Soul – Kritik

Disney+: Nach Alles steht Kopf erforscht Pete Docter in Soul erneut das menschliche Bewusstsein. Diesmal wird ein Jazzmusiker in der Midlife-Crisis erst ins Jenseits und dann ins Vorseits geschickt. Dazu gibt es Körpertausch mit Cat-Content.

Wem das Glück widerfährt, ganz in einer Tätigkeit aufzugehen – zum Beispiel beim Klavierspielen, beim Basketball, beim Schreiben einer Filmkritik –, der befindet sich, wenn es nach Soul geht, in einem „The Zone“ genannten himmlischen Zwischenreich blau in blau, in dem Körper und Geist zu einer Einheit verschmelzen und die Welt ringsherum verschwindet. Wem das Unglück widerfährt, aus der Konzentration gerissen zu werden – und der sich dann verklimpert, am Korb vorbeiwirft, das Wort nicht trifft –, der, nun ja, wird vielleicht einfach gerade von einer anderen, noch ungeborenen Seele aus dem Off geärgert, die selbst nie einen sinnstiftenden spark gefunden hat. Und wem das erste Szenario als Metapher einleuchtet und das zweite auf Anhieb nicht ganz so, dem mag es bei Soul ähnlich gehen wie mir.

Knubbelige Jungseelen

Nach Alles steht Kopf (Inside Out, 2014) ist Soul der zweite Pixar-Film von Pete Docter, der sich dem menschlichen Innenleben widmet – diesmal mit einem ganzheitlichen statt analytischen, einem metaphysischen statt materialistischen Ansatz: Wo Alles steht Kopf das Bewusstsein eines kleinen Mädchens als Schaltzentrale darstellte, um ihre als Figuren auftretenden Gefühle auf ihre Umwelt reagieren zu lassen und so ihr Temperament auszubilden, da zeigt der neue Film die Seele als eine sogar schon vor der Geburt präfigurierte Einheit: Neben dem Jenseits, „The Great Beyond“, gibt es hier auch ein Vorseits, „The Great Before“, in dem ungeborene Jungseelen, kleine blaugrüne Knubbel, für ihr Leben auf Erden ausgebildet werden und ihren spark entdecken sollen.

Zunächst aber begegnen wir mit dem Protagonisten Joe (gesprochen von Jamie Foxx) einen, der ihn längst gefunden hat, aber nicht ausleben kann: Das irdische Dasein des Musiklehrers und Jazzpianisten dümpelt in trüber Mittelmäßigkeit vor sich hin. Doch kurz nachdem man ihm eine Festanstellung in der Musikschule anbietet – was seine Mutter glücklicher macht als ihn – , erhält er die einmalige Chance, mit der legendären Saxofonistin Dorothea Williams (Angela Bassett) aufzutreten. Vor Erregung darüber ganz aus dem Häuschen, übersieht er beim Überqueren der Straße einen offenen Kanalschacht, stürzt in die Tiefe – und prompt findet sich seine Seele, eine blaugrün glimmende, schematisierte Miniatur seiner selbst, auf einem Laufband ins Jenseits wieder, in dessen majestätischem Licht er mit einem Bitzeln zu verschwinden droht. Joe will nicht ausgerechnet vor seinem Auftritt sterben, stürzt sich ins Bodenlose und landet im „Great Before“.

Plot-Twist mit Katze

Um einen Rückfahrtschein zur Erde zu ergattern, heuert er dort als Mentor für einen hoffnungslosen Fall an – 22 (Tina Fey), ein echtes Seelchen, das partout nichts findet, was es für ein weltliches Leben begeistern könnte und das schon aus dem Jenseits abbestellte Mentoren wie Mutter Teresa, Muhammad Ali oder Marie Antoinette (zack, zack, zack in tollen One-Take-Pointen durchgespielt) zur Verzweiflung brachte. Zurück auf der Erde, findet sich Joe jedoch in einem etwas aus dem Nichts kommenden Dreher im Körper einer Katze wieder, während sein eigener von 22 unter Beschlag genommen wird. Und während er unbedingt zu seinem Auftritt und in seinen Körper zurückwill, möchte 22 den erstmal nicht mehr hergeben, weil sie am sinnlichen Erleben des turbulenten New York zunehmend Gefallen findet.

Betrachtet man die reale und die metaphysische Welt des Films jeweils für sich, enthalten beide auf ihre Weise einige Juwelen: Die Darstellung von Joes New Yorker Leben zwischen Jazzbars, Barber Shops und der mütterlichen Schneiderei ist Pixar-Realismus at its best. Das Umfeld der ersten afroamerikanischen Hauptfigur des Studios, samt Einbettung in kulturelle Traditionen von Jazz bis Hip-Hop, wird mit einer angenehmen Selbstverständlichkeit gesetzt. Und Joes Aufblühen in der Musik wird ebenso hinreißend sicht- und hörbar gemacht wie sein out of tune geratener Alltag: Schon die Disney-Erkennungsmelodie erklingt als von seinen untalentierten Schülern gespielte Kakophonie.

Bei der metaphysischen Welt wiederum lässt das Studio seiner berühmten visuellen Fantasie, unter Vermengung verschiedener Zeichenstile, einmal mehr freien Lauf: In den pastellenen Hügellandschaften des „Great Before“ bereiten zweidimensionale, kubistische Ausbilderfiguren, die alle „Jerry“ heißen, die ungeborenen Seelen an Orten wie der „Great Hall of Everything“ auf ihr irdisches Dasein vor. Für die sich gerade im Leben befindlichen Seelen gibt es ebenfalls zwei Teilwelten: Der eingangs erwähnten „Zone“ wird eine „desert of lost souls“ gegenübergestellt, in der dunkle, einäugige Riesen, die ihre Verbindung zur Welt verloren haben, traurig durch die Gegend schlurfen. Auch als nicht spirituell veranlagter Zuschauer kann man sich von alledem (und noch viel, viel mehr) dank der federleichten Inszenierung um den Finger wickeln lassen, und für Ungläubige baut einer der Jerrys mit einem Spruch über Quantenfelder, die sich nur der Verstehbarkeit halber dieses Gewand gäben, auch augenzwinkernd eine Brücke.

Eine Lanze für die, die keine Bestimmung haben

Was in Soul aber trotzdem etwas diffus bleibt, ist die Verbindung zwischen der metaphysischen und der realen Welt. Alles steht Kopf übersetzte populäres Wissen über Bewusstsein, Gefühle und Kognition in intuitiv verständliche Bildwelten und konnte so Innen- und Außenleben der Hautfigur in einer bewegenden Handlung verknüpfen. In Soul lassen sich die visualisierten Konzepte über den Ursprung und den Weg der Seelen nie auf vergleichbar zwingende Weise mit dem verbinden, was Joe in seinem realen Leben widerfährt. Zwar man kann sein Abenteuer auch schlicht als Nahtodfantasie verstehen, mit der er, komatös im Krankenhaus liegend, aus der Distanz einen neuen Blick auf sein Leben wirft und sein von 22 beseelter Leib dieses Leben wie ein Neugeborener erfährt. Dabei scheint der Film aber bis zum Ende nicht recht zu wissen, wo er mit 22 als eigenständigem Charakter eigentlich hinwill – weswegen die beiden, so unterhaltsam und pointenreich der Körpertausch-Plot mit Cat Content auch ist, nie ganz zu einem archetypischen Trickfilm-Duo zusammenwachsen.

Der schönste und lebensfreundlichste Zug von Alles steht Kopf war, in Gestalt der Figur Sadness ein schlecht beleumundetes Gefühl in den Mittelpunkt zu stellen und gewissermaßen Widerstand gegen den Think-Positive-Terror zu leisten. Auf ganz ähnliche Weise bricht Soul am Beispiel von 22 nun eine Lanze für die, denen es nicht gelingen will, eine „Bestimmung“ im Leben zu finden. Aber während Sadness tatsächlich die Heldin wird, die die Hauptfigur emotional befreit, muss 22 dann selbst vor einem Dasein als lost soul gerettet werden. Zu einem vollmundigen Plädoyer für ein „life without purpose“ mag sich der Film dann doch nicht entschließen, eher schwenkt er auf das Mittelmaß ein: Leidenschaft für eine Sache ist schon okay, solange man darüber nicht vergisst, auch die anderen Augenblicke im Leben zu genießen. Eine zustimmungswürdige, aber angesichts des vorangehenden Erzählaufwands auch etwas laue These. Genussvoll in ein köstlich duftendes Pizzastück beißen, auf einer Parkbank sitzend von einem herabschwebenden Ahornsamen gebannt werden – das sind einfache, schöne Bilder, die ganz für sich sprechen und vor- und jenseitiger Metaebenen gar nicht bedurft hätten.

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