Ready Player One – Kritik
Ein Ort, an dem zwar nichts zusammenpasst, aber alles möglich ist: In der virtuellen Welt von Spielbergs Ready Player One wird die Popkultur vergangener Jahrzehnte verramscht. Ausgerechnet der Schöpfer filmischer Archetypen befindet sich plötzlich inmitten nostalgischer Referenzen und zersplitterter Ichs - und gerät in eine handfeste Identitätskrise.

Wade (Tye Sheridan) entspricht der klassischen Hollywood-Vorstellung eines Nerds. Er trägt eine Brille, nicht einfach nur beiläufig, sondern so, wie es auch in vielen Highschool-Komödien zu sehen ist: als das Accessoire, an dem sich das Außenseiterdasein festmachen lässt. Und das Gute an so einer Brille ist, dass man sie später auch abnehmen kann; nicht nur, um den attraktiven Starkörper endlich freizulegen, sondern auch, um eine innere Veränderung zu unterstreichen. Irgendwann in Ready Player One ist tatsächlich die Brille aus Wades Gesicht verschwunden. Und obwohl auch er im Laufe der Handlung ein anderer wird – oder zumindest mutiger und verantwortungsvoller –, geschieht diese äußere Veränderung fast unbemerkt. Wades eigentliche Verwandlung findet schon viel früher statt, in einer virtuellen Welt namens OASIS.
Outgesourcete Selbstverwirklichung

In Steven Spielbergs neuem Film befinden wir uns im Jahr 2045. Der Großteil der Erde besteht aus Armenvierteln, die wie ein einziger Schrotthaufen aussehen, aber mit ein bisschen Kreativität zumindest als Abenteuerspielplatz genutzt werden können. Die Bewohner halten sich aber trotzdem lieber in der OASIS auf, wo der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Ready Player One beginnt wie ein bedingungsloses Plädoyer für das Virtuelle. Statt sich mit der tristen Realität abzufinden, gibt man sich hier lieber Computerspiel-ähnlichen Challenges in sich ständig verformenden Kulissen hin, die neben den zahlreichen Spielern auch von allerlei Ikonen der Unterhaltungsindustrie (King Kong, Godzilla, die Mörderpuppe Chucky etc.) bevölkert werden. Mit reichlich Tempo wirbelt uns der Film in diese simulierte Parallelwelt, die technisch äußerst beeindruckend umgesetzt ist. Dass sie, bei aller technischen Brillanz der Umsetzung, zu ramschig wirkt, um wirklich gut auszusehen, mag konsequent sein an einem Ort, an dem zwar nichts zusammenpasst, dafür aber alles möglich ist.

Eigentlich reizvoll an der OASIS ist aber nicht die Flucht vor der Realität, sondern die Möglichkeit, sich ständig neu zu erfinden. Wades Avatar sieht zwar noch aus wie er selbst, aber dabei eben auch ein bisschen athletischer, schöner und modischer. Wer der Wirklichkeit den Rücken kehrt, darf mit einem Mal sein, was er möchte; ohne sich von scheinbar unverrückbaren Gegebenheiten wie der sozialen Herkunft, der Hautfarbe oder dem Geschlecht davon abhalten zu lassen – und sich zum Beispiel einfach in eine Mangafigur oder einen Oger verwandeln. Damit aber an diesem Ort der outgesourcten Selbstverwirklichung nicht die totale Anarchie herrscht, wird man im Falle eines Game Overs so bestraft, dass es auch weh tut: Die gesamte, mühsam erarbeitete Persönlichkeitsentwicklung des Alter Egos wird wieder auf null gesetzt.
Parzival und das goldene Ei

Spielberg interessiert jedoch nicht nur die vermeintliche Utopie des virtuellen Raums, sondern immer auch ihr Verhältnis zur Realität. Und so verwischt die auf dem gleichnamigen Roman von Ernest Cline basierende Geschichte zunehmend die Grenzen zwischen tatsächlicher und virtueller Welt. Auslöser dafür ist ein Spiel, das der verstorbene OASIS-Schöpfer Halliday (Mark Rylance) – die Mutter aller Nerds, mit einem hippiesken, von jeglichem ökonomischen Denken befreiten Weltbild und einem Style wie Weird Al Yankovic – seinen Jüngern hinterlassen hat und das den Gewinner zu großer Macht kommen lässt. Um dabei zu brillieren, müssen die Spieler nicht nur Challenges meistern, sondern auch die popkulturellen Codes knacken, mit denen der in den 80er-Jahren sozialisierte Halliday seine Schnitzeljagd verschlüsselt hat. Da diese Ära auch Spielbergs goldenes Zeitalter war, ist der Regisseur hier ganz in seinem Element. Wie ein Heimspiel fühlt sich der Film auch an, weil sich an dem Wettkampf ein Mega-Konzern mit unehrenhaften Absichten beteiligt und schnell ein Kampf zwischen jugendlicher Fantasie und erwachsenem Profitdenken entbrennt, mit dem sich der Regisseur bestens auskennt. Dass sich hinter dem zeitgemäßen Gewand eine archaische Erlösungsgeschichte verbirgt, darauf deutet schon der Name von Wades Alter Ego hin: Parzival. Nur dass der reine Tor hier am Ende keinen heiligen Gral, sondern ein goldenes Ei in den Händen hält.

Und obwohl der Film wie maßgeschneidert für seinen Regisseur wirkt, ist es doch seltsam, dass ausgerechnet Spielberg an so eine postmoderne Collage geraten ist. Mit Archetypen des fantastischen Kinos wie dem weißen Hai, dem Außerirdischen E.T. oder den Dinosauriern aus Jurassic Park (1993) hat der Regisseur maßgeblich die westliche Popkultur geprägt. Und plötzlich ist er an einem Punkt, an dem scheinbar keine neuen Ikonen mehr geschaffen werden können, sondern sich alles zersplittert hat. In einer Szene bereitet sich Wade für das erste Date mit seinem Love Interest Art3mis (Olivia Cooke) vor und kann sich nicht zwischen einer Vielzahl an verschiedenen Outfits entscheiden. Also rät ihm sein Freund Aech (Lena Waithe) das Nächstliegende: einfach als er selbst zu gehen.
Ein Film ohne Identität

Ready Player One zeigt, wie die unbegrenzte Zahl an Entfaltungsmöglichkeiten auch die Gefahr in sich birgt, sich zu sehr von sich selbst zu entfernen. Man nimmt ihm die Begeisterung für neue Technologien durchaus ab, aber es schimmert doch immer eine Sehnsucht nach den geordneteren Verhältnissen der 80er durch. Und so gut der Film mitunter als spektakulärer Blockbuster funktioniert, so sehr scheint ihm diese Sehnsucht auch im Weg zu stehen. Wenn wir am Ende in einem Kinderzimmer aus dem analogen Zeitalter gelandet sind, spürt man, wie sich Spielberg nach einer eigenen, vor allem auch einer festen Identität sehnt. Und doch bleibt ihm bei diesem durch und durch aus Referenzen bestehendem Stoff nichts anderes übrig, als immer nur auf etwas zu verweisen, das sich außerhalb befindet. Die Utopie der endlosen Auswahl wird im Laufe des Films zu einer nur noch halbherzig formulierten Idee. Es ist ein bisschen wie bei Wades Clique, die zwar betont nach Diversität zusammengesetzt ist, aber, was die Figurenzeichnung angeht, eben auch ein bisschen fad ist.

Am besten funktioniert Ready Player One vielleicht als Hommage, wenn auch weniger an die 80er als an das Nerdtum an sich; das Clevere, Leidenschaftliche und doch auch immer etwas Verschrobene, das so viele Spielberg-Helden miteinander teilen. Interessant ist dann auch, wie er das Ur-Dilemma aller jugendlichen Nerds löst; jene Herausforderung, an der auch Halliday gescheitert ist: nämlich jungenhaftes Tüftlertum und ein nach innen gekehrtes Wesen mit der praktischen Liebe unter einen Hut zu bekommen. Hier setzt Spielberg dann auf eine ebenso entschiedene wie vernünftige Trennung: Sich austoben kann man gerne in der virtuellen Welt, aber geschmust wird immer noch daheim.
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