Remember – Kritik
Christopher Plummer als dementer Holocaust-Überlebender auf Rachefeldzug: Mit B-Movie-artiger Nonchalance hat Atom Egoyan einen Film über ein Erinnern gedreht, dem langsam das Gedächtnis abhanden kommt.

Wenn eine Pistole zu sehen ist, dann wird sie in der Regel zum Einsatz kommen. Zevs Pistole ist unzählige Male zu sehen, nachdem der schwer demente 90-Jährige sie sich ohne größere Probleme zulegen konnte. Ein Grenzer in Kanada scheint noch am ehesten der Meinung zu sein, dass auch 90-Jährige seinen gesunden Argwohn verdienen, doch entdeckt er die Waffe nicht. Ein Sicherheitsbeamter in einem Klamottenladen ist ob der Knarre im Besitz des tatterigen Mannes sogar hocherfreut, erinnert sie ihn doch an „seine erste“.
Die kleinen Seitenhiebe auf die nordamerikanische Gun Culture sind für Atom Egoyans thematisch weitaus ambitionierteren Remember freilich nicht gerade zentral. Zev ist nicht einfach ein verwirrter Alter, sondern ein Überlebender des Holocaust, der seinem alten Freund Max versprochen hat, den Menschen umzubringen, der als Blockführer in Auschwitz für den Tod ihrer beider Familien verantwortlich ist. Doch steht die Pistole sinnbildlich für die Überführung des Überbaus in die Basis, des Dramas ins Genre: Den Holocaust und den Umgang mit seinen Schatten, die Fragen von Verantwortlichkeit, von Schuld und Sühne, den Status von Geschichte und Vergangenheit, Verdrängung und Erinnerung, das alles wirft Egoyan in einen hoch spekulativen Rachethriller: Remember ist eben auch ein Film, in dem ein alter Mann durch die USA fährt und mit stoischer Ruhe die vier als Täter infrage kommenden Personen besucht – mit einer Waffe in der Handtasche, die natürlich irgendwann zum Einsatz kommen muss.
Subtiler Kampf gegen die Deutlichkeit

Unterbrochen wird die Mission nur durch Levs gelegentliche zerebrale Ausfälle, wenn er nach seiner kürzlich verstorbenen Frau ruft und ihn nur der Brief seines Freundes wieder an das eigentliche Vorhaben erinnert. Das sind schöne Momente für Christopher Plummer, der einem sonst mitunter ein wenig leidtun kann, ist Atom Egoyan doch nicht gerade als ein Regisseur bekannt, dem es daran gelegen ist, grandiose Performances aus seinen Hauptdarstellern herauszukitzeln. Plummer gibt die subtilst mögliche Darbietung in einem Film, dem es als Letztes an emotionaler Subtilität gelegen ist. Bruno Ganz und Jürgen Prochnow haben es da mit ihren fast absurd anmutenden Cameo-Auftritten leichter. Denn für den Affekt des einzelnen Moments, des einzelnen Blicks, der einzelnen Einstellung interessiert sich Egoyan ja ohnehin ebenso wenig wie für Realismus. Gerade Remember scheint deshalb oft naiv, scheut sich nicht vor Überdeutlichkeiten im Dialog und kommt manchmal nachgerade albern daher.

Remember lässt sich aber statt als gescheiterter Autorenfilm auch als sehr selbstbewusstes B-Movie sehen, das die für Egoyan typischen Themen verhandelt, auf eine für ihn typische Weise: stets philosophisch, niemals psychologisch, stets konkret, niemals abstrakt. Philosophisch, weil etwa der Umgang mit dem Holocaust, mit seiner Erinnerung und Verdrängung, zwar persönliche Schicksale berührt, individuelle Schmerzen verursacht, aber ein gesellschaftlicher sein muss. Zev ist für Remember deshalb nicht bloß ein erinnernder Einzelner, sondern selbst Erinnerung, und zwar eine schwindende. Konkret, weil jede mögliche Antwort nicht in Richtung Wahrheit, jeder mögliche Umgang mit der Vergangenheit nicht in Richtung endgültiger Bewältigung strebt, sondern beides konkrete Effekte im Hier und Jetzt zeitigt. Die vier Menschen, die Zev treffen wird, haben je andere Geschichten, je andere Gegenwarten, bei jedem dieser möglichen Täter müsste Gerechtigkeit etwas anderes bedeuten.
Was ist ein Nazi?

So vermag Remember als „echter“ Thriller wie als Holocaust-Drama nicht vollends zu überzeugen (und seinem Ende ist die Gefahr der Trivialisierung durchaus inhärent), doch aus der Verbindung von beidem entstehen das passendste Spielfeld für Egoyan’sche Reflexionen seit geraumer Zeit und ein paar wichtige Verfremdungen gängiger Verbrecherregime-Klischees – wenn etwa der bis in die Gegenwart überzeugteste Nazi von allen kein KZ-Wächter war, sondern als gerade mal Zehnjähriger in der Reichspogromnacht begeistert Scheiben von jüdischen Geschäften eingeworfen hat. In ihm, nicht in den direkt Verantwortlichen, hat die Begeisterung für Volk und Führer als Jugenderinnerung überlebt. Im Herzen trägt Remember jedoch, mit berechtigtem Pathos, das gegenwärtige Bewusstsein ums langsame Ableben von Tätern wie Opfern. Ein Mädchen muss Lev einmal Max’ Brief vorlesen, als sich Lev mal wieder nicht erinnern kann. „What’s a Nazi?“, fragt sie, und das harte Zett wird zu einem unschuldig-amerikanischen Summen. Mal wieder so ein Moment: Kindergesicht im Close-up, die Frage überdeutlich im Raum, alle Hintergedanken offengelegt; und doch stimmt alles in dieser Szene. „A bad person.“ Zev weiß, auch der Film weiß, dass diese Antwort nichts beantwortet.
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