkenkratzer. Die Unvermeidbarkeit ihrer Gesetze erdrückt alles Lebendige. Kalthoum bindet diese Ohnmacht, macht den Rohbau zum Akteur. Springt sprachlos in den Krieg und mit den Menschen in die tödliche Nacht. Wo Worte nicht mehr helfen, beginnt die Möglichkeit von Empathie.
Der Film ist zu lang, die Welt ist zu grausam, mancherorts, immer wieder, niemand kann behaupten, nichts gewusst zu haben. Über das Leben der Ausgebeuteten. Die Macher widmen ihnen ihr Werk, den Gastarbeitern aller Welt. Als Zuschauer verbleibt man gerührt und erschlagen.
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