Shock Wave – Kritik

Neu auf DVD: Herman Yau ordnet in Shock Wave Actionfilm und Melodrama einer gnadenlosen Todesstochastik unter, die jeden verschlingt, der nicht den richtigen Draht erwischt.

Die Särge der Polizisten sind in die Flagge Hongkongs gehüllt. Aus der Luft betrachtet wirken sie wie Pflanzen, wie ein streng symmetrisch angelegtes Blumenbeet. Doch die einzigen Blumen sind die Bauhinien der Landesflagge. Sie erinnern daran, dass nicht jede Explosion verhindert und nicht jede Geisel gerettet werden kann – und daran, dass Herman Yau in Shock Wave keine seiner Figuren von der tödlichen Energie einer Explosion schützt.

Tödliche Stochastik

Die Bombe unterscheidet nicht. Auch deswegen ist die Bombenentschärfung als Topos des Genrekinos so erfolgreich wie berüchtigt: Die Konsequenzen sind schrecklich, der Versuchsaufbau so eindeutig wie unberechenbar. Es braucht nur zwei Drähte in zwei Farben und damit zwei Möglichkeiten, die flexibel auf alle Formen von Spannung und Suspense anwendbar sind. Ein Münzwurf mit potenziell tödlichen Konsequenzen, dafür stehen die Särge der Polizisten als Beweis.

Für Yau ist jede Entschärfung Teil einer Todesstochastik, die geläuterte Kriminelle, Aktienmillionäre, Geiseln und Polizisten gleichermaßen ins Fadenkreuz nimmt. Bomben unterscheiden nicht zwischen Schuld und Unschuld. Entsprechend begreift der Kampfmittelbeseitiger J.S. Cheung (Andy Lau) seinen Beruf als humanitäre Aufgabe. Seine Vergangenheit als Undercover Agent endet mit der Eröffnungsszene des Films. Bei einem Bankraub mit anschließender Verfolgungsjagd muss er seine Tarnung aufgeben, um das Leben eines Polizisten zu retten – und gleichzeitig mitansehen wie andere von ihnen durch Autobomben des Terroristen Peng Hong (Jiang Wu) getötet werden. Nachdem er dessen Bruder verhaftet, arbeitet er fortan für das EOD (Explosive Ordnance Disposal Bureau).

Die Countdowns werden kürzer

Die Instrumente und Mechanismen, mit denen das EOD agiert, sind die gleichen, auf die sich das Kino bei Entschärfungen seit jeher verlässt. Die gute alte Drahtschere ist (neben ein paar mit CGI vorgestellten Luxuswerkzeugen: eine Bohrmaschine zur Zünderverschließung, Verdichtungsflüssigkeit und Flüssigstickstoff) die Waffe der Wahl. Yau macht gleich mit der ersten Blindgängerentschärfung klar, dass er nicht vorhat, erprobte Motive über den Haufen zu werfen. Er verschärft lediglich die Spielregeln, um zeitgleich die Sprengkraft zu erhöhen. So werden die Entschärfungen, zu denen Cheung aufbricht, sukzessive zu unlösbaren Aufgaben. Die von Peng Hong, der Jahre nach der Verhaftung seines Bruders noch auf Rache sinnt, entwickelten Zündermechanismen werden zunehmend perfider, die Countdowns immer kürzer. Das geht so weit, dass reguläre Entschärfungen mitunter nicht mehr möglich sind, Cheung vielmehr durch den Hongkonger Stadtverkehr hetzen muss, um eine Bombe vor der Detonation ins Hafenbecken zu schleudern.

Wieder und wieder beweist Yau in Shock Wave seine Fähigkeit, die Durchschlagskraft von TNT, Composit B und C4 in all denkbaren Abzweigungen des Actionkinos zu lenken und dem simplen Versuchsaufbau der Kampfmittelbeseitigung neue Dynamik zu verleihen. Die von Peng Hong in unendlicher Variation gelegten Bomben werden nicht nur nach schlichten Mustern entschärft, sondern legen Autos, Häuser und Tresore und schließlich ganze Großbauprojekte in Schutt und Asche. Für seinen finalen Streich, der den fast einstündigen Showdown einleitet, vermint der Terrorist Hong den gesamten Hongkonger Cross-Harbour Tunnel, der Kowloon und Hongkong Island verbindet.

Ringwechsel der Genres

Obwohl dieser Showdown als Geiseldrama in die Tiefe des Cross-Harbour-Tunnels führt, bricht der Terror schließlich auch in Cheungs Privatleben ein – zunächst als eine durch die permanente Bedrohung durch Sprengvorrichtungen ausgelöste Paranoia, die das morgendliche Frühstück mit seiner Frau Carmen Li (Jia Song) begleitet und den Gasherd, den Cheung gelassen bedient, für den Zuschauer als potenzielle Todesfalle erscheinen lässt. Die gefühlte Bedrohung wird konkret, als Carmen entführt und in den Kofferraum eines Wagens gesperrt wird – eine scharfe Handgranate in der Hand. Um sie zu retten, muss Cheung sich, Carmen und die Granate mit einem Klebeband verzurren, das verhindert, dass Carmen vor Erschöpfung den Bügel loslässt und eine Detonation auslöst. Aneinander gefesselt schreitet das Paar, das noch vor wenigen Tagen offen die Scheidung diskutierte, an einen aufgetürmten Sandsackbunker. Im Angesicht der Explosion wird die Ehe ein zweites Mal geschlossen, und Yau vermählt hier nicht nur Figuren, sondern auch Genres. So geraten Melodrama und Heroic-Bloodshed-Scharmützel gemeinsam in die erbarmungslose Logik der Todesstochastik, mit all seiner bitteren Konsequenz.

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