Kirschblüten und rote Bohnen – Kritik
Naomi Kawase kehrt von den erhabenen Landschaften der japanischen Subtropen zurück in die Stadt – und sucht das Ewige nicht mehr im Ozean, sondern in der Küche.

An heißt dieser Film auf Japanisch: kürzestmögliche Verbindung von Buchstaben, die deshalb umso geeigneter ist für semantische Aufladungen. Der internationale Titel, der freilich höchstens eine Annäherung sein kann, entbehrt im Vergleich mit seinem Original nicht einer gewissen Komik: Sweet Red Bean Paste. Hier wird nicht nur übersetzt und übertragen, sondern ein Gegenstand, vom dem – zumindest für Regisseurin Naomi Kawase – etwas Magisches, etwas Erhabenes ausströmt, auf seinen ganz profanen Begriff gebracht. Süße rote Bohnenpaste. Sie ist so etwas wie der MacGuffin des Films, nicht als Fluchtpunkt von Suspense, sondern von Drama, einem Drama, das etwas sehr bekömmlich beginnt und schließlich zwar noch weit wegführt, aber nur in tief ausgetretenen Pfaden.
Liebe in der Küche

Die Transzendenz, die Kawase in ihrem letzten Film Still the Water in den Landschaften der subtropischen Insel Amami-Oshima gesucht (und gefunden zu haben behauptet) hat, versteckt sich nun im Essen, oder besser gesagt: im Prozess der Zubereitung. Denn An zuzubereiten ist ein Akt der Liebe; ein Akt, den Sentaro (Masatoshi Nagase) nicht ausführen kann, weil ihm die Zeit fehlt, und seine Augen sagen, dass ihm wohl auch die Liebe irgendwann abhanden gekommen ist. So beschränkt sich der Besitzer des Dorayaki-Ladens darauf, Pfannkuchen zu braten, die zugehörige Füllung lässt er liefern. Die schmeckt ihm selbst zwar auch nicht so richtig – noch keinen ganzen seiner Dorayaki hat er bislang verspeisen können, gesteht er einmal –, aber Geschäft ist eben Geschäft.
Die Bohnenflüsterin

Aus der Perspektive der Ewigen geht das natürlich gar nicht. Diese Perspektive nimmt in Kirschblüten und rote Bohnen die alte Tokue (Kirin Kiki) ein, die sich eines Tages bei Sentaro als Küchenhilfe bewirbt. Der lässt sich durch die rührende Bescheidenheit der alten Dame zwar bald von spontaner Ablehnung zu vorsichtiger Skepsis besänftigen, gänzlich überzeugt ist er aber erst, als er Tokues selbstgemachtes An probiert. Man ahnt es schon: Die Kunden stehen an der unscheinbaren Bude bald Schlange. Etwas gefällig kommt dieser erste Teil des Films zwar daher, und Kawases Romantik des Konstanten und Ursprünglichen gegenüber dem Neuen und Modernen bekommt im Clash zwischen der geduldigen An-Zubereitung per Hand und der Massenproduktion von süßer roter Bohnenpaste ein allzu leicht bespielbares Feld bereitgestellt. Aber weil Tokue nicht auf ein Symbol reduziert bleibt, sondern zugleich eine pfiffige alte Frau ist, machen die Szenen mit ihr und Sentaro, der sich ständig angesprochen fühlt, wenn Tokue doch eigentlich mit ihren Bohnen spricht, durchaus Spaß.
Einen ganzen Film trägt diese Konstellation aber nicht, und so folgt Kawase der dem Film zugrunde liegenden Romanvorlage auch in die sich nun einschleichenden Konflikte. Kirschblüten und rote Bohnen wird dabei in eine zunehmend konventionelle Dramaturgie überführt, bei der man sich zur narrativen Freiheit eines Still the Water – ganz zu schweigen von Kawases früheren Filmen – zurücksehnt. Die Schwere ihres letzten Films scheint die Regisseurin mitnehmen zu wollen, doch diese Last trägt nun nicht mehr die Naturpoesie von Still the Water, sondern eine gerade im letzten Teil mit allen Arthousewassern gewaschene Geschichte. Zu Tokue und Sentaro gesellt sich dabei noch Sentaros Nichte Wakana (Kyara Uchida), die als treuen Begleiter eine treue Metapher mit sich herumträgt: den Vogel im Käfig.
Das Schmecken des Kinos

Noch auf eine ganz andere und ziemlich offensichtliche Weise ist Kirschblüten und rote Bohnen ein unbefriedigender Film. Im Kino schmeckt man eben nicht. Die Magie der Paste bleibt behauptet, das Auge isst allein. Doch lässt sich gerade diese Verweigerung des unvermittelten Genusses auch als masochistischer Kern des Kinos fassen, in dem es eben nicht ums Glück geht, sondern ums Begehren; nicht ums Essen, sondern um den Appetit. Die süße rote Bohnenpaste als schon immer verlorenes Objekt der Begierde, dazu passt auch das ungleiche Signifikanten-Duo aus den beiden Filmtiteln schon fast wieder. Umso bedauerlicher also, dass Kawase diesen zunächst leise angelegten und mit An-Sehnsucht getränkten Film während seiner viel zu langen Laufzeit in Richtung allerlei emotionaler Höhepunkte steuert – die als bloße Platzhalter fürs Ewige dann doch nur Sackgassen sein können. Am Ende werden jede Menge Briefe geschrieben, Gedanken geteilt, Wunden geheilt, Vergangenheiten aufgearbeitet. Ganz unverstellt ist auf einmal unser Blick auf diese magische Welt, Begehren wird in Harmonie erstickt, Melancholie in heilender Trauer. So ist Kirschblüten und rote Bohnen dann zuletzt weniger unbefriedigend als allzu befriedigend, weil er so tut, als könnten wir im Kino eben doch schmecken.
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