Sleep – Kritik
Neu auf Blu-ray: Sleep erzählt von einem Schlafwandler, der seine schwangere Frau nachts in Angst und Schrecken versetzt. Geschickt manövriert Jason Yus Debüt zwischen psychologischen Beobachtungen und Horrormotiven, auch wenn die Genredynamiken ein wenig altbacken geraten sind.

Der Mann schnarcht. Noch bevor er im Bild erscheint, ist die Melodie von Hyun-soos (Lee Sun-kyun) Atemgeräuschen zu hören. Soo-jin (Jung Yu-mi) sitzt wach daneben. Es ist nicht mehr das Geräusch, das sie stört. Hyun-soos Schlafstörungen haben zugenommen. Seine Hände stecken jetzt in Ofenhandschuhen, auf der Wange klebt ein riesiges Pflaster. Letzte Nacht hat er sich das Fleisch aus dem Gesicht gekratzt. Die Schwangere Soo-jin ist noch immer verstört von dieser Episode, sitzt entsprechend lieber noch am Laptop, als neben ihm zu schlafen. Dann verstummt das Schnarchen. Hyun-soo richtet sich auf, schlafwandelt aus dem Zimmer, direkt zum Kühlschrank. Als Soo-jin bei ihm ist, sieht sie, wie er rohes Fleisch direkt aus der Packung hinunter schlingt, und ungekochte Eier hinterher stopft. Bevor sie verstehen kann, was vor sich geht, ist Hyun-soo bereits zum Schlafzimmerfenster gewandelt, reißt es auf und versucht sich hinaus zu stürzen.
Together we can overcome anything

REM-Schlaf-Verhaltensstörung nennt der Doktor das, was Jason Yu in seinem Debüt als Horrorfilm inszeniert. Doch es steckt mehr hinter den nächtlichen Episoden des Manns. Das Paar, das jeden Moment ein Baby erwartet, durchlebt eine Krise. „Together we can overcome anything“ steht auf dem Holzschild, das sie sich in die Wohnung gehängt haben. Hyun-soos Schlafstörung ist der bisher größte Test des gemeinsamen Mottos. Gewissermaßen sind die Szenen, in denen der Ehemann bewusstlos (aber bedrohlich) durch die Wohnung wandert, eine Art Umkehr des Nightmare on Elm Street-Schemas: die Abgründe des Unterbewusstseins werden nicht, des Effekts wegen erkundet, sondern der Spannung wegen verschleiert.

Nach der Geburt des Kindes, die direkt auf die Diagnose Hyun-Soos folgt, mixt der Film der Schlafkrankheit des Mannes eine postpartale Depression der Frau bei. Soo-jin schläft weder tagsüber noch nachts, hat Angst vor dem schlafenden Mann und muss sein Schlafwandeln zugleich irgendwie entschuldigen, denn schließlich ist er, nachdem er des Nachts wie ein Fremder durch die Wohnung gegeistert ist, wieder ganz er selbst: der humorvolle Ehemann und hingebungsvolle Vater. der bald nicht mehr nur sich selbst in Gefahr bringt. Solange die medikamentöse Therapie noch nicht anschlägt, bringen die Episode nicht mehr nur ihn selbst in Gefahr. Der Arzt hat dazu wenig zu sagen, mahnt nur immer wieder zur Geduld. Im Internet gefundene Tipps, etwa das Aufhängen von kleinen Glöckchen, die Hyun-soo wecken und seine somnambulen Ausflüge verhindern sollen, sind ebenfalls keine Hilfe. Regisseur Yu weiß sie aber verdammt gut in seine Kollagen des Terrors einzubauen. Das Klingeln der Glöckchen wird schon in der folgenden Nacht zur Ankündigung, des nächsten Schreckens.
Wie ein Nachtmahr

Soo-jin ist bald fertig mit schlaflosen Nächten in der Badewanne, fertig mit der Angst um ihr Baby und auch fertig mit der Schulmedizin. Sie holt eine Schamanin in die Wohnung, die den Ehemann und das Baby abklingelt und die Räumlichkeiten einräuchert. Die Zeremonie ist weniger Lösung als überhaupt eine Möglichkeit für Soo-jin, eine Art von Handlungsmacht zu gewinnen. Die Schamanin vermutet den Geist des verstorbenen Nachbarn als Ursache für den schlafwandelnden Ehemann. Er sei besessen. Dass mit der die Ehefrau, ihrer Mutter und der Schamanin allein die Weiblichkeit für Irrationalität steht, stößt sauer auf. Gewissermaßen fängt der Film das dadurch auf, dass er bis zum Ende offen lässt, ob nun eine generische Schlafkrankheit oder tatsächlich Geister, die keinen Frieden finden, das Paar heimsuchen. Die Beziehungskrise setzt sich bald im Kampf zwischen schulmedizinischen und schamanistischen Heilungsmethoden symbolisch fort, während die Beziehungsdynamik zielstrebig in Richtung Wahnsinns eskaliert.

Ein bisschen sieht das manchmal nach einer Fingerübung aus. Dennoch: Jason Yu ist verdammt gut darin, die Gräben, die sich oft unterbewusst zwischen Beziehungspartnern auftun, mithilfe der Gewaltbilder des Genrekinos und immer wieder auch mit Humor an die Oberfläche zu zerren. Von der gut beobachteten Ehekrise stürzt sich „Sleep“ in den Wahnsinn. Es finden sich fantastische Bilder in diesem psychischen Abgrund. Als Hyun-soo einmal erwacht, sitzt Soo-jin auf seiner Brust, wie der Nachtmahr in Johann Heinrich Füsslis gleichnamigen Gemälde auf der Brust einer Schlafenden, nur dass Soo-jin dem Erwachenden das Küchenmesser an die Kehle drückt. Nicht etwa ein Blutbad folgt im finalen Akt, sondern die wohl bizarrste Power-Point-Präsentation der Kinogeschichte.
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