Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? – Kritik
Wie es wirklich war, ist fraglich: Mohammad Shawky Hassan bittet ehemalige Liebhaber zum Gespräch. Sein Essayfilm ist eine queere Sammlung ziemlich erotischer Märchen aus Tausendundeiner Nacht und der Gegenwart.

Es war einmal vor langer, langer Zeit ein Mann, der traf im Wald einen anderen Mann. Ein Blick, ein Lächeln, ein Rendezvous, ein kleines Zimmer wird Zeuge einer gemeinsamen Nacht. Sie scheint nicht enden zu wollen, diese Nacht, sie darf nicht enden, wird doch der Tag das Paar wieder trennen. Die beiden Männer bleiben im Zimmer unter der Sternendecke liegen, wo auch schon vor ihnen die Liebenden lagen, bis die Sonne aufgehen und eine neue Geschichte anfangen wird, die wir längst kennen, aber uns immer wieder erzählen, von einem Mann vielleicht, der einen anderen Mann traf, vor langer, langer Zeit.
Wo beginnt die Geschichte?

„Dies ist eine Geschichte über Lieben und Leben“, verkündet die Erzählerin zu Beginn in Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? von Mohammad Shawky Hassan. Vor allem ist dieser Essayfilm, der nach dem 18. Sonett von Shakespeare benannt ist, jedoch eine Geschichte über das Geschichtenerzählen und die Bedingungen einer gemeinsamen Geschichte. Ausgehend von traditionellen Liebeserzählungen, allen voran ausgewählten, ziemlich erotischen Märchen aus Tausendundeine Nacht, legt der Regisseur eine eigene, queere Sammlung an, ergänzt die Sagen um Gedichte, biografische Anekdoten, ägyptische Popsongs, Musical-Sequenzen, Animationen und Filmschnipsel. Seine vergangenen Liebhaber bittet er zum Gespräch, um ihnen stets dieselbe Frage zu stellen: „Weißt du noch, wie wir uns das erste Mal begegnet sind?“

Diese Begegnungen (Hausparty, Bar, Autopanne, Grindr-Date) werden vor der Kamera erinnert und revidiert, zusammen korrigiert und nachgespielt. Dabei versuchen Hassan und seine Gesprächspartner häufiger, sich auf eine Version ihrer Geschichte zu verständigen. Entgegen einem faktischen Interesse rückt so in Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? stärker der dialogische Prozess des Findens in den Mittelpunkt, die Fabulation, in der Vergangenes überschrieben und genau fraglich wird, wie es denn wirklich war. Ein charmantes Verfahren, das die Männer, die sich teils nur aufgrund des Filmes wiedersehen, in jener Fragilität der Situation schützt und schwule Geschichte zwischen Vergessen und Erinnern, persönlichem und kollektivem Gedächtnis entwirft: „Sag die Wahrheit, ich muss es wissen“, singt derweil die Erzählerin.
Die Kunst des Wiederauftauchens

Das Unwirkliche, das Fantastische wird zugleich an den Orten bemerkbar, an denen der Film spielt. „Sheherazad“ heißt der Nachtclub mit Neonbeleuchtung, in dem gesungen, geknutscht und diskutiert wird, worüber mal an einem nächsten Morgen gesprochen wurde – wie die Märchenfigur aus Tausendundeine Nacht, die der Erzählerin im Film ähnelt und die nicht aufhören kann zu erzählen, ohne Angst um ihr Leben haben zu müssen. Soll ich dich einem Sommertag vergleichen? feiert Film als eine Kunst des Verschwindens zum einen, als eine des Wiederauftauchens zum anderen, indem er den Innenraum mithilfe eines Greenscreens erweitert, im besten Sinne unglaubwürdige Reisen anstellt zum Mond und zum Meer, in dessen Wellen sich verflossene Partner ebenso erkennen lassen wie die Hoffnung auf Versöhnung.
Von Eifersucht erzählt dieser Film und von Trauer, von Liebeskummer, Verführung und dem Glück, das in einer geteilten Zigarette stecken kann; von Freundschaft, Zusammenhalt, Polyamorie; von dem Gefühl, eine Beziehung geheim halten zu müssen, und den Strukturen, in denen wir leben. Dieser Film tut all das verspielt, verschachtelt, verzweifelt, pathetisch, ironisch, suchend, sicher mit dem Wissen, dass die Märchen nicht immer gut ausgehen. Er wagt es aber, davon zu träumen, für diese eine Stunde, diese eine Nacht, in der wir beisammen sind und uns gegenseitig lauschen.
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