Polizeiruf 110: Wölfe – Kritik
Die Unmöglichkeit der Liebe im Dienstfahrzeug. Constanze Hermann deliriert sich einen realen Albtraum, in dem Kommissar, Kollege und verhinderter Kopulant Hanns von Meuffels immer mehr ihr als irgendwelchen Tätern auf der Spur ist.

Der Kommissar verzehrt sich nach der Kommissarin. Jedes Vergehen, jede Tat, jeder Mord gibt Anlass, sie zu rufen, zu sprechen, zu sehen. Constanze Hermann (Barbara Auer) hat es ins Dorf der grausamen Schönen verschlagen. Früher oder später wird auch er dort aufkreuzen, muss sein, wo sie ist. Immer wieder sucht er Orte auf, an denen sie bereits, meist gerade, war. Er hinkt hinterher, verspätet, sich selbst quasi von den eigenen Aufgaben entbindend. Das gemeinsame Fahren die ultimative Wunschprojektion. Die Nähe im schneehundweißen BMW als ständige Verheißung.
Die Einsamkeit der Liebenden

Dieser von Meuffels (Matthias Brandt), er hat einen langen Weg zurückgelegt seit den spektakulären Anfängen in Cassandras Warnung (2011) bis hin zu Der Tod macht Engel aus uns allen (2013). Der schuldbeladene Außenseiter hat mit Constance seine Heterosexualität entdeckt. Ihre gemeinsame Trilogie erkundet die Frage nach einer gemeinsamen Einsamkeit der Liebenden. Hanns von Meuffels und Constance, sie erinnern an eines der aufregendsten (verhinderten) beruflichen Liebespaare unserer Zeit: Jason Bourne und Nicky Parsons. Beides sind Erzählreihen, die ihr Genregewand transzendieren. Wie fast alle narrativen Formate erreichen auch der Action- und der Polizeithriller ihre höchste Effizienz als (tragisches) Liebessonett. Polizeiruf 110: Wölfe ist dabei das noch größere postmoderne Biest als die amerikanische High-Concept-Bestseller-Adaption.
Es taucht nicht nur ab in das Universum des Thomas Harris mit all seinen Spielformen; in die Farb- und Gefühls-Welten von Giallo und Policier; die Tonwelten und Texturen des Folk Horror; die Traditionen der Kolportage. Es suhlt sich im Inter-, Intra-, Sonstwas-Textuellen. Es spricht aus, was Tarantino denkt, benennt gleich jeden dritten Bezug und gibt die eigenen Protagonisten direkt als rauchende Cinephile mit ausgeprägter Musikleidenschaft und Kulturbeflissenheit aus.
Alles führt zueinander

Es existieren ein, zwei, drei Fälle, sie alle beziehen ihre Relevanz aber immer nur durch ihre Rolle als Koordinaten im Duett der Liebenden. Sie sind der Fall, mal albtraumhaft, mal tatsächlich.
So gelingt es Petzold, zwei Liebende ins Zentrum dieses vermeintlichen Kriminalfilms zu stellen, was Barbara Auer und Matthias Brandt zu einem elektrisierenden Tanz im Kubus Auto, in der Obduktionshalle, im Amphibienhaus, auf dem Balkon, am Telefon und im Wald nutzen.
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Kommentare
snod
erstaunlich wie man einem krude zusammengeschusterten und stillos umgesetzen streifen tatsächlich sowas wie klasse andichten kann... es spiegelt aber immerhin das dilemma dieses filmes, von petzold selbst und seinen fans wieder, sich selbst mit hilfe einer staubtrockenen, pseudo-referentiellen und intellektuellen herangehensweise ans eigentlich sinnliche medium film eine seltsam konstruierte geschichte in 80er jahre tv-optik als modernes fernsehen einzureden.
Alice
präziser klüger besser als Herr Keilholz kann man über diesen grandiosen Film nicht schreiben!
ule
Klasse : Film und Kritik !
@snod : "krude" / "pseudo-referentiell"/ "stillos"/ "zusammengschustert" /"seltsam konstruiert"/ ...
herrlich, selten so gelacht :-)) und..bitte schreib noch mal was.
3 Kommentare