Revivre – Kritik

Männerfantasie ohne Folge, der Tod im Off: In seinem 102. Film nähert sich Im Kwon-taek einem Mann, der von Weiblichkeit umgeben ist.

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Wenn Oh Sang-moo (Ahn Sung-ki) trinkt, dann denkt er wahrscheinlich ein bisschen nach. Es gibt ein paar Szenen in Im Kwon-taeks bereits 102. Film, in denen Oh stumm dasitzt, im Krankenhaus bei seiner schlafenden Frau, oder in einem Hotelzimmer, mit sich selbst allein, aber wohl nicht im Reinen, ein Glas Wasser oder ein Bier in greifbarer Nähe. Wir wissen zwar nicht, worüber er nachdenkt, aber wir ahnen es, weil der Film sich bereits mehrfach an die Stelle von Ohs Gedanken gesetzt hat, oder besser: an die Stelle seiner Fantasie.

Unpassende Blicke

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Der Konflikt, das schlechte Gewissen, das alles muss nicht ausgesprochen werden, bleibt ungesagt, aber schmerzhaft sichtbar, weil Revivre in Bildern spricht, alle verbale Kommunikation sich nur kontrapunktisch auf diese Bilder legt. Die Dialoge sind ein Panzer; bedeutend ist, was nicht gesagt wird. Oh spricht über einen neuen Kosmetikartikel für den weiblichen Intimbereich. Er muss das tun, weil er die Marketingabteilung eines großen Kosmetik-Unternehmens leitet. Ob er das gerne macht, wissen wir nicht. Im letzten Bild wird er es jedenfalls wieder tun, an seinem Handy, durch die Straßen schlendernd. Eigentlich ist nichts passiert in diesem Film.

Eigentlich. Ohs Frau Jin-kyung (Kim Ho-jung) ist dann an einem Gehirntumor gestorben. Wir erleben das mit, und doch passiert es irgendwie im Off. Ohn nimmt es hin. Bei der Trauerfeier, auf die im Film immer wieder vorgegriffen wird, muss am Ende einer gehen, der zu betrunken ist, wie auf einer Party. Auch während dieser Trauerfeier, wie unpassend: Close-up eines weiblichen Ausschnitts. Ein männlicher Blick, Ohs Blick. Er blickt auf Choo (Kim Qyu-ri), eine neue attraktive Kollegin, die es ihm sichtlich angetan hat, auch wenn er das nicht sagt. Wir entnahmen es schon früheren Blicken, Bildern, eigentlich schon dem traumartigen Prolog des Films.

Blicke eines schweigenden Manns

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Revivre folgt ihnen nicht immer, diesen männlichen Blicken, sondern schaut auch zurück: Blick auf einen schweigenden Mann, der nur spricht, wenn es nichts zu sagen gibt, und der umgeben ist von Weiblichkeit. Pflege von Schönheitsidealen im Beruf, Pflege der Erotik in der Fantasie, Pflege der Ehefrau zu Hause. Weiblichkeit als Ware, als Idee, als versehrter Körper; symbolisch, imaginär, real. Ohs Männerfantasie – und Revivre ist keine bloße Männerfantasie, wie das manchmal gesagt wird, als wäre damit schon alles gesagt, aber auch ein Film über Männerfantasien – hat keine Flucht zur Folge. Er hilft seiner Frau. Ganz selbstverständlich hält er ihr den Kotzeimer, wechselt ihr die Windeln, hilft ihr beim Klogang. Liebe. Einmal noch haben sie Sex. Oh denkt dabei an die nackte Choo, das deutlichste, vielleicht problematischste Bild des Films, aber es ist auch aufrichtig.

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Den Choo ist eine Projektion, sie kommt halt in den ungünstigsten Momenten oder dann, wenn es nötig scheint, weil Viagra allein noch keine Lust spendet. Über sie erfahren wir nur, was Oh von ihr erfährt. Was Oh erfährt, enttäuscht ihn oder regt seine Fantasie an, oder genauer – wie das so ist mit Fantasien –, ihn regt an, was ihrer Realisierung Spielräume lässt, und enttäuscht, was ihr Grenzen setzt. Eine Einladung zu Choos Hochzeit: kaum eine Reaktion. „Die Hochzeit ist abgesagt“: kaum eine Reaktion. Und doch: Enttäuschung und Hoffnung. Kein Film der Worte, wir wissen ja längst Bescheid.

Endlich pinkeln

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Ahn Sung-ki spielt Oh mit Pokerface, Emotionen sind nur in Ansätzen sichtbar, eigentlich nicht mal das, und wenn doch, dann schneidet Im lieber weg, man muss ja nicht gleich sentimental werden. Oh handelt souverän, in jedem Moment, selbst noch in Momenten, in denen er verletzlich ist. Wenn ihm im Krankenhaus per Katheter beim Pinkeln geholfen wird. Dann klingelt sein Handy, und er geht ran. Revivre ist auch ein sehr komischer Film, irgendwie. Aber viel Handeln ist da eben nicht, das Pinkelproblem hat auch einen metaphorischen Kern: Oh lässt nichts raus, alles staut sich auf in ihm. Was sagt das über den Film? Was wäre, könnte er pinkeln, könnte er handeln, seinen Wünschen nachgehen? Was würde Choo machen, müsste es dann nicht auch ihr Film werden?

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Wobei: Choo macht ja schon. Will sich bei Oh bedanken, für ein Empfehlungsschreiben, durch das sie einen Job bei der Konkurrenz bekommen hat. Oh hat ihr das sogar angeboten. Die Spielräume für die Fantasie auszubauen ist wichtiger, als dem Interesse des Unternehmens nachzugehen, und solange noch nicht zu viel draus folgt, lässt sich ja handeln. Was daraus folgt: Choo will danke sagen. Oh ignoriert das Angebot, löscht ihre Kurzmitteilungen. Aus dem Speicher, aus dem Sinn. Doch noch die lautlosesten Handys können sich regen, und wie Im mit diesem Motiv umgeht, ruft in den Sinn, dass zu den in unserem Leben mittlerweile so bedeutungsvollen, manchmal fast pathetischen Bewegungen unserer technischen Begleiter auf der Leinwand noch immer ein eher instrumentelles Verhältnis vorherrscht. Oh jedenfalls hat sich längst entschieden, aber irgendwo an ihm vibriert es noch.

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