Raging Fire – Kritik
VoD: In Raging Fire klammert sich ein fantasieloser Prinzipienreiter inmitten einer korrupten Umgebung an seine hehren Ideale. Das Innenleben seines Helden interessiert Benny Chan in seinem letzten Film dabei weniger als das, was Martial-Arts-Star Donnie Yen draus macht.

Polizist Cheung Sung-bong (Donnie Yen) sitzt im VIP-Hinterzimmer eines Nobelrestaurants an einem reichhaltig gedeckten Tisch. Ihm gegenüber befindet sich eine Überzahl von Vorgesetzten, es geht zu wie bei einem Treffen mit Mafiaoberhäuptern. Cheung wird nachdrücklich „gebeten“, die Anzeige gegen den Sohn des Chefs der Polizeibehörde zurückzuziehen. Sein Schaden solle es nicht sein. Und Cheung grübelt: Soll er den Weg des leichten Widerstands nehmen oder an seinen hehren Idealen festhalten?

Ein anderes Mal sitzt er als Zeuge vor Gericht. Er war knapp zu spät gekommen, um fünf Kollegen davon abzuhalten, einen Informanten totzuschlagen. Aber: Die fünf Polizisten wurden von ihren Vorgesetzten unter Druck gesetzt, jedes Mittel anzuwenden, um an die nötigen Informationen zur Befreiung eines entführten Wirtschaftsmoguls zu gelangen. Und sie hatten damit Erfolg. Überhaupt sind sie Cheungs Kameraden, während der Tote nur ein Verbrecher war. So sitzt er also abermals und horcht in sich hinein: Soll er den Weg des leichten Widerstands nehmen oder an seinen hehren Idealen festhalten?
Der ewige Tanz auf der Rasierklinge

Dieser Konflikt zwischen Korruption und Idealismus treibt Raging Fire an und lässt die Welt des Polizeidienstes in Flammen aufgehen, als eine großangelegte Aktion schiefgeht. Statt bei einem beträchtlichen Drogendeal zuzuschlagen, finden sich diverse Einheiten bei einem Massaker wieder. Ein kleines, bestens vorbereitetes Team schlachtet vor Ort die überrumpelten Käufer, Verkäufer und Gesetzeshüter ab. Nicht nur um sich zu bereichern, sondern um gleich noch alte Rechnungen zu begleichen. Nur Cheung und sein Team waren nicht anwesend, weil der unbequeme Idealist und Einzelgänger vom vermeintlichen Sensationserfolg ausgeschlossen wurde, um eine Lektion erteilt zu bekommen. Die eskalierende Jagd nach den Tätern wird für ihn daraufhin nicht nur eine Reise in die Vergangenheit, sondern auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst.

In den Positionen der Macht herrscht allgegenwärtige Korruption. Der Rechtsstaat ist nicht effektiv gegenüber skrupellosen Kriminellen. Verbrecher aber einfach umzubringen ist auch keine Lösung. Es ist das klassische Problem, das Albert Camus in Der Mensch in der Revolte formulierte: Nehmen wir die brutale, unmoralische Welt hin, werden wir zwangsläufig zu Opfern oder Tätern in ihr; gewaltfreier Widerstand wird zwangsläufig impotent. Versuchen wir aber, die Kriminellen und „Bösen“ der Welt systematisch auszuschalten, werden wir zum Teil des Problems, zu Mördern, Terroristen, Psychopathen. Camus’ Vorschlag, wie mit diesem unlösbaren Konflikt umzugehen ist, ist eine offene Wunde. Heißt: Das Revoltieren gegen die Welt ist notgedrungen ein Tanz auf einer Rasierklinge, läuft beständig Gefahr, das Schlechte in der Welt zu vermehren.
Von der Welt überfragt

Cheung ist aber kein Ritter in weißer Rüstung und schon gar kein existentialistischer Held, sondern ein fantasieloser Prinzipienreiter, der sich an seine Ideale klammert. Was uns wieder zu seinem Grübeln bringt. Denn Raging Fire, so sehr das Drama den Thriller betont und Cheung moralischen Widersprüchen ausgesetzt wird, so sehr sich keine Auswege ergeben und gelernt werden muss, damit umzugehen, so sehr die Farbdramaturgie von zwei Welten erzählt, von der Ruhe (vor dem Sturm) in kühlen Farben und den drückenden Konflikten in glühendem Gelb, so wenig liegt Regisseur Benny Chan am Innenleben.

Denn ansonsten würde für Cheung auch eine private Welt existieren, die ebenso langsam der Hitze zum Opfer fällt. So fänden seine Ehe und sein Kind nicht nur halbseiden Erwähnung, würden nicht nur für eine weitere Entführungssequenz höchst instrumentell in den Film gezogen. Sonst würde Cheung nicht von Donnie Yen gespielt, an dessen Gesicht die Ambivalenz der Figur abperlt. Die glatte Haut, das strahlende Lächeln und die leeren Augen lassen es wirken, als sei er von den Anforderungen seiner Welt einfach überfragt.
Irrsinnige Kirchen-Kommunion

Auch wenn die inneren Konflikte also behauptet bleiben, sind ihre physischen Veräußerungen umso eindrücklicher. Donnie Yen, inzwischen immerhin fast 60 Jahre alt, ist weiterhin ein herausragender Martial-Arts-Darsteller. Und als solcher ist er eben kein Grübler, sondern ein Macher. Genau wie Raging Fire zu sich findet, wenn es um Action geht. Nicht vor Gericht, sondern im Angesicht der Gegner wütet das titelgebende Feuer merklich. Nicht in den kühlen Farben sieht er atemberaubend aus, sondern in den glühenden.

Das Verzweifeln an der Welt packt der Film in energiegeladene Sequenzen aus Brutalität und Eleganz, aus Wahnsinn und Druck. Und doch arbeitet dies alles – Drama und Action – lediglich auf das Finale hin. Wenn Cheung auf seinen Widerpart trifft, auf den von Nicholas Tse gespielten Yau Kong-ngo, einen ehemaligen Polizisten mit wirklichen inneren Kämpfen, einen gefallenen Idealisten, der nur mehr an der Zerstörung der Welt arbeitet, dann fallen alle Fesseln von ihm. In einer Kirche feiern die beiden eine irrsinnige Kommunion aus Farben, religiösem Kitsch, Kampfkunst und Schnellfeuerwaffen. Wenn all das davor mit seinen Ecken und Kanten da sein musste, um an diesen Punkt zu gelangen, dann hat sich die Sache doch gelohnt.
Der Film steht bis 01.06.2024 in der Tele-5-Mediathek.
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