Silence Radio – Kritik

VoD: Silence Radio folgt der mexikanischen Journalistin Carmen Aristegui im Kampf gegen die Zensur. Juliana Fanjuls Dokumentarfilm ist weniger Porträt als Raum für eine Stimme – und erzählt davon, was es für Zuhörer bedeutet, dieser Stimme beraubt zu werden.

2015 wird die mexikanische Journalistin Carmen Aristegui rechtswidrig entlassen. „Trotz Prozess und 200.000 Unterschriften, die ihre Rückkehr forderten, verschwand die wichtigste Stimme gegen die Macht aus den Medien“, spricht Regisseurin Juliana Fanjul im Voice-over, während die Kamera ein Mikro in einem leeren, dunklen Studio fixiert. Silence Radio macht es sich zur Aufgabe, der Journalistin zu folgen, entfernt sich aber auch regelmäßig von ihr, um Bilder zu finden für die Leere, die die Zensur erzeugt. Immer wieder gleitet die Kamera gespenstisch über die Autobahn, irrt in einer Architektur umher, die nicht für Menschen gemacht ist, wie der schnelle Blick auf ein „Auto-Hotel“ unterstreicht. Hochhäuser ragen in den Himmel, Autos fahren vorbei, die Menschen aber sind in den Aufnahmen von Kameramann Jérôme Colin unsichtbar und unnahbar.

Ein huldigender Monolog

Die unheilbringende Leere kontrastiert mit Bildern des Protests, die sich ebenfalls durch den Film ziehen. Zu Beginn etwa, als sich Menschen vor dem Innenministerium versammeln, um des ermordeten Journalisten Javier Valdez Cárdenas zu gedenken. Silence Radio zeigt auch Bilder der Demonstrationen nach der Massenentführung von 43 Studierenden oder nach der Entlassung von Aristegui. Die Menschen sind dicht an dicht gedrängt, die Handkamera ist unter ihnen, eine von ihnen. Schon in den ersten Szenen ist sie sehr nah an Aristeguis Gesicht, ihr entgeht nichts von der Mimik, auch nicht die Hände, die in einer Geste der Unterstützung und der Bestätigung Aristegui kurz berühren. Fanjul erzählt, sie habe das Vertrauen der Journalistin erst gewinnen müssen, doch deren „Gefühl von Dringlichkeit“ habe dazu geführt, dass „sie sich öffnete“. Von diesem Prozess ist in Fanjuls Film wenig zu spüren. Die Kamera ist von Anfang an nah, aber Aristegui scheint von ihr keine Notiz zu nehmen. Silence Radio ist kein Dialog zwischen Fanjul und Aristegui, sondern ein huldigender Monolog, den Fanjul über Aufnahmen vom Arbeitsalltag von Aristegui stülpt.

Es sind wahrlich Aufnahmen vom Alltag. Silence Radio kennt die Inbrunst, etwa, als auf einer Demonstration Flammen den Kopf einer übergroßen Papierfigur, die den Präsidenten Enrique Peña Nieto darstellt, vom Körper abtrennen, während Fanjul im Voice-over vom verrottenden moralischen Rückgrat des Landes spricht. Wenn sie Aristegui beobachtet, ist Fanjul aber nicht auf der Suche nach einer passgenauen Inszenierung und nimmt auch Abschläge beim Erzählrhythmus in Kauf. Sie nimmt bereitwillig, so scheint es zumindest, das auf, was sie eben zu sehen bekommt: Aristeguis Blick auf die Bauarbeiten neben dem Büro, das sie mit ihrem Team neu bezieht; die erste Internet-Sendung, die sie aufnimmt; Passanten, die ihr Unterstützung zusprechen.

Einen Raum schaffen

Silence Radio ist kein Blick hinter die öffentliche Person Aristegui. Man erfährt am Rande, dass die Journalistin ihren Sohn auf eine Schule in die USA geschickt hat, um ihn zu beschützen. Mehr gibt es aber nicht über ihr Privatleben und auch nicht darüber, was sie dazu geführt hat, eine der wichtigsten Stimmen in Mexiko zu werden. Fanjuls Film ist also weniger ein Porträt als ein Raum für diese Stimme; und es ist weniger ein Film über Aristegui als ein Film darüber, welche Bedeutung jemand wie sie für Fanjul und Millionen andere Menschen in Mexiko haben kann. Silence Radio erzählt von der Zensur; in erster Linie aber nicht davon, was es für Aristegui selbst bedeutet, zensiert zu werden, sondern was es für ihre Zuhörerschaft bedeutet, dieser Stimme beraubt zu werden. In einer der eindrücklichsten Szenen des Films überlagert Fanjul die Bilder einsam in die Höhe ragender Sendemasten mit empörten Zuhörerbeiträgen: „Alles, was ihr als Journalistin schadet, schadet uns als mexikanischen Bürgern.“

„Es war einmal ein weißes Haus in einem luxuriösen Viertel in Mexiko-Stadt, bewohnt vom Präsidenten des Landes, und es waren auch die Journalisten, die seine Geschichte erzählten. Die Geschichte endete mit Zensur.“ So beginnt Aristegui 2016 ihre Rede vor der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte. Tatsächlich verleiht auch Fanjuls Voice-over dem Film einen märchenhaften Anstrich, ihre Stimme vermittelt Rätsel und Unheil, aber auch eine distanzierende Leichtigkeit. Und wie in einem Märchen gibt es zum Schluss die Losung des Helden: „Optimismus ist eine moralische Pflicht.“

Den Film kann man bei Kino on Demand streamen.

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