Saint Amour - Drei gute Jahrgänge – Kritik

Ein Vater, ein Sohn und ein Taxifahrer gehen auf Tour und blamieren sich oft. In Benoît Delépines und Gustave Kerverns Saint Amour droht die Sparwitzflamme zu erlöschen.

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In einer der auffälligsten missglückten Szenen von Saint Amour erklärt der Vollalkoholiker Bruno (Benoît Poelvoorde) seinem Taxifahrer Mike (Vincent Lacoste), über dessen englischen Vornamen zuvor ausladend gewitzt wurde, die zehn Stadien des Saurausches. Zunächst das Trinken, später dann Gewaltbereitschaft und Liebesbedürfnis, Armseligkeit, Sexualverlangen, Tiefschlaf und anderes dazwischen. Illustriert werden diese Stadien mit Aufnahmen Brunos, der sich sukzessive durch sie hindurchsäuft, bis er irgendwann, mit am Unterhosenbund eingeklemmtem Penis und Sabber im Lippenwinkel komatös vor sich hin schnarcht. Saint Amour ist aber im Grunde kaum mehr als eine furchtbar infantil geratene Exploration nur eines dieser Stadien, nämlich jenes der Armseligkeit; und zwar mit oder ohne Komasaufen. Wenn Brunos Vater Jean (Gérard Depardieu) seiner bereits verstorbenen Frau regelmäßig auf die Mailbox spricht (auch Mike ruft gelegentlich Frau und Kinder an, die es in Wahrheit nicht gibt), dann ist in diesen Szenen nichts von jenem Verlust zu spüren, der sich für die Dauer einer Mailboxansage einholen lässt, vielmehr bleiben diese Anrufe Gesten eines Unbeholfenen, Gesten eines Dödels, um genau zu sein.

Männer in Damentoiletten

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Den Klamauk von Saint Amour bemisst man besser an der jeweils einzelnen Revue anstatt am Gesamten dieser doch hauptsächlich auf Gürtelhöhe gefilmten Clownerie. In lautes Gelächter bricht man zwar nicht unbedingt aus, aber zumindest grinsen lässt sich, wenn Michel Houellebecq zu Beginn des Films als Hobbyhotelier auftritt und mit gewohnt halbschlafender Mimik ein schrill tönendes Kinderspielzeug demonstriert, oder wenn Depardieu mit einer älteren Dame am Frühstücksbuffet Würstchen gegen Melone tauscht. Ansonsten wird erwartet, dass man über Männer in Damentoiletten lacht, oder über eine ziemlich aus dem Leim gegangene Zwillingsschwester, die eine frustrierende Verwechslung gewahr werden lässt. Saint Amour schickt seine Figuren nicht in die groteske Situation, sondern lässt sie fürs Groteske zahlen. Depardieus Bauch etwa interessiert nur im Hinblick auf das, was er verdrängt, verdeckt oder zerquetscht. Das muss nicht grundsätzlich ein Problem sein, aber eine Regie, die sich de facto von ihren Darstellern aushalten lässt, hat mindestens kein sonderlich ernstzunehmendes Interesse am eigenen Handwerk.

Jacques-Chirac-Kondom

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Diese Indifferenz gegenüber einer originellen und im Ansatz situationskomischen szenischen Gestaltung zeigt sich besonders im Umgang mit jenem Genre, das der Film hier ganz unmissverständlich bedient wissen will: das Road-Movie. Denn die Wein-Tour, die der alte Vater dem eigentlich auch schon ziemlich alten Sohn spendiert, hat wenig damit zu tun, unterwegs zu sein, und hauptsächlich damit, fade Andenken, Etiketten oder im besten Fall eine Kondomverpackung – offensichtlich einmal bei einer Wahlveranstaltung Jacques Chiracs stibitzt – zu sammeln und an eine Frankreichkarte zu tackern. Um Sex geht es natürlich hauptsächlich, um nicht zu sagen, fast ausschließlich, auf dieser Tour, bei der der Vater eigentlich hofft, den debilen Sohn vom Landwirtdasein zu überzeugen. Dass der Sex jede erotische Qualität vermissen lässt, versteht sich von selbst, denn während Jean die Partnerin unter seinem Wanzt vergräbt, schämt sich Mike für sein deformiertes Glied und Bruno, der sich gerade noch rechtzeitig den Chirac überzieht, erkämpft sich, in noch dazu recht unsportlichen fünfzehn Sekunden, seine wohlverdiente Ejakulation – all das zeugt leider nie mehr als von einem (immerhin umgedrehten) Blondinenwitz-Humor.

Unbespielte Räume

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Die Vater-Sohn-Beziehung, in die der Chauffeur dieses Duos irgendwie auch nicht so richtig hineinwächst, bleibt so oberflächlich und skizzenhaft, dass einen noch nicht einmal die inzestuösen Energien, die schon dort entstehen, wo der Vater dem Sohn beim Flirten unter die Arme greift, zu interessieren beginnen. Der Vater weiß um die Armseligkeit des Sohnes, und dieser weiß um die lethargische Kleingeistigkeit des Vaters: Jean spricht gerne in Landwirtschaftsmetaphern, wenn es um Liebes- oder eben Sexkrisen geht. Der Raum zwischen den Figuren bleibt zugunsten permanenter Blamagen völlig unbespielt – auch das ist eine Form von Bloßstellung. Alleine für sich, ist jede Figur nur zur eigenen Demontage in den Ring geschickt. An solchem Prozedere mögen sich die Geschmäcker scheiden, aber letztlich sabotiert sich der Film dadurch selbst. Die Zwangsharmonisierung, auf die Saint Amour auf Sparwitzflamme zuläuft, ist nicht zuletzt deshalb auch ein humoriger Blindgänger, weil der Film, derart von seiner Pointe getrieben, vergisst, dass Pointen erst nach Vorbereitung zünden. In diesem Sinne ist Saint Amour an erster Stelle handwerklich schwach; seine eigene Struktur wackelt. Über Humor lässt sich aber eigentlich erst dann streiten, wenn diese mal steht.

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Kommentare


Frank Pronath

Habe mich eben - wie offenbar auch der überwiegende Anteil der im Berlinale Palast anwesenden Damen und Herren Cineasten - köstlich amüsiert. Der Szenenapplaus (im Zusammenhang mit Depardieus Bauch) sprach jedenfalls für sich. Aus meiner Sicht war dies einer der lustigsten Filme der diesjährigen Berlinale. Unbedingt anschauen!


Max Boe

Ich war auch überrascht über die ausgelassene Stimmung im Kino in Anbetracht der mageren Qualität des Films. Nach ein paar Berlinale-Tagen scheint sich das Publikum aber einfach darüber zu freuen mal gemeinsam beherzt zu lachen. Von mir gibt es keine Empfehlung!


Ingeborg K.

Ich habe das Kino frühzeitig verlassen - so einen schwachsinnigen bis sinnentleerten Film habe ich schon lange nicht mehr gesehen.
Ein Film für simple Gemüter,






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