Suzume – Kritik

Irgendwo muss alles wieder raus: Der emotionale Ballast, den das Waisenkind Suzume mit sich herumschleppt, dringt in Gestalt eines zerstörerischen Riesenwurms an die Erdoberfläche. Die Bilder in Makoto Shinkais Anime sind dafür erstaunlich aufgeräumt.

Sogenannte Closer ziehen durch Japan und schließen Türen an verlassenen Orten, durch die eine Art gigantischer Energiewurm an die Oberfläche zu dringen versucht. Die Menschen sehen dieses Ding, das wie eine Mischung aus Wurst und Atomexplosion aussieht, zwar nicht, die von ihm verursachten Erdbeben und Zerstörungen spüren sie aber umso mehr. Unter ganz Japan gebe es ein enormes Ressort solcher negativen, zerstörerischen Energien, die weggesperrt werden müssten – so erklärt es Closer Souta der Schülerin Suzume in dem nach ihr benannten Film. Wie sich die beiden dann mit Leibeskräften gegen Türen stemmen, um den hindurchpreschenden, schwarzroten Strom zu unterbrechen, sieht nicht gerade gesund aus.

Ein Wirbelwind von Plot

Der Wurm symbolisiert Suzumes Gefühle, so viel ist schon hier kaum zu übersehen – Gefühle, die sie komplett deckelt. Sie ist Waise und kämpft innerlich damit, als Kleinkind die Mutter verloren zu haben. Sie lebt bei ihrer Tante, die sie aufgenommen und für Suzume die eigene Jugend und ihr Liebesleben geopfert hat. Nach außen sind Schmerz und Schuldgefühle des Mädchens aber kaum zu spüren. Sie scheint eine unauffällige Schülerin zu sein, die ein wenig unter der Knute ihrer Tante steht. Am bemerkenswertesten aber ist, wie schnell sie sich auf die neue, paranormale Situation einlässt. Zwar ist sie auch aufgewühlt und wirft sich verzweifelt in den Kampf, aber das Neue und Unglaubliche nimmt sie ohne großen Übergang an. Sie hat durchweg volle Kontrolle über sich.

Ihren Alltag bekommen wir in Suzume dabei kaum zu sehen. Sie trifft Souta, folgt ihm, entdeckt eine Tür in eine andere, entrückte Welt, aus der wenig später pure Zerstörung kommt. Ein Katzenwesen, das eigentlich eine solche Tür bewachen sollte, wird von ihr befreit, verwandelt Souta aus Lust am Schabernack in einen Kinderstuhl, dem ein Bein fehlt und der nun als knuffig hilfloses Energiebündel die Katze jagt, um die Tür wieder abzusichern. Es folgt ein Roadmovie durch halb Japan – der baldigen Instagramstarkatze hinterher –, und Suzume überwindet jeden Schock, den dieser Wirbelwind von Plot bereithält, umgehend.

Dass all der Ballast, den sie mit sich herumschleppt und den sie nur in ihren Träumen an sich heranlässt, die Form eines mehrere hundert Meter großen Explosionswesens annimmt, das aus kleinen Türen geschossen kommt und ganze Stadtteile zu begraben droht, ist dann eben nicht verwunderlich. Irgendwo muss das alles ja wieder raus.

Gediegene, durchkomponierte Schönheit

Nur ist es ein wenig das Problem von Suzume, dass diese Symbolik sich aufdrängt, weil der Film sich fast ausschließlich auf zwei Stränge konzentriert: zum einen auf Suzumes Vergangenheit, die über ihre Träume und den Kinderstuhl ins Sujet dringt, zum anderen auf den Plot um den Wurm. Neben diesen beiden Komplexen – verbunden durch eine Verfolgungsjagd, die Suzume an den Ursprung ihrer inneren Probleme und zur Konfrontation mit sich selbst bringt – wird kaum etwas geboten. Die Welt der Closer wird ebenso nur angerissen wie Suzumes eigentliches Leben. Höchstens die Miniaturen von Bekanntschaften, die Suzume unterwegs macht, Familien jeder Art, die trotz Stress zusammenhalten, zeigen einen etwas offeneren, gelösten Film, der freier assoziiert.

Zugleich erreichen Suzumes Gefühle nie den katastrophalen Punkt, der den Ausbrüchen des Wurms entspräche. Der Tod der Mutter wird von Regisseur Makoto Shinkai nur genutzt, um schöne, gefällige Bilder zu entwerfen, in denen der Schmerz schon wieder etwas Süßliches bekommt. Dass die Tante mit Suzumes Verschwinden zu kämpfen hat, selbst sichtlich Traumata mit sich herumschleppt, weil sie zwanghaft annimmt, dass ihre Nichte mit einem Mann durchgebrannt ist und ihr Leben leichtsinnig riskiert: Es bleibt atmosphärische Randnotiz oder Comic Relief. Shinkais Film hält die Emotionalität auf Distanz und arbeitet sie auf ästhetisch angenehme Art ab – mit Sinn für wunderschöne, aufgeräumte, gezähmte Bilder, die dem Gefühlshaushalt seiner Protagonistin gleichen, wenn sie alles unter Kontrolle bringen will.

Das Roadmovie mit mystischer Katastrophenfilmbeigabe ist durchaus sehenswert. Der Wurm macht Trauer als brachiale Kraft spürbar, wenn seine Ausbrüche in Souta und Suzume fragmentarische Erinnerungen an eine idyllischere, unumkehrbar verlorene Vergangenheit erwecken. Und an Souta als Kinderstuhl ist so ziemlich alles in jeder Hinsicht grandios. Wie er beispielsweise nachts unvermittelt einschläft und sein süßes Äußeres die emotionale Vergletscherung des Closers verdeckt. Darin fände sich ein viel passenderes Bild als die schmerzhaften Ausbrüche des Wurms, die in der gediegenen, durchkomponierten Schönheit von Suzume nur wenig Widerhall finden.

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