Schneewittchen – Kritik

Schicker Stehkragen gegen bauschiges Bauernkleid: Allzu viel Neues hat Marc Webbers Realfilm-Version von Disneys Schneewittchen nicht zu bieten. Dramaturgische Spannung findet sich vor allem in den widerstreitenden Kostümen und Blicken der Hauptdarstellerinnen.

Es sind die Augenbrauen! Es dauert mindestens ein Dutzend Großaufnahmen, bis ich draufkomme. Schneewittchens Brauen sind nicht ganz symmetrisch, die rechte franst zur Mitte hin ein klein wenig aus, und es ist diese winzige Asymmetrie, die Rachel Zeglers ansonsten bloß hollywoodperfektem Gesicht einen ganz besonderen, eigenwilligen Reiz verleiht. Vielleicht steht auch der Zauberspiegel, in den die von Gal Gadot verkörperte böse Königin schaut, im Bann der Augenbraue, wenn er die Frage der Herrscherin, wer denn die Schönste sei im ganzen Land, eines Tages beantwortet mit: Nicht mehr Du, oh trotzdem bildschöne Königin, sondern eben Schneewittchen.

Stimmen wir dem Spiegel zu? In der Schneewittchen-Realverfilmung von Regisseur Marc Webb, mit der die Disney-Studios eine lange Reihe ähnlicher Neuauflagen ihrer bekannten Zeichentrickfilme (König der Löwen, Aladdin, Dumbo und so weiter) fortsetzen, schaut Gadot natürlich ebenfalls ganz famos aus. Vor allem dank eines dunkel funkelnden, brillantenbesetzten, mit einem ultraschicken Stehkragen versehenen und einer Kristallkrone kombinierten Glamourkostüms. Hauteng liegt es an ihrem Oberkörper, fast wie Fetischkleidung, wobei, das fällt mir gleichfalls erst nach einer Weile auf, das Outfit auch bei ihr mithilfe einer sanft geschwungenen Stirnmaskierung insbesondere die Augenpartie akzentuiert.

Einladende und abweisende Schönheit

Schneewittchens Schönheit ist weniger bedrohlich und weniger aufregend als die der Königin. Es ist außerdem eine weniger aristokratische, eher bäuerliche Form von Schönheit, worauf vor allem ihr bauschiges, gelbes Rockteil verweist. Ein bisschen wie eine ältere Heidi schaut sie aus, überhaupt hat Zeglers Gesicht etwas von dem einer Zeichentrickfigur, insbesondere wenn sie singt und ihren Mund dabei wunderbar weit aufreißt. Wie aus dem Ei gepellt schaut sie jedenfalls aus, als wäre sie schon in genau diesem Aufzug auf die Welt gekommen, während die Kleiderhülle der Königin eher den Körper unter der Pelle betont und als Attraktion ausstellt. In der Originalfassung ist der Unterschied auch linguistisch markiert: nicht nach „the most beautiful“ wird der Spiegel gefragt, sondern nach der „fairest of them all“. „Fair“ ist Schönheit dann, wenn sie noch nicht vom Makel des Begehrens befleckt wurde.

Verkompliziert wird die Sache allerdings dadurch, dass Schneewittchens Schönheit gleichzeitig nahbarer ist als die der Königin. Wo letztere einsam auf ihrem dunklen Thron sitzt und nur sehr gelegentlich distanzierte Audienz hält, geht erstere in die Welt hinaus, um angeschaut zu werden. Von dem Jägersmann, der vom Anblick der hilflos um ihr Leben fürchtenden Prinzessin so gerührt ist, dass er es nicht übers Herz bringt, sie, wie von der Königin befohlen, zu töten. Von den sieben Zwergen, die sich zunächst fürchten, als sie in ihren Betten eine unförmige Gestalt erblicken, die dann aber erleichtert Schneewittchens friedlich schlafendes Gesicht unter der Decke freilegen. Vom feschen Rebell Jonathan schließlich, dessen eigene Schönheit freilich erst im Glanz des erwiderten Blicks Schneewittchens so recht zur Geltung kommt. Das Liebesduett der beiden ist die beste Szene des Films, die einzige vielleicht, die der Zeichentrickvorlage aus dem Jahr 1937 etwas Substanzielles hinzufügt.

Keine Neuinterpretation, eher eine punktuelle Begradigung

Also noch einmal: Wer ist die Schönste im ganzen Land? Schneewittchen oder die böse Königin? Einigen wir uns auf Unentschieden. Die Frage ist jedenfalls deutlich interessanter als das Diskursdickicht, in dem sich der Film inzwischen ziemlich gründlich verfangen hat. Schon Jahre vor Kinostart wurde, nach einigen nicht unbedingt wohlbedachten Interviewsätzen Zeglers, über einen womöglich zu „woken“ Schneewittchen-Realfilm spekuliert. Boykott-Forderungen machen die Runde – teils freilich auch aufgrund Gal Gadots Solidarität mit ihrem Heimatland Israel nach den Massakern der Hamas.

Und der Film selbst? Wie so oft wird in Hollywood weniger heiß gegessen als gekocht. Sollte Disney tatsächlich einmal vorgehabt haben, der Märchenerzählung ein radikal zeitgeistes Update zu verpassen, in dem Schneewittchen zur lautsprecherischen Kämpferin für soziale Gerechtigkeit mutiert, haben die Verantwortlichen ihre Ambitionen in der Zwischenzeit zumindest zurückgeschraubt. Ein Hauch von Girl Power hier, ein tongue-in-cheek-Dialogsatz über strukturelle Gewalt (oder etwas in der Art) dort, sehr gelegentlich laufen ein paar schwarze Menschen durchs Bild, das war’s. Im Kern orientiert sich der Film an der Vorlage aus dem Jahr 1937, die er mit einigen neuen, einigermaßen catchy Songs aufmischt, die er ansonsten aber weniger politisch als poetologisch begradigt. Schneewittchen interagiert diesmal weniger mit Tieren (ein paar gibt es zum Glück doch, vor allem ein putziges CGI-Reh) und dafür mehr mit Menschen (leider meist mit ziemlich langweiligen), die sieben Zwerge albern weitaus weniger ausgelassen herum, die impressionistisch-malerisch entgrenzte Zeichentrick-Märchenwelt wird zum – immer noch recht hübschen, vor allem hübsch grün ausstaffierten – mittleren Fantasy-Realismus eingedampft. Allzu viel Aufregendes gibt es also nicht zu sehen in Schneewittchen 2025. Bis auf, siehe oben, Rachel Zeglers Augenbrauen.

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