Talking Money - Rendezvous bei der Bank – Kritik

Macht der Form, Form der Macht: Sebastian Winkels Dokumentarfilm Talking Money lässt das Publikum nicht nur auf der Seite der Banker Platz nehmen, sondern auch einen Teil ihrer Arbeit erledigen.

„Über Geld spricht man nicht“, sagt eine Redewendung, und vielleicht ist der Glaube an diesen Satz der Grund, warum sich so ein Durcheinander an Begriffen in die Welt der Finanzen eingeschlichen hat. „Sichtakkreditive“, „Konzernlimit“ oder „TAF“ sind nur einige, die einem in Sebastian Winkels neuem Film Talking Money begegnen. Tatsächlich firmieren Filme über die Bankenwelt häufig unter eben diesem Vorzeichen der Undurchsichtigkeit. Cashflows als Vorgänge, die höchstens abstrahiert bebildert werden können: Montagesequenzen, Zahlen, die fliegen, Scheine, die durch Zählmaschinen laufen, Finger, die wählen und tippen. Ein filmischer Topos, der durch die selbstreferenzielle Reflexion neuerer Werke nur noch bekräftigt wird. Ob da nun Leonardo DiCaprio als FilmWolf of Wall Street (2013) die Offenlegung seiner Machenschaften gegenüber den Zuschauern abbricht („I know you’re not following anyway“) oder Adam McKay in The Big Short (2015) im Stil eines prominent besetzten Testimonial-Erklärvideos wichtige Begriffe der Branche vereinfacht erläutert: Solche überzeichneten Szenen setzen die grundsätzliche Opazität von Finanzwelten im Kino schon voraus.

Opake Form

Winkels Film ist zwar keineswegs überzeichnet, scheint dieser Tradition aber erst mal auch nichts entgegensetzen zu wollen. Talking Money hat auf den ersten Blick kein vornehmlich aufklärerisches Interesse, bringt kaum Licht in die dunkle Intransparenz der Banken – und das, obwohl er sich direkt in sie hineinbegibt: Winkels hat Finanzinstitutionen in insgesamt acht Ländern besucht und dabei 15 Gespräche zwischen Kunden und Bankern gefilmt. Ob Bolivien, Deutschland, Schweiz, Georgien, Benin, Pakistan, Italien oder die USA, die nüchterne Kamera steht stets auf der Banken-Seite des Tisches. So kadriert, dass unser Blick die Banker und Bankerinnen selbst meist nur als dunkle zitternde Schulter am Bildrand erkennt und aus ihren Stimmen eine körperlose, geradezu geisterhafte, rein ästhetisch eben opake Erscheinung macht.

Die Bank als soziales Verhältnis

So verhüllt die Banken hier wieder erscheinen, so explizit ist im selben Bildkader auch das eigentliche Interesse des Films eingeschrieben. Der Blick gibt die Richtung vor, und er fällt stets auf die Kunden und Kundinnen. Winkels beobachtet sie starr, schwenkt nur mit, wenn mal jemand aufsteht. Vor allem aber beobachtet er sie geduldig: beim Zuhören, wie sie selbst Geduld beweisen müssen, mal mehr, mal weniger aufgeregt warten, wie sie argumentieren, manchmal auch streiten, Missverständnisse aus dem Weg räumen, öfter nachfragen, wie sie nachdenken – und vor allem sich selbst offenbaren. Letzteres als Strategie, um ein Anliegen (meist ist es ein Kredit) bewilligt zu bekommen: Eine italienische Familie, die die Schulden eines verstorbenen Mitglieds bereinigen will, um nicht in Verruf zu geraten. Das Eingeständnis der Angst, in Zukunft arbeitsunfähig zu werden, um die richtige Versicherung bei der Sparkasse zu bekommen. Oder das absehbare Ableben eines Familienmitglieds, das eine vorzeitige Verwaltung des Vermögens nahelegt. Schnell findet man sich als Zuschauer in der Position wieder, die dabei entstehenden Gesten zu bewerten, sich zu ihnen zu verhalten – und damit einen beträchtlichen Teil der Arbeit der Bank zu übernehmen. Der Film betreibt damit dann doch zumindest insoweit Aufklärung, als er uns nicht nur auf der Seite der Bank Platz nehmen lässt, sondern das Marx-Zitat vom Filmbeginn spüren lässt: „Money is not a thing, it is a social relation“.


Macht der Form, Formen der Macht

Talking Money ist also ein Film der Verhältnisse, und zuallererst einer der Machtverhältnisse. Einfach weil diese jeder Gesprächssituation zwischen Kunden und Banker zugrunde liegen und so das Gezeigte strukturieren. Dass dieser Film dabei in keinem Moment langweilt, liegt daran, dass er seine Orte, Situationen und Einstellungen nicht einfach nebeneinander stellt, sondern aufeinander bezieht, vor- und rückgreifen lässt, ineinander verwebt. Mit anderen Worten: das Machtverhältnis in jeder neuen Einstellung nicht einfach wiederholt, sondern immer präziser ausdifferenziert, ja durch seine Form verschiedenste Erscheinungen der Macht beschreibt. Macht etwa als Abhängigkeitsverhältnis: Wenn eine Frau immer wieder um Verlängerung der Rückzahlungsfrist bittet und betont, dass sie an dieser Situation keine Schuld trägt, sondern ihr Ex-Mann. Und ein paar Szenen später eine andere gut gelaunt ihre Investitionspläne auslotet, indem sie vorher locker aus dem Leben plaudert.

Macht aber auch nicht nur, die der Gesprächssituation direkt entspringt, sondern die der Zuschauer selbst mitbringt. Gerade weil Winkels bis zum Schluss keine Ortsangabe macht, sind die eigenen kulturellen, sozialen und religiösen Prägungen die einzigen Koordinaten, von denen aus man sich zu den Bildern des Films verhält: Gibt es Differenzen zwischen den Ländern? Gibt es Ähnlichkeiten? Wie viel davon ist dem Film eingeschrieben? Wie viel davon entsteht durch einen selbst? Talking Money spricht diese Fragen nicht aus, aber provoziert sie allein durch seine elliptische Ästhetik.

Und natürlich auch Macht, die sich als Verhältnis des Wissens und Selbstvertrauens ausdrückt. Als Situation, in der immer jemand eine übergeordnete Expertenrolle einnimmt, während jemand anders sich belehren lässt. Mal weniger ausgeprägt: Ein Kunde in Karachi kommt mit den Worten: „Hör dir alles an, dann ist klar, was ich brauche“, an den Tisch. Mal viel stärker: Der Sparkassenkunde lässt sich seine Versicherungsbeträge vorrechnen und kann dabei nur zögerlich „mhm“ brummen – bis er am Ende einen Gedanken ausspricht, der bei diesen Film qua seines Themas dann so ähnlich doch immer wieder aufkommt: „Wenn ich mir das jetzt durchlese, ich würde es eh nicht verstehen.“

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