Sing Me a Song – Kritik
Weltabgewandtheit einmal anders: Ein junger bhutanischer Mönch hängt zu viel vorm Smartphone und lernt im Chat eine Sängerin kennen. Der Blick auf diesen verlorenen Sohn im Dokumentarfilm Sing Me a Song ist distanziert-liebevoll und ein wenig ratlos.

„Medien bestimmen unsere Lage“, schrieb der Medienwissenschaftler Friedrich Kittler, und das tun sie auch, wenn diese Lage 4000 Meter über dem Meeresspiegel in einem buddhistischen Kloster zu verorten ist. Regisseur Thomas Balmès kehrt zurück in das bhutanische Dorf Laya, in dem er 2013 den Dokumentarfilm Happiness drehte. Damals wurde Laya als einer der letzten Orte des Landes an das Stromnetz angeschlossen, und das Fernsehen hielt Einzug in den Bergen. Der achtjährige Peyangki ging mit seinem Onkel ein Yak verkaufen, um ein TV-Gerät für die Familie heimzubringen. Jetzt ist er sechzehn, führt seine Ausbildung zum Mönch weiter und besitzt, wie alle jungen Menschen um ihn, ein Smartphone. Auf dem Gemeinschaftsfernseher läuft Fußball, Peyangki blickt auf sein Handy. Über WeChat lernt er die Sängerin Nguen kennen. Sie schicken sich Sprachnachrichten, und manchmal bittet er sie, ihm ein Liebeslied vorzusingen. Allmählich entsteht eine Fernbeziehung zwischen den beiden.
Der verlorene Sohn

Der Film ist in hohem Maße inszeniert, viele Einstellungen wunderschön durchkomponiert. Balmès nutzt Erzählkonventionen – buddhistische Mönche präsentiert man im Gebet, beim Kerzenanzünden und stets vor malerischer Bergkulisse – für Pointen, in denen der touristische Blick und das Erstaunen darüber, dass dieses Kloster nicht unseren Vorstellungen von Weltabgewandheit entspricht, zusammenfallen. Das Herauszoomen aus dem inbrünstigen Gebet offenbart, dass der Text vom Handy abgelesen wird, auf dem kurz darauf Wrestlingvideos ablaufen.
Peyangki wird von seinen Lehrern gescholten: Viel zu sehr hänge eher an seinem Telefon, für seine Aufgaben im Kloster finde er keine Zeit. Es zieht ihn raus in die Welt, da ist er nicht der Erste. Eine Weile herrscht ein Schwebezustand: Peyangki ist nie ganz da, weil seinem Handy zugewandt, aber auch noch nicht weg. Dennoch nutzt er seinen Status als Mönch zur Selbstinszenierung als ein in sich gekehrter, dem Materiellen abgeneigter Mensch. Balmès’ Blick auf diesen Jungen ist ein zurückhaltender, äußerst liebevoller und dennoch distanziert genug, um an ihm später den Typus des verlorenen Sohns herauszustellen.

Peyangki gegenüber haben wir einen Wissensvorsprung, wenn wir seine Freundin Nguen, in grelles Neonlicht getaucht, in Nachtclubs auftreten sehen. Auch sie und ihre Freundinnen und Kolleginnen erfahren die Welt durchs Smartphone. „Die Moslems köpfen Leute“, heißt es einmal, als die Frauen offenbar auf ein Enthauptungsvideo blicken. Peyangki und seine Freunde werfen sich die Mönchskutten als Turban über und spielen mit Plastikwaffen Krieg. Was der junge Mönch nicht weiß: Nguen hat ein Kind, war bereits verheiratet. Vielleicht geht sie nach Kuwait, dort soll man mehr Geld verdienen können. Er jedenfalls sammelt Heilpilze, um sie mit dem Erlös besuchen zu kommen. Dass da bereits ein Kind ist, wirft ihn aus der Bahn. Auf seinem Handy scrollt er ins Nichts, um den Gesprächen mit Nguen zu entkommen. Und der Mönch flieht in die Internetcafés der großen Stadt.
Unschuld in den Bergen

Im Gegenschuss vom Counterstrike-Bildschirm aus blicken wir Peyangki in die müden Augen, die im blauen Kunstlicht langsam zufallen. Dann liegt er als kleiner Junge in den Bergen, über ihm nur der Himmel. In diesen eindringlichen Momenten scheint aber auch Balmès’ Ratlosigkeit durchzuschimmern, was von all dem zu halten sei. Die heile, naturverbundene Welt der Kindheit gegen die Einsamkeit des Bildschirms. Ob Peyangki nun vor Bildschirmen oder stattdessen in Spelunken sitzt, macht keinen Unterschied, der über visuelle Spielereien hinausgeht. Der Junge verliert sich gleichermaßen in der Stadt, im Club und im Internet. Aber haben das Internet und Smartphones denn wirklich nur die Formen unserer Weltflucht verändert?
Sing Me a Song teilt einen blinden Fleck mit vielen Filmen: Neue Medien werden in alte Geschichten integriert, ohne dass gefragt würde, ob diese Medien nicht grundlegend unser Verhältnis zur Welt und diesen alten Geschichten wandeln. Der dramaturgische Schwerpunkt liegt auf Peyangkis Besuch bei Nguen. Ob er zurück ins Kloster kommt, Mönch wird und seine Mutter stolz macht, das sind die Fragen, die uns beschäftigen sollen. Aber dass auch dort oben die Weltflucht – sowohl als ein Hin als auch ein Weg – schon im Alltag verankert ist, dieser Gedanke wird früh wieder aufgegeben.

Ein etwas jüngerer Mönch, ein Freund Peyangkis, wird ausgesandt, um ihn zurückzuholen. In seiner Unschuld – die Kohlensäure seiner ersten Cola lässt ihn zusammenfahren wie nach einem Schnaps – erinnert er an Peyangkis Kindheit. Nachts im Hotelzimmer bittet er Peyangki, den grellen Fernseher auszumachen. Peyangki entscheidet, dass es doch leichter sei, ihn einfach anzulassen. Das scheint der große Unterschied zwischen beiden zu sein: Peyangki sieht im Schlaf nicht mehr, dass da ein Fernseher ist, für seinen Freund bleibt der Bildschirm etwas Fremdes, Störendes. Vielleicht ist das das Wenige, was wir den Medien um uns noch entgegenhalten können: uns ihrer Präsenz bewusst zu sein.
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