Reflection in a Dead Diamond – Kritik

Hélène Cattet und Bruno Forzani greifen in Reflection in a Dead Diamond tief in den Bilderfundus des 60er-Jahre-Eurospy-Kinos. Die pulsierende Masse visueller Attraktionen verdichtet sich zu einem Film, nach dem niemand gefragt hat und der darum umso berauschender ist.

Ein wiederkehrendes Motiv in Reflection in a Dead Diamond: die wirbelnde Frau. Umringt von Männern, die ihr Böses wollen, setzt sie sich urplötzlich in Bewegung und rotiert und schlitzt und sticht und blitzt und funkelt, bis die Männer um sie herum tot darnieder liegen. Manchmal reißt sie ihnen gar die Kehlen auf oder andere Körperteile ab. Trägt hingegen die Frau eine Blessur davon, und einer greift ihr in die Wunde, dann ist unter ihrer Haut: eine andere Haut. Wie eine Gummimaske zieht sie sich dann selbst die Hautfetzen vom Körper. Die neu zum Vorschein kommende Haut ist freilich gleichfalls eine potentielle Maske, die sie sich womöglich wiederum gleich selbst vom Leib reißt. Wie oft sie sich auch schält oder schälen lässt: zum wahren Kern der Frau – vielleicht, dieser durchaus beunruhigende Gedanke kann einem kommen in diesem Film, gibt es in der ganzen Welt ja wirklich nur eine einzige Frau, und sie trägt, wenn sie uns begegnet, immer neue Gesichter – stoßen wir nicht vor.

Ein knallbunter Remix im Geist von 007

Eine unerschöpfliche Quelle ist das populäre europäische Kino der 1960er und 1970er für Hélène Cattet und Bruno Forzani, zwei in Belgien lebende Franzosen, die sich in inzwischen vier Lang- und mehreren Kurzfilmen ein Privatuniversum aus Bildern zweiter Ordnung erschaffen haben. Ihre Filme sind weder Hommagen an die Filme der Vergangenheit, noch deren Aktualisierung und schon gar nicht postmoderne Zitat-Paraden. Remix trifft es schon eher, weil die alten Filme zunächst in ihre fast molekularen Einzelheiten zerlegt werden, bevor sie als amorphe, pulsierende, radioaktive – und in Reflection in a Dead Diamond vor allem: glitzernde – Masse in neue Formen gegossen werden.

Ausgangspunkt, beziehungsweise Bildersteinbruch der Wahl ist diesmal die Eurospy-Welle, die im Anschluss an den Welterfolg der frühen James-Bond-Filme die deutschen Kinos heimsuchte: knallbunte, dekadente, sich zumeist kein bisschen um Alltagswahrscheinlichkeiten welcher Art auch immer scherende Räuberpistolen voller alberner Kostüme, aufregender Frauen und funkelnder Diamanten. All das gibt es auch bei Cattet und Forzani, genau wie die stilistischen Signaturen des Genres: Zooms, Rückprojektionen und so weiter. Hier und da spukt auch 007 selbst durch Reflection in a Dead Diamond, etwa in Gestalt einer von den klassischen Bond-Vorspännen inspirierten, sie jedoch locker überbietenden animierten Sequenz; aber die Vibes sind nicht britisch-nüchtern, sondern rauschhaft-relaxed mediterran. Wie bereits Let the Corpses Tan, dem letzten Streich des Regieteams (ein Ballerfilm), ist auch der neue (ein Glitzerfilm) vom Mittelmeer beseelt.

Staunend im Wunderland der Schaulust

Ein Film über eine Rückkehr ans Meer: Ein alternder Spion, John D. (Fabio Testi), mietet sich in einem Hotel an der Côte d'Azur ein – und versinkt im Handumdrehen in den Bilderfluten der Vergangenheit. Womit das, was in anderen Filmen die Handlung wäre, bereits hinreichend umrissen ist. Denn die Vergangenheit, das ist in Reflection in a Dead Diamond keine säuberlich geordnete Intrige, sondern ein Wunderland der Schaulust, in das man sich nur freihändig begeben kann.

Ansätze von Erzählungen und stabilen Identitäten gibt es schon, ein bisschen mehr vielleicht sogar als in den früheren Filmen des Regieteams. Jemand namens Sand wird ermordet. Eine Superschurkin geht um. Eventuell will sogar jemand die Weltherrschaft an sich reißen. Außerdem, als klassische selbstreflexive Geste, ein Film im Film, in dem natürlich auch Agenten und Diamanten umgehen. Dieser Film wird dann aufgeführt und – wie die damaligen Eurospy-Filme – in diversen Sprachen synchronisiert. Schließlich diffundiert er in einen breiteren Medienverbund hinein: Comics, Fotoromane, aber auch historische Gemälde gleiten in den Bilderfluss des Films, alles voller maskierter Superschurken und exaltierter Mordverbrechen. Die Fiktion häutet sich wie die Frau. Wer die Frage nach ihrem wahren Kern stellt, sitzt im falschen Film.

Reflection in a Dead Diamond ist – auf Festivals eine Seltenheit – ein Film, nach dem niemand gefragt hat und der dennoch da ist. Auch die Formeln, ihn zu beschreiben, sind, anders als bei fast allen anderen Berlinale-Filmen, nicht bereits vorhanden. Am nächsten kommt man ihm, nicht nur seinem Inhalt, sondern auch seinem Gestus, vielleicht, wenn man einfach nur alle seine visuellen Attraktionen aufzählt. Ein Diamant, der direkt neben einer Brustwarze aufblitzt. Augen, die am Meer im Sand stranden oder sich selbst zu den toten Diamanten gesellen. Abbrechende Fingernägel, gleich mehrmals. Ein Paillettenkleid, das zum Spiegelkabinett wird. Bilder, in denen man baden möchte – vielleicht färben sie ja ab und hinterher glitzert man.

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