Verführt und verlassen – Kritik

James Toback und Alec Baldwin reisen nach Cannes, um Geld für ein Filmprojekt einzutreiben. Aus diesem Trip ist ein Film entstanden, dessen Teile besser sind als sein Ganzes.

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Das Drama des Kinos, der Kunst, der Industrie, schon in die Architektur eingefasst. Der Festivalpalast in Cannes, riesiger Klotz mit unübersichtlichem Inneren, mit lauter Treppen und Seitenflügeln, mit Brücken von einem Trakt zum anderen, das alles direkt am Hafen. Aber die Luftlinie zwischen der Leinwand des ehrwürdigen Grand Théâtre Lumière und dem vom Kino so häufig angebeteten Fluchtpunkt Strand wird auf halbem Wege schwer gestört. Im hinteren Teil des Palais befindet sich der Filmmarkt, auch ein Hafen, vor allem für all jene, die nicht der gegenwärtigen Filmkunst huldigen, sondern sich mit der Zukunft befassen wollen oder müssen. Cannes als ultimative Verkörperung des schizophrenen Kinos: Während im einen Teil des Palais die neuesten Werke beklatscht werden, wird im anderen gefeilscht und kalkuliert, werden Kompromisse eingegangen, wird Interesse geheuchelt.

Merkwürdig gut oder merkwürdig schlecht?

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Das ist nun nichts Neues, aber weil auch Verführt und verlassen (Seduced and Abandoned) dieses Motiv so ernsthaft und akribisch einführt, machen wir erst mal mit. Wie ernst hier allerdings was gemeint ist, wird bis zum Schluss nicht so recht klar. Das hat mit einem Film zu tun, den es gar nicht gibt und den es auch nie geben wird. Er heißt Last Tango in Tikrit und handelt von einem erzkonservativen US-Agenten, der sich im Irak auf eine Sexaffäre mit einer linksliberalen Journalistin einlässt. Mit diesem Stoff im Gepäck kommen James Toback und Alec Baldwin an der Croisette an und wollen hausieren gehen. Neve Campbell ist sofort an Bord, den Hauptpart soll ohnehin Baldwin spielen. Fehlt nur noch das Geld.

Verführt und verlassen ist ein schräger Film, was man ihm positiv wie negativ auslegen kann. Unterstellt man ihm den ernsthaften Anspruch, die Gegenwart der Filmindustrie zu sezieren, zu beweisen, dass riskante Projekte von Beginn an keine Chance haben, dann ergibt das alles nicht viel Sinn. Die Produzenten, mit denen Toback und Baldwin sprechen, sind im besten Fall skeptisch, sagen die üblichen fünf Millionen zu, die man stets wieder einspielen kann, darüber hinaus geht nicht viel. Angesichts des eigenwilligen Pitches, der zu einem Beispiel für gewagtes Kunstkino hochstilisiert wird, kann man die fiesen Kapitalisten und ihre Ablehnung ziemlich gut verstehen.

Selbstverliebte Selbstironie

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Doch wahrscheinlich geht es gar nicht so sehr um die Denunziation risikoscheuer Anleger, sondern eher um Schabernack. Baldwin und Toback wissen schließlich selbst, dass sie nicht gerade ökonomische Zugpferde sind und dass es beim Filmemachen vor allem um den schnöden Mammon geht. Das Leben eines Regisseurs besteht zu 95 Prozent aus dem Geldeintreiben, zu fünf aus dem Filmen, so steht es ja bereits im Orson-Welles-Zitat, das dem Film vorangestellt ist. Dass ihr Umgang mit dem Sujet sich also bald als ein spielerischer herausstellt, das tut Verführt und verlassen zwar gut, weil es ihn von allzu hoher Bedeutung entlädt. Doch zugleich verschiebt es das Problem des Films vom Ansatz auf die Ausführung. Und da lässt Toback in bunter Godard-Manier die Welles’sche Mathematik des 95:5 aufblitzen, da begleitet niemand geringeres als Shostakovich den kompletten Film mit seiner Fünften. Alles nicht so ernst gemeint, schon klar, aber auch spielerische Selbstironie kann manchmal ganz schön selbstverliebt daherkommen.

Toback und Baldwin sind jedenfalls Fans des eigenen Films. Gleich zu Beginn freuen sie sich auf ihr „unkategorisierbares“ Werk, dem sie eine ähnlich gespaltene Persönlichkeit attestieren wie dem Festival von Cannes. Vielleicht meinen sie damit das freche Schüren von Zweifeln, was von dem, was wir da sehen, eigentlich unverstelltes Dokument ist, was geplant und inszeniert, vielleicht meinen sie auch die hektische Inszenierung mit rasantem Schnitt und Split-Screen-Montagen. Wie auch immer, ihr Film funktioniert am besten, wenn er ganz leicht zu kategorisieren ist: wenn er Anekdoten von Festivalbesuchern sammelt; wenn Toback und Baldwin mit Regiegrößen der letzten Jahrzehnte – Bertolucci, Coppola, Scorsese – ins Plaudern kommen; wenn sie mit Jessica Chastain und Ryan Gosling jene doch so harmlos daherkommenden Schauspieler interviewen, die ihnen immer wieder als Beispiel für filmisches Humankapitel erster Güte, für die sicheren Milliarden genannt wurden; wenn Toback die verblüfften Produzenten wie Filmemacher wie Schauspieler schließlich fragt, ob sie Angst vorm Sterben haben.

Fluch und Segen mangelnder Ambition

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So ist Verführt und verlassen immer dann am stärksten, wenn er nicht mehr sein will als seine Teile. Denn diese Teile sorgen für durchaus vergnügliche anderthalb Stunden, die von den konzeptionellen Schwächen zum Glück nur selten gestört werden. Bei manchen von ihnen wird man gewahr, an welchen Ecken Zuspitzungen und Ausführungen möglich gewesen wären. Wenn etwa Martin Scorsese – wie immer verantwortlich für die Action-Sequenzen im Talking-Heads-Kino – in wenigen Sätzen klar macht, dass die Geldgeber von heute keine ahnungslosen Kunstbanausen sind, sondern eben nicht der New-Hollywood-Ära, sondern einer gänzlich anderen Zeit entstammen, dann bedauert man ausnahmsweise mal die mangelnde Ernsthaftigkeit des Films. Denn die Klage mag seit Welles’ Zeiten die gleiche gewesen sein, die Splitterpersönlichkeit das Kino von Anfang an ausgezeichnet haben, doch der Diskurs darüber hat sich ständig verändert. Dass Toback und Baldwin an dieser Form von Zeitdiagnose kaum interessiert scheinen, das mag uns vor noch mehr falscher Ambition bewahrt haben, das lässt sich mit Blick auf die aufgeworfenen Fragen aber auch gern bedauern.

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