Space Dogs – Kritik
VoD: Als stolze Erben eines Weltraumprogramms aus dem Kalten Krieg versteht Space Dogs die Straßenhunde von Moskau und verleiht ihnen die Würde von Film-noir-Helden. Doch auch die spektakulärsten Tierbilder menscheln am Ende mehr, als ihnen lieb ist.

Eröffnet wird Space Dogs von einem Vorspann wie aus 2001: Odyssee im Weltraum. Die Erde als blaues Halbrund im Dunkel des Weltraums. Streichermusik zwischen György-Ligeti-Dissonanzen und Hans-Zimmer-Schwulst. Kommt jetzt auch noch das berühmte Star Child angeflogen, das am Ende von Kubricks Klassiker als vergöttlichter Mensch auf die Erde zutreibt? Nicht so ganz. Die Referenz passt aber trotzdem, denn auch hier haben wir es mit der kosmischen Überhöhung eines Lebewesens zu tun, das nach einem Abstecher in den Weltraum verwandelt auf die Erde zurückkehrt.

Aber nicht um einen Menschen geht es, sondern um die Hündin Laika. Diese wurde von der Sowjetunion 1957 als erstes Lebewesen überhaupt in den Weltraum geschossen, bevor sie zusammen mit ihrer Raumkapsel beim Wiedereintritt in die Atmosphäre verglühte. „Eine Legende besagt, dass Laika seitdem als Geist auf den Straßen Moskaus umherzieht“, raunt die Stimme des Schauspielers Andrey Serebryakov während des spektakulären Anfangs von Space Dogs aus dem Off. Dabei schwingen sich die Streicher langsam zum Crescendo auf, und das Bild wird von einem farbigen Geflimmer ausgefüllt, nähert sich impressionistisch der Aufnahme einer verglühenden Raumkapsel.
Mehr als ein Tierfilm

Das ist ziemlich dick aufgetragen für einen Film, der im Wesentlichen das Treiben von Straßenhunden in den Vorstädten Moskaus dokumentiert. Aber Space Dogs möchte eben viel mehr sein als ein hochwertiger Tierfilm. Die Regisseure Elsa Kremser und Levin Peter präsentieren die Hunde vielmehr als Kristallisationspunkt einer ganzen Reihe historischer Entwicklungen: Wir haben sie uns als spirituelle (oder tatsächliche) Nachkommen der Straßenhunde vorzustellen, die Wissenschaftler in den 1950er und 60er Jahren von den Straßen Moskaus aufgelesen und in Labors für Testflüge in den Weltraum trainiert haben. Nicht einmal die Tierwelt, so legt der Film nahe, ist von den Umwälzungen des Planeten durch den militärisch-industriellen Komplex verschont geblieben. Die Weltraumhunde wurden in der Sowjetunion als Ikonen verehrt, und ihre Nachkommen präsentiert uns der Film nun als vergessene Erben eines goldenen Hundezeitalters. Vergleichbar mit den zahlreichen Veteranen des kalten Krieges, die ihren Lebensabend in der Anonymität von Moskauer Blocksiedlungen verbrachten.
Kamera mit Hundeblick

Die Filmemacher haben sich dabei technisch ganz schön was einfallen lassen. Bei der von Yunus Roy Imer geführten Steadycam auf Augenhöhe der Hunde fragt man sich mitunter, wie diese Aufnahmen überhaupt möglich waren, hat die Kamera doch kaum Probleme damit, mit dem flinken Lauf der Tiere mitzuhalten. Man könnte fast meinen, hier sei einem Mitglied des Rudels eine Go-Pro aufgesetzt worden, aber dafür sind die Bilder dann doch zu elegant komponiert. Diese Bilder verleihen den Hunden die Würde leicht heruntergekommener Protagonisten eines Film noir, die auf der Suche nach Abenteuern durch nächtliche Straßenschluchten ziehen. Meistens sehen wir sie ganz unter sich, in Parks oder dunklen Straßenecken, wo sie die Gegend nach essbaren Abfällen absuchen. Hier und da läuft ein Mensch durchs Bild, oder wir beobachten aus der Perspektive der Hunde eine Schlagerparty im Hintergrund. In diesen Momenten macht sich die Kamera mit dem stoischen Hundeblick gemein und scheint sich mit ihnen zu fragen, was die Menschen da für unbegreiflichen Ritualen nachgehen.
Kosmologie von Mensch und Hund

Durch diesen Versuch, eine tierische Perspektive auf die Stadt, also den menschlichen Lebensraum schlechthin, zu entwickeln, nimmt Space Dogs eine im neuen Jahrtausend beliebte posthumanistische Perspektive ein: auf die Erde als gemeinsamen Lebensraum von Mensch und Tier. Philosophinnen wie Vinciane Desperet oder Donna Haraway verstehen Tiere als Lebewesen, die eigene Formen der Vergesellschaftung hervorbringen, etwa das Rudel, die jenen des Menschen gleichwertig, wenn nicht sogar überlegen, sind.
Das Regieduo geht bei dieser Verschränkung von tierischer und menschlicher Perspektive sehr weit: Kremser und Peter entwerfen mit Hilfe der immer wieder ins Mythische spielenden Narration Srebryakovs eine gemeinsame Kosmologie von Mensch und Hund. Nicht nur begleitet der Hund den Menschen seit tausenden von Jahren, er ist ihm sogar in den Weltraum vorausgegangen. Die Erschließung des Weltraums, eine der höchsten technischen Errungenschaften der Menschheit, stellt sich bei näherem Hinsehen als gemeinsame Leistung von Mensch und Tier heraus.
Ungezähmte Natur

Der Hund im Weltraum als kommunistischer Cyborg: Das ist ein Thema, das von Space Dogs spektakulär angerissen, aber nicht wirklich entwickelt wird. Denn letztlich geht es ja doch um eine Domestizierung des Hundes mit den Mitteln der Technologie. Das zeigen einige Archivaufnahmen aus Sowjetlabors, die in den Film eingestreut sind: Hier wird sehr konkret am Hundekörper gearbeitet. Er wird mit Kabeln und Kanülen für die Raumfahrt ausgestattet. In seinen eigenen Bildern dann verlässt sich der Film doch zu stark auf die Wirkung der spektakulären Bilder des Hundelebens und einer bombastischen Tonspur, die einem jedes Knurren und Winseln der Tiere ins Mark fahren lässt. Diese eigentümliche Romantisierung der ungezähmten Hundenatur, die daraus hervorgeht, wirkt am Ende doch ziemlich menschlich.
Der Film steht bis 31.08.2022 in der ARD-Mediathek.
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