Risk – Kritik
Das Thema spricht für sich. Was bei Dokumentationen oft ein Problem ist, wendet Laura Poitras zum großen Vorteil von Risk.

Die mediale Aufregung um Wikileaks hat sich gelegt, das Leben geht weiter. Die Parameter von Laura Poitras’ neuem Kinofilm sind andere als bei Citizenfour (2015), dem Film über Edward Snowden, den sie aus aktuellen Gründen dazwischenschob, als sie bereits einige Zeit lang an Risk gearbeitet hatte. Nun scheinen die Höhepunkte im Wirken von Wikileaks gewissermaßen vorbei, andere Plattformen und Organismen haben Leaks veröffentlicht, zuletzt Greenpeace mit dem TTIP-Verhandlungsstand oder das International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit den „Offshore Leaks“ und kürzlich den „Panama Papers“. Poitras hat das, indem sie den Abschluss des Films nicht forciert hat, vielleicht sogar antizipiert, die zeitliche Distanz aber mindestens zu nutzen gewusst.
Keine Fliege an der Wand
Mit Risk legt die Regisseurin jetzt einen Dokumentarfilm vor, der Puzzlestücke zusammenfügt, um immer weiteren Dimensionen des Aktivismus näher zu rücken. Ihre Perspektive ist die einer Vertrauten, aber nicht die einer Fliege an der metaphorischen Wand. Ihre Anwesenheit wird ganz selbstverständlich wahrgenommen und thematisiert, denn die Protagonisten sind Medienprofis. Sie wissen das Auge der Kamera zu schätzen und zu fürchten. Vor ein paar Jahren noch wären sie vielleicht für Paranoiker gehalten worden. Eine solche Frage stellt sich hier erst gar nicht, die Verfolgung von Julian Assange und seiner Kollegen ist längst Realität, als Poitras zu filmen beginnt. Um eine journalistische Aufarbeitung, die widerstreitende Positionen zu Wort kommen lassen müsste, geht es ihr allerdings auch nicht. Risk entpuppt sich als bewusste solidarische Parteinahme mit einem zentralen Motiv der Aktivisten, ihrem Wunsch nach Transparenz – ein Ziel, das nur ein kritisches, differenziertes Bild der Porträtierten für sich beanspruchen kann.
Jenseits des Wow-Effekts
Es hat nichts mit einem Einbruch in die Privatsphäre zu tun, wenn Poitras den Blick hinter die Kulissen von Wikileaks erlaubt. Auch dann nicht, wenn sie Julian Assange in seinem noch heutigen Zwangsdomizil, der Ecuadorianischen Botschaft in London, im Bademantel filmt. Obwohl die Aufnahmen in manchen Momenten das Intime der belauschten Gespräche noch betonen, etwa wenn sich Assange und seine enge Mitarbeiterin Sarah Harrison in einem kleinen Waldstück unterhalten und sie die Filmemacherin mit ihrer Kamera kurz wegschicken, damit sie überprüft, dass niemand in der Nähe ist. Die privilegierte Situation des Films, einen Zugang zu solchen Situationen zu haben, nutzt Risk nie für den Wow-Effekt eines besserwisserischen „so war das“, sondern stets für das Verständnis eines „so kann es passieren“. Denn natürlich ist die Reflexion darüber, was Politik werden könnte, aber noch nicht ist, genau deswegen faszinierend, weil sie das Gemachte und Prozesshafte des Politischen zeigt. Der Blick auf das Ungenaue und Relative ist gegenüber einem sich eindeutig gebenden Aktivismus eine humanistische Geste.
Risk fühlt sich an vielen Stellen sehr kurz, fragmentarisch, aber auch zu kurz gegriffen an. Die Bescheidenheit, die daraus spricht, keine große Geschichte über den zeitgenössischen Aktivismus, die Rolle des Internets dabei und den Eingriff von antiautoritären Nerds in die Politik zu entwickeln, sorgt dafür, dass sich der Film kleiner anfühlt als er vielleicht ist. Denn Poitras hat ein sehr gutes Gefühl dafür, welche Szenen etwas erzählen können und ein dramatisches Potenzial besitzen. So zeigt sie etwa, wie Lady Gaga mit ihrem Handy ein Video-Interview mit Assange macht. Wie stets in diesem Film bleibt die Aufnahme auf ihre Weise kommentarlos, gewinnt dabei aber eine Distanz, die sowohl das Menschliche eines aus dem Konzept gebrachten Assange offenbart als auch den Rahmen, in dem sich der Star zwischenzeitlich bewegt.
Brisanz im Kopf des Zuschauers
Zu den dramaturgischen Entscheidungen, die den Film auszeichnen, gehört auch, dass er neben Assange und Harrison einen anderen Protagonisten findet: den Aktivisten Jacob Appelbaum. Mit ihm kann Poitras nicht nur reisen, sondern dem Engagement für offene Regierungs- und Konzernkritik auch ein weniger belastetes Gesicht geben, der ambivalenten Zeichnung der Hintergründe damit weitere Schattierungen hinzufügen. Ihre Haltung bleibt dabei, ungeachtet der unmissverständlichen Solidarität, sehr ausgeglichen. Bei einer Lagebesprechung zu den Vorwürfen wegen sexueller Belästigung und Nötigung zweier Schwedinnen wird etwa aus dem kurzen Gespräch von Assange mit zwei Beraterinnen deutlich, wie problematisch sein Frauenbild ist. Poitras schneidet das so, dass daraus weder eine Anklage noch eine Verlautbarung entsteht. Der Clou von Risk ist demnach auch etwas, was im Film komplett fehlt: die Dimensionen dessen, was Wikileaks eigentlich bewirkt hat. Indem er außen vor lässt, welche Reaktionen die Veröffentlichungen in Presse, Öffentlichkeit und Politik hervorgerufen haben, verzichtet der Film nämlich auf die Überhöhung, die hier doch so naheliegen würde. Das Drama kann im Kopf des Zuschauers um seine Brisanz ergänzt werden, denn die Bedeutung von Wikileaks dürfte jedem bekannt sein. Ob dagegen Assange, Harrison und Appelbaum Helden sind, das soll und kann erst aus der historische Distanz beantwortet werden.
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