Schönefeld Boulevard – Kritik

So wie der Großflughafen stehen auch Cindys Hoffnungen still. Sylke Enders macht aus einem vorhersehbaren Ansatz einen angenehm unvorhersehbaren Film.

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Erst mal kein gutes Zeichen für eine Protagonistin, wenn es fiese Mitschüler und unsympathische Eltern braucht, um uns auf ihre Seite zu ziehen. Cindy (Julia Jendroßek) geht körperlich etwas in die Breite, wird vor allem von ihrem Vater notorisch unterschätzt, von ihrer Mädelsclique zwar irgendwie akzeptiert, aber auch mit unvorteilhaften Facebook-Fotos geärgert. Andererseits handelt Sylke Enders (Mondkalb, 2009) diese Motive so zügig ab, dass da auf jeden Fall noch etwas anderes kommen muss. Überhaupt hängt von Beginn an eine leicht schräge, schwer greifbare Stimmung über den Bildern, weit entfernt von den üblichen Tonlagen des deutschen Betroffenheitskinos. Cindys erstes Voice-over, eigentlich voller Ausweglosigkeit-Plattitüden, wird eher so hingerotzt, und das nicht nur wegen der kalkulierten Randberliner Schnodderigkeit: Auch innerhalb der gesamten Exposition bleiben die Sätze filmisch unterbetont, ein bisschen for the record, als wäre diese Einführung eigentlich unwichtig.

Der Finne in der Wanne

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Und tatsächlich dreht Schönefeld Boulevard bald darauf ziemlich ab, weil Cindy ziemlich abdreht und sich in einen finnischen Ingenieur (Jani Volanen) verliebt, dem sie bald eine Hotelzimmer-Badewanne volllaufen lässt und mit Rosen dekoriert. Cindy ist auf einmal nicht mehr schnodderiges Opfer, sondern verrückt-verknallte Nudel. Das passiert so urplötzlich und erscheint so wenig motiviert, dass man erst mal gar nicht weiß, ob man sich gerade für Figur oder Film fremdschämt. Der ebenso unangenehm berührte Finne will jedenfalls nicht baden. „Du darfst aber gerne“, bietet er Cindy seine Wanne an, die nun aufgedreht, aufgeregt, erregt ist – und natürlich bald enttäuscht wird, als ihr Schwarm nach dem ersten Techtelmechtel zum Rückzug bläst und was von seiner Frau in der Heimat stammelt.

Erst jetzt kann der Film so richtig anfangen, weil nach diesen beiden Episoden die zunächst scheinbar so klare Figurenzeichnung wieder völlig verschwommen ist – und Cindy leben kann. Sie hat die beiden für potenzielle Mobbingnarrative so beliebten wie abgedroschenen Subjektmuster mit zugehörigem Rezeptionsmodus – das arme Opfer für Betroffenheits- und die trotzige Verrückte für Sympathiepunkte – nur durchgespielt, um sie hinter sich zu lassen. Cindys Rückschläge wollen fortan nicht mehr unser Mitleid, ihre Sprüche sind nicht auf den schnellen Effekt ausgelegt. Ihr zunehmend selbstbestimmter Weg zu Abi und Abi-Ball (und traditionell ist Letzterer fürs Coming of Age natürlich das wichtigere Ding) ist weniger verordnetes Empowerment durch zählbare Akte des Widerstands als ein Indifferent-Werden. Und das nicht nur gegenüber fiesen Sprüchen und elterlichen Zurechtweisungen, sondern vor allem gegenüber jeglichen ihr vom Film zugedachten Funktionen. Cindy reift nicht bloß im Angesicht ihres feindlichen Umfelds und ihrer Sorgen, sondern im aktiven Ringen mit einem Film, der sie mit bedeutungsschwangeren Sätzen als passiv eingeführt hat, sich nun aber selbst zurücknehmen muss und seiner Protagonistin das Feld räumt.

Schönefelder Hafen

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Der Genuss dieses Films speist sich zunehmend aus seiner weirdness. Man sucht innerhalb der stets deutlich spürbaren Zwänge des deutschen Förderkinos ja allzu gern nach den kleinen narrativen und ästhetischen Subversionen, ein bisschen wie man in Hollywoodfilmen der Code-Ära nach den politischen suchte. In Schönefeld Boulevard wird man durchaus fündig, es lässt sich hinwegsehen über die fleißig gesammelten Distinktionsmerkmale und Checkpoints – der „ironische“ Titel, den das Drehbuch unter einigen Verrenkungen gleich mehrmals im Film unterbringen muss; die „auflockernden“ Jokes durch schlechtes Berliner-Schnauze-Englisch à la: „I want to make it good again“, die aktuellen Bezüge: Cindys bester, weil einziger Freund Danny (Daniel Sträßer) macht sich bald auf nach Afghanistan. Der Umgang mit diesen Motiven ist doch meist angenehm unernst. Danny kehrt bald zurück, aber ganz ohne Trauma, dafür mit Windpocken.

Vor allem Schönefeld bietet natürlich einen Aufhänger und Zeitbezug, als für metaphorische Höhenflüge in alle möglichen Sphären ausbeutbares Symbol – für verschleudertes Kapital, für Stillstand, für Großprojektwahn. Aber auch hier bleibt der Film nicht in der so günstig vorgefertigten Bahn. Schönefeld ist zwar Ruine, aber nicht, weil hier mal was war, sondern weil hier mal was werden soll. Und so zieht dieser Ort weniger die Alt- als die Neuklugen an. Auf den finnischen Ingenieur Leif folgt der koreanische Informatiker Park (Yung Ngo), dem Cindy kein Rosenbad schenkt, mit dem sie aber Tischtennis spielt. Der Großflughafen Berlin-Brandenburg ist weniger Megaprojekt als schlicht ein Flughafen ohne Flüge, und deshalb Hafen. Und Cindy wird zur Empfangsdame.

Fetti ist jetzt was Besonderes

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Während Dannys Kindereien nach der Rückkehr aus dem Dienst fürs Vaterland immer regressiver werden – bekifft erzählt er nicht vom harten Krieg, sondern von Afghanen, die scheißeverklebt aus einem Dixiklo kommen –, entdeutscht sich Cindy durch ihre Begegnungen mit angespülten Fremden. Deren Charakter ist glücklicherweise weit entfernt von plattem Multikulti, Leif und Park sprechen ja eh deutsch und sind einfach interessantere Menschen als die Alters- und Landesgenossen. Wenn Cindy verzweifelt versucht, das koreanische Wort für „Danke“ zu lernen oder nach Infos über Finnland googelt, dann spricht daraus eher eine Neu-Gier als Faszination für Exotisches, mehr Weltwunsch denn Fernweh. Dass für diese erstarkte Hoffnung auf ein spannenderes Leben und das durch sie gewonnene Selbstvertrauen ein Preis zu zahlen ist, erfährt Cindy wiederum durch Danny. „Du hältst dich wohl für was Besonderes!“, schreit dieser ihr irgendwann wütend hinterher – ein Vorwurf, der das vermeintlich freundschaftlich gemeinte „Na, Fetti“ ablöst, mit dem er seine Jugendfreundin früher stets begrüßt hat. Cindys Zukunft weist deshalb auch weniger auf weitere Schritte der Persönlichkeitsentwicklung hin als auf das notwendige Klarkommen im Raum zwischen verordnetem Opfertum und angeblicher Arroganz.

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Was Schönefeld Boulevard darüber hinaus, ob nun intendiert oder nicht, anregend macht, ist eine – wiederum dem Charakter des geplanten Großflughafens entsprechende – Unfertigkeit, in der sich Ambition und Bescheidenheit aneinander reiben, und dabei kommt weder die Behauptung von großem Kino noch eine ausgestellte Intimität heraus. Den Film zeichnet eine Klobigkeit aus, die Handlung und Themen am Boden hält und die Deutlichkeiten immer wieder hintertreibt, schon auf Bildebene: Auch die Szenerien wollen sich nie so richtig smooth in die Cinemascope-Kader einpassen. Fast schade deshalb, dass Enders am Ende doch abheben, die eher melancholische Grundhaltung ihres Films zu waschechter Tragik ausbauen will. Denn wofür braucht ein Hafen schon Flüge.

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Kommentare


varadi

Der Film ist meines Erachtens kein Außenseiterfilm. Weder bezieht er eine Gegenposition zur Mainstreamgesellschaft, noch kritisiert er diese. Stattdessen liegt die Erfüllung darin, beim Abi-Ball gut rüberzukommen.

Der Film zeichnet furchtbar dumme Geschlechterverhältnisse. Während für Cindy das Prinzessinenschema gilt, ist Dannys männliche Problemwelt einseitig negativ.

Cindy kann nur zur Frau werden kann, wenn sie schön und für Männer attraktiv ist. Dann klappt das auch mit dem Selbstbewusstsein. Die Frau kann eben nur durch den Mann zum Mensch werden. Abschließend macht sie sich dann auch noch für das Schicksal von Danny verantwortlich.
Danny ist gewalttätig, unfreundlich, berauscht, und unsympathsch. Dahinter steht ein blockierter, sich selbstverachtender Charakter, der verloren gegeben wird. Er dient nur als Folie um Cindys Entwicklung zu veranschaulichen. Die männliche Destruktivität endet dann natürlich im Selbstmord, was sonst.

Am Ende steht dann wieder das Selbstoptimierungscredo: Ich bin was Besonderes und mache meinen Weg.

Schade um die guten Ansätze und die interessante Stimmung des Films.






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