Station to Station – Kritik

Die Reise eines Zuges quer durch die USA als atemloser Wanderzirkus. Doug Aitken errichtet eine Metapher der US-amerikanischen Kunstszene nach seiner Fasson: glatt, schnell, effektiv.

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„Station to station is a journey into modern creativity.“ 62 kurze Minuten dauert Doug Aitkens Film, und in demselben Minutentakt wird, um es ganz profan zu machen, 62 Mal Kunst aneinandergereiht. Was dabei entstehen soll, ist vielleicht ein Panoptikum dieses Dings namens Kunst selbst, eine Art vorläufige Bestandsaufnahme. Zusammengehalten wird das alles von einem Zug. Er fährt einmal quer durch die USA, bildet die symbolische Bühne des Spektakels. Das klingt zunächst nach Reizüberflutung, und tatsächlich geht es 62 Mal in medias res, vor unseren Augen entsteht ein Hochgeschwindigkeitsfilm: Die USA als riesiges, nie enden wollendes und einmaliges Rockkonzert, hier wird dieser – eigentlich alte – Traum zelebriert. Zwischendrin stellt jemand die (natürlich kurze) Frage nach der frontier, ein anderer erörtert, warum die USA eigentlich immer nach Westen strebten, aber bei diesen wenigen philosophischen Einsprengseln bleibt es. Und wirklich, der Zug fährt brav vom Atlantik zum Pazifik und natürlich nicht andersherum. Das eigentlich Bemerkenswerte an diesem Trip aber ist die vollendete Ortlosigkeit, es geht kreuz und quer, vor und zurück, doch niemals sind wir irgendwo, alles gleicht sich. Die USA scheinen auch im Jahr 2015 ein riesiges terrain vague, ein gigantischer Spielplatz der Selbstverwirklichung, auf dem Aitken mit sichtbarem Genuss herumturnt. Der kalifornische Videokünstler gibt sich dabei vor allem als Kurator, ein allseits geschätzter socialiser, der geladene Gäste um sich schart und deren Werke ausstellt, lässig im Panoramaabteil des Zuges sitzend, iPhone und Sonnenbrille dekorativ vor sich auf dem Tisch.

Ein Film, der berührt werden will

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Was der bunte Bilderreigen aber letztlich zeigt, ist so etwas wie Sekundärkunst, de facto 62 Abbilder von ebenso 62 Kunstwerken. Es ist ein wenig, als würden wir aus zweiter Reihe jemandem über die Schulter sehen, gleichzeitig aber scheint seltsamerweise jedes der gezeigten Happenings, Konzerte und Installationen schon auf seine Filmbarkeit hin ausgelegt. Walter Benjamin diagnostizierte 1936 Ähnliches: „Das reproduzierte Kunstwerk wird in immer steigendem Maße die Reproduktion eines auf Reproduzierbarkeit angelegten Kunstwerks.“ Station to Station ist eine wahre Reproduktionsmaschine. Sollte der Film nicht eine Aneinanderreihung an sich einzigartiger Happenings sein, gebunden an Aitkens einmaliges Projekt? Doch die durchgetaktete Struktur lässt keine Atempause: Alle haben genau 60 Sekunden, es gibt keine Hierarchien – ob nun Thurston Moore ein altes Sonic-Youth-Stück zum Besten gibt, Ólafur Elíasson gerade am Telefon ist oder jemand spontan über die Bedeutung des Lichts in der Kunst sinniert. Trotzdem entert gerade wegen der Kürze klammheimlich das Konkurrenzprinzip den filmischen Raum: Wer im Gedächtnis bleiben will, der muss eben aus dem Stand überzeugen. Zu jedem Künstler, jeder Künstlerin wird folglich auch der Name eingeblendet, ein Sehen und Gesehenwerden, aus dem sich jeder die Rosinen herauspicken möge. Fast wie bei Tinder. Ein Touchfilm, eine glatte Oberfläche, fast möchte man wie auf einem Smartphone einfach die Beiträge weiterwischen.

Kunst, die große Party unserer Zeit

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Es bleiben viele Bilder, viele Namen und das Gefühl, dass wir in diesen 62 Minuten irgendwie alles und nichts gesehen haben. Station to Station ist – wie gesagt – ein Film wie ein Konzert, ein Event, etwas, das im wahrsten Sinne des Wortes vorübergeht und trotzdem überzeugen will. Ist das die „moderne Kreativität“, mit der Aitken seinen Film ankündigt – glatt, kurz, knackig und ohne Zwischentöne? Fest steht: Aitken hat kein Problem damit, die Kunst als die große Party unserer Zeit regelgerecht zu inszenieren. Es lässt sich daraus sicher viel über den Stellenwert der Kunst ablesen, über Marketing, über immer kürzere Aufmerksamkeitsspannen, vor denen niemand gefeit ist. Auch nicht die Kunst. Ob nun Aitken genau dies mit seinem Film zeigen wollte, sei dahingestellt. Es fällt schwer, in Station to Station mehr als einen kurzweiligen, farbenfrohen, energetischen Werbeclip zu sehen. Aber dass genau in diesem Milieu die viel gerühmte „moderne Kreativität“ ein profitables Zuhause gefunden hat, wer wollte das bezweifeln? Was würde wohl Thurston Moore dazu sagen?

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