Queer – Kritik

Nie kann man sich sicher sein, was der Andere fühlt. Luca Guadagninos Adaption von William S. Burroughs' autobiographischer Novelle handelt von Begierde und Sucht. Dabei kennt Queer in seiner artifiziellen Welt nur eine Realität: die der menschlichen Berührung.

Schlüsselroman, Roadmovie, surreales Dschungelabenteuer: Jedes der drei Kapitel, in die Luca Guadignino seinen Film Queer unterteilt, gehört einem anderen Genre an und kreist um ein anderes zentrales Thema. Nacheinander geht es um Sex, Drogen, menschliche Zweisamkeit. Oder etwas universeller und weniger deutlich unterschieden, da ein wichtiger Aspekt des Films die Verwischung von Grenzen ist: um Begierde, Sucht, Bedürfnis.

William „Bill“ Lee (Daniel Craig) ist Amerikaner, lebt in Mexiko, ist schwul und ein Junkie. Vor allem ist er aber William S. Burroughs, Autor des dem Film zugrunde liegenden gleichnamigen Romans. Wie schon sein Erstling Junkie, so ist auch dieses zweite Werk Burroughs‘ eine autobiographische Novelle. Sie schildert ein Milieu, das damals nur heimlich existierte. Und wurde denn auch wegen ihrer pornographischen Darstellung von Homosexualität erst 30 Jahre nach ihrem Entstehen veröffentlicht. Zugleich ist Queer auch ein Porträt der damals gerade entstehenden literarischen Bewegung der Beat Generation, zu der Burroughs und seine Freunde gehörten. Joe Guidry, im Film gespielt von Jason Schwartzman, ist unschwer als der Dichter Allen Ginsberg zu erkennen. Und der schüchterne junge Mann, der einmal mit den beiden am Tisch sitzt, dürfte Jack Kerouac darstellen.

Ein Gesicht, das zuckt und zerfließt

Für die literarische Bewegung, der man sie zuordnet, haben Buch und Autor aber wenig Sinn. Es geht ihnen um Lust. Lee durchstreift die einschlägigen Bars und Straßen auf der Suche nach Sex. Ein zutiefst prekäres Unterfangen, weil man sich des Gegenübers nie ganz sicher sein kann. Es beginnt schon mit dem Wagnis, herauszufinden, ob der begehrte Mann überhaupt schwul ist. Und selbst wenn Lee mit seinen Männern im Bett landet, bleibt da immer die Unsicherheit, ob sie auch die gleiche Lust empfinden wie er oder ob sie nur wegen des Alkohols oder aus Berechnung mit ihm gehen. Deshalb auch der Impuls, zum Portemonnaie zu greifen (oder zu anderen Arten der Vergütung).

Im Mittelpunkt des Films steht das Verhältnis Lees zu Eugene Allerton (Drew Starkey): Wie Lee ihn umständlich auskundschaftet und sich ihm annähert. Wie er unter dem schwer greifbaren Wechsel zwischen Zuneigung und Abweisung Allertons leidet. Und wie sie zu unwahrscheinlichen Reisegefährten werden.

Regisseur Luca Guadagnino erzählt das einmal über das brüchige, verletzliche Spiel Daniel Craigs. Er stellt einen Mann dar, der um Kontenance und Kontrolle ringt – sein stetiger Begleiter ist eine Pistole im Halfter als Unterstreichung des Willens zur Potenz - er bleibt jedoch stets der Befangene, der zu laut lacht, wenn er denn überhaupt lacht. Die Angst vor einer möglichen Erniedrigung ist ihm anzusehen, wenn er als breiter Körper im Bild steht und sein Gesicht zuckt und zerfließt. Im Herzen von Queer steht ein Mann, der überall heraussteht und darunter leidet, dass er nie in der Szenerie aufgeht – selbst, wenn diese nur aus ihm, einem anderen Mann und einem Bett besteht.

Alles ist am Verschwimmen

Erzählt wird die Geschichte aber auch und vor allem über die Körper. Von Männern in engen Hemden, die vorbeigehend angeschmachtet werden, geht es über nacktes Fleisch bis hin zum Sex, der so pornographisch dargestellt wird wie es in einem Mainstreamfilm wohl zurzeit nur möglich ist: Als Eugene und Bill das erste Mal miteinander schlafen, schneidet der Film weg zu einer Dusche. Nach diesem kurzen filmischen Coitus Interruptus geht es jedoch umgehend weiter, bis das Sperma beiden in den Mundwinkeln steht und am Körper klebt. Besonders oft im Bild sind die Oberkörper und jene Teile des Leibs, die diese fühlen und streicheln können: die Finger. Queer wurde größtenteils in der Cinecittà im Studio gedreht, und sein von CGI bestimmtes Aussehen ist höchst artifiziell und stilisiert; die Bars und Straßen Mexikos wirken wie Gemälde von Edward Hopper oder aus Comics der 50er Jahre entlehnt. Es ist als würde der Film in dieser artifiziellen Welt nur eine Realität kennen: die der menschlichen Berührung.

Auf das Kennenlernen in Mexiko und die On-Off-Beziehung zwischen dem liebesbedürftigen Mann und seinem opaken, zurückgezogenen Liebhaber folgt ihre Reise in den südamerikanischen Dschungel. Auf dem Weg geht Lee, dem Junkie, das Heroin aus. Die Suche nach dem Sex und das Verarbeiten des Verhaltens Eugenes, der ihm immer wieder die kalte Schulter zeigt, wird ersetzt, beziehungsweise angereichert, durch die Suche nach Drogen und den Kampf mit den Entzugserscheinungen. Im Dschungel, wo die beiden das halluzinogene Yagé trinken, übernimmt das Surreale vollends. Schon vorher gab es einzelne Traumsequenzen; nun verschmelzen Traum und Realität ganz und gar. Die Trennung zwischen Bill und Eugene endet, die Körper werden eins. Die Bilder in ihrer K.I.-Ästhetik entsprechen diesem Gefühl des Verlustes körperlicher Konsistenz. Alles ist am Verschwimmen, in einer intimen und erschreckenden zwischenmenschlichen Kommunion.

Als Roman steht Queer zwischen Burroughs‘ linearem, direkt erzählten Debüt Junkie und dem wild collagierten, surrealen Naked Lunch. Luca Guadagnino betont diesen Übergang und eignet sich Burroughs‘ Erzählung an. Hier und da nur brechen seine Manierismen durch, und das Ergebnis sieht dann - besonders im Vorspann, aber auch im Film – immer mal wieder aus wie das Werk eines Schaufensterdekorateurs oder ein Mixtape aus Musikvideos. Meist aber ist Guadagnino den Körpern und ihren Sehnsüchten verfallen und erzählt eine zutiefst traurige Geschichte, in denen der Entzug menschlicher Wärme und der Entzug von Drogen kaum zu unterscheiden sind.

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