Sunset Song – Kritik

Zwischen der Welt der Wunder und der Welt des Wissens liegt eine Welt der Ahnung: Zum Abschluss unserer Retrospektive blicken wir auf Sunset Song und das gleitende Kino von Terence Davies. Den neuesten Film des Regisseurs gibt es bereits als preiswerte Import-DVD.

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Mit einem Mal ist der Blick von Chris (Agyness Deyn), der Protagonistin von Sunset Song, ein völlig anderer. Die Mutter ist in den Tod verabschiedet, die Kindheit endgültig vorbei. Im Mädchenblick zuvor lag noch in jeder Stimmung ein wenig neugierige Offenheit; selbst die autoritären Zurichtungen des Bruders durch den Vater hatte er eher staunend als entsetzt begleitet. Wenn dieser kindliche Blick, selbst wenn er sich nicht auf Objekte oberhalb der Augenhöhe richtete, immer ein wenig aufzuschauen schien, so blicken Chris’ Augen von nun an wissend auf die Welt herab. Eine verständige Härte hat die neugierige Offenheit abgelöst.

Mit einer möglichst präzisen schauspielerischen Annäherung an diesen konkreten Moment des Übergangs hat das nichts zu tun, denn natürlich verlaufen derlei Übergänge ja eigentlich subtiler, langsamer, geheimer. Das Kino aber, zumal das Kino des Terence Davies, sucht derlei Einschnitte „an sich“ auszudrücken, und es bedient sich dabei eben auch des menschlichen Gesichts. Dieses ist dann nicht Teil einer Figur, die einst in einem Roman lebte und nun in einen Film umgezogen ist, ist nicht Träger möglichst genau zu imitierender psychologischer Verfassungen, sondern filmisches Vehikel für die innere Bewegung von Sunset Song, die in Lewis Grassic Gibbons Romanvorlage von 1932 mit literarischen Mitteln vollzogen wurde. Auch Davies’ neueste Adaption ist unverkennbar das Werk eines Kino-auteurs, ein Werk aber, dessen Material ebenso unverkennbar nicht aus dem Nichts erschaffen, sondern wiedergeboren wurde.

Eine Etage für den Kreislauf des Lebens

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Chris wächst auf einer abgelegenen schottischen Farm auf, und Sunset Song begleitet sie durchs Erwachsenwerden und schließlich zur eigenen Existenzgründung, drückt dabei ihr Innenleben konsequent im Außen aus. Bereits im ersten Teil der Kindheit weiß schon die Architektur jenes Anwesens, das als einziges die epische Handlung des Films überdauern wird, über die Passionen in seinem Inneren bestens Bescheid. Im oberen Stockwerk, da findet das Trauma des Lebens statt, und die kindliche Chris erleben wir dort eigentlich nie, bleiben stets unten mit ihr. Die Stufen in dieses Stockwerk steigt der Vater (Peter Mullan) hinauf – wie meist bei Davies eine einschüchternde, machtvolle Präsenz – und irgendwann die Ärzte. Dort ist Empfängnis, dort ist Geburt, schließlich Tod, und spätestens dann muss auch Chris da hinauf, um sich ihrer Kindheit zu entledigen. Daneben gibt es die Scheune, in der nicht der Kreislauf des Lebens sich abspielt, sondern ganz konkrete, raue, körperliche Dramen. Da wird Chris’ Bruder (Jack Greenless) ausgepeitscht und verprügelt, da wird ein Wanderarbeiter einquartiert, dem Chris Essen einmal bringt und der sich dann an ihre Füße schmeißt und ihre Waden liebkost.

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Im Wohnzimmer schließlich sitzt Chris an einem Tisch und liest, ungestört von den Schreien aus der oberen Etage, ungestört von allem, was sie in der Scheune vermuten darf. Hier hat sie sich ihr Territorium eingerichtet, ein Territorium der inneren Flucht. Sunset Song wird dieses Territorium zerstören und diese Zerstörung betrauern, ein genuin Davies’scher Move. „The child in your heart died then, and the Chris of the books and the dreams died with it“, heißt es aus dem Off, aus dem Roman. Aber Chris wird eine starke Frau, keine hoffnungslos gebrochene. Sie heiratet Ewan (Kevin Guthrie), sie überlebt den Patriarchen und erbt das Land, dieses Land, das Davies immer wieder in lichtverrückten auf 65mm gedrehten Panoramen einfängt. Bis auf eine kaum vorhersehbare und ganz erstaunliche Schlusssequenz wird Sunset Song dieses Land nicht verlassen – auch der Erste Weltkrieg spielt sich im Off ab. Ewan zieht in ihn hinein, und kehrt als Schläger zurück. Männliche Gewalt, noch so ein Kreislauf.

Kontraktionen der Zeit

Sunset Song 10

Eigentlich ist Sunset Song im Vergleich zu anderen Werken des britischen Regisseurs ein linearer Film, der sich doch auch wieder auszeichnet durch jene Übersetzung von Zeit in filmische Bewegung, die Davies’ Kino zugleich so in sich gekehrt und doch geradezu spektakulär erscheinen lässt. Auf der Tonspur gehen die Schreie der jeden körperlichen Begehrens längst müden Mutter beim sogenannten Liebesakt ohne Unterbrechung über in die schmerzhaften Wehen, die von den Folgen jenes Aktes künden. Chris verabschiedet nach dem Tod des Patriarchen ihre Tante und ihren Onkel vom Anwesen, die Kamera schwenkt der Kutsche noch nach, in einer fließenden Kreisbewegung landet sie wieder bei Chris, die nun vor ihrem alleinigen Besitz steht; und dann kreist sie weiter, folgt Chris’ Blick zurück aufs Land, wo nun eine andere Kutsche ankommt, aus der die neue Hausangestellte steigt: In einer einzigen Kamerafahrt also entledigt sich Chris der letzten Zugriffe der Familie und empfängt ihren ersten Gast als souveräne Hausbesitzerin. Am Silvesterabend dann heiratet Chris ihre große Liebe Ewan, der Chor der Hochzeitsgäste stimmt „Auld Lang Syne“ an und dieser Chor ist auch dann noch zu hören, als das Bild in einen Moment überblendet, in dem die Gäste längst verschwunden sind, in dem man tatsächlich verheiratet ist, in so trauter wie unvertrauter Zweisamkeit, die beruhigende Gesellschaft nur noch leise im Ohr.

Poesie des Ahnens

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Niemals sind diese Bewegungen, ob auf der Bild- oder der Tonebene, bloße Zeichenketten, die zwei Elemente im filmischen Raum miteinander verknüpfen, um eine konkrete Assoziation in den Gang zu setzen. Niemals auch sind sie reine Form, möglichst virtuose Bewegung, die sich selbst als große Filmkunst ausstellt und damit verwischt, was sie auszudrücken glaubt. Immer geht es um ein Gleiten zwischen dem Film und seiner Welt, um ihr Verhältnis zueinander. Dieses Gleiten zeugt von einer Poesie des Ahnens, die vielleicht genau zwischen der kindlichen Neugier der jungen und dem bitteren Verständnis der erwachsenen Chris liegt. Terence Davies wundert sich nicht naiv über die Menschen, die seine Filme bevölkern, aber er weiß auch nicht väterlich, wie es ihnen geht. Zwischen der Welt der Wunder und der Welt des Wissens liegt eine Welt der Ahnung. Eine eigentlich prekäre Welt, die Davies immer wieder aufs Neue in sorgsam stabilisierte Filmbilder gießt.

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