Die Poetin – Kritik
Mach dich mal locker, Elizabeth Bishop! Bruno Barreto begleitet die US-amerikanische Dichterin durch ihre Zeit in Brasilien.

Einsame Künstler, exotische Lebensfreude. Man vermutet das Schlimmste in den ersten Minuten von Die Poetin (Flores Raras). Dichterin Elizabeth Bishop (Miranda Otto) ist blockiert und depressiv, als einsamsten Menschen der Welt bezeichnet sie sich. Ihrem Vertrauten Robert Lowell (Treat Williams) liest sie ein neues Gedicht vor, sieht aber schnell ein, dass etwas fehlt, vielleicht das Wichtigste. Ein Kurztrip nach Brasilien soll Abhilfe schaffen. Einsame Künstler, exotische Lebensfreude? Nicht ganz. Denn was Bishop in Brasilien kennenlernen wird, das ist nicht die stolze Mentalität in bitterer Armut lebender Menschen, nicht die energetische Folklore der Favelas, die Marcel Camus eben zu jener Zeit, in der Bishop sich auf den Weg nach Süden machte, in seine Mythosvariation Orfeu Negro kanalisierte.
Ausbruch der Leidenschaften

Bishop landet in einer vollkommen anderen Welt, einer Welt der Privilegien, des Luxus, die zugleich eine Insel der alternativen Beziehungsformen ist: Elizabeths alte Schulfreundin Mary (Tracy Middendorf) wohnt gemeinsam mit ihrer brasilianischen Lebensgefährtin Lota (Glória Pires) auf einem abgeschiedenen Berg jenseits von Rio – wo es keine tratschenden Leute gibt und die Bediensteten keine Fragen stellen. Lota ist Tochter eines wichtigen Politikers und vereint alle Eigenschaften, die der deprimierten Elizabeth gerade abgehen. Selbstbewusst und direkt, stolz auf ihr eigenes Werk als moderne Architektin, stempelt sie die ankommende Dichterin schnell als hochnäsig, verklemmt, unhöflich ab. Doch nur wenige Sequenzen nach der ersten Begegnung bricht aus der Opposition zwischen der still leidenden Amerikanerin und der straighten Brasilianerin die große Leidenschaft hervor. Und so werden die alternativen Beziehungsformen in Die Poetin noch ein Stück radikaler: Die tief verletzte Mary geht in ihrer Verzweiflung auf Lotas bizarren Kompromiss ein, die nun ausfallende Zärtlichkeit zwischen den beiden eigentlichen Lebensgefährtinnen mit der Adoption eines Kindes zu kompensieren – und lässt die unerwünschte Dritte ins Haus einziehen.
Klassisches Kino und die Eile der Handlung

Ein ziemlich penetranter Score begleitet das ganze Drama, lässt uns kaum einen Moment allein mit diesem doch recht wirsch abgehandelten emotionalen Hin und Her. Doch zunächst verfehlt dieses ständige musikalische Antreiben seine Wirkung nicht, lässt man sich verführen von der offensiven Untermalung des Gezeigten, der Erdung des etwas zu hastigen Einstiegs in die Handlung durch die Mittel des klassischen Kinos. Doch so schön Geigen bei Regen auch sind, so intensiv die Dynamik zwischen den Darstellerinnen, so gelungen einige von Mauro Pinheiro Jr.s Cinemascope-Arrangements: Die Poetin bleibt über die meiste Zeit erschreckend steril. Dialogsatz für Dialogsatz, Schnitt für Schnitt erzählt Bruno Barreto die Geschichte der von leidenschaftlichem Begehren wie von intensiven Streits geprägten Beziehung der beiden Frauen. Die Stimmung des Films betont dabei das Scheiternde. Das Glück zwischen Elizabeth und Lota, es wird in relativ kurzen Szenen abgehandelt, ansonsten eher behauptet denn erfahrbar gemacht – wie noch so oft umweht die gleichgeschlechtliche Liebe von Beginn an eine Aura der Tragik. Auch die elliptische Struktur irritiert eher, weil es Barreto dabei nicht um bewusste Auslassungen geht, er schlichtweg schneller vorankommen will, um auch alle vermeintlich wichtigen Geschehnisse erzählen zu können. So vergehen die Jahre in der potenziell doch ungemein spannenden Dreierkonstellation plus Kind, ohne dass man einen Einblick in ihren Alltag bekommen würde.
Biopic ohne Exzesse des Lebens

Und so verbleibt Die Poetin in einem wenig spannenden Aufzählen von Ereignissen, die viel zu selten mit filmischen Ideen illustriert werden. Barreto handelt ganz biopic-üblich die wichtigen Einschnitte ab – das Gefühl für ein Leben, das das Genre so gern heraufbeschwört, macht er mit fast jedem Schnitt aufs Neue zunichte. Der obligatorische Kindheits-Flashback macht die Sache nicht viel besser. Die Ereignisse rund um den Militärputsch, in den auch Lotas Politclique verwickelt ist, sorgen nicht für eine Verrückung oder Perspektivierung der Geschichte, sondern müssen eben auch irgendwie erwähnt werden.
Als Lota einmal mit der unter der Trennung leidenden Mary konfrontiert wird, sagt sie kühl, sie wolle einfach alles bekommen, was sie kriegen kann. Lange Zeit später wird Elizabeth gestehen, sie ertränke nicht ihre Depressionen im Alkohol, sondern würde am liebsten ständig trinken, die Tragik des Daseins sei dafür nur ein Vorwand. Für dieses Begehren nach mehr Leben interessiert sich Barreto viel weniger als für die Fakten seiner Geschichte. Die paar thematischen Motive, auf die er im Verlauf dieser Geschichte stößt, werden schnell mit dem Holzhammer zurechtgestutzt und eingepasst. Vor allem ist er sich seiner Sache zu sicher, glaubt zu wissen, dass diese Geschichte interessant und erzählenswert ist. Nicht, dass sie das nicht wäre. Aber wenn ein Film diese Sicherheit nicht stets aufs Neue aktualisiert, sondern zu seiner Prämisse macht, dann hat er uns beim emotionalen Showdown längst verloren.
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