Endless Poetry – Kritik

Surrealistisches Versöhnungskino: Alejandro Jodorowsky geht zurück in seine Jugend und hofft, dass von seiner Selbstheilung auch fürs Kino was abfällt.

Poesia sin fin 02

Wenn man Alejandro Jodorowskys sonore Stimme hört, wie sie uns per Voice-over in seinen neuesten Film einführt, dann kann man fast gar nicht anders, als an dieses Crowdfunding-Video zu denken, mit dem der Regisseur im letzten Jahr höchstpersönlich um finanzielle Unterstützung für die Postproduktion von Endless Poetry (Poesía sin fin) geworben hatte. Nun hat die Sache also geklappt, immerhin 7.000 Leute haben mitgemacht und Jodorowsky die Bahn freigeräumt für sein „heilendes Kino“, das er dem „Unterhaltungs- und Zerstörungskino“ aus amerikanischen Gefilden entgegensetzen will. Freilich wäre es etwas ungerecht, Endless Poetry an solchen Aussagen des Regisseurs zu messen, aber dass Jodorowsky vor allem sich selbst heilen will, weil er das Publikum ohnehin für von Hollywood kolonisiert hält – wie er sich nun im Presseheft zitieren lässt –, das ist dem Film leider ziemlich anzumerken.

Oper und Theater in der Pubertät

Endless Poetry ist surrealistisches Versöhnungskino mit dem eigenen Leben, ein Projekt, das Jodorowsky schon mit seinem letzten Film La danza de la realidad (2013) begonnen hatte. Bald soll ein weiterer Teil die autobiografische Trilogie abschließen. Und man lässt sich zunächst gern mitnehmen in die Kulissen der Vergangenheit, die Jodorowsky als Schwarz-Weiß-Fototapeten über die mittlerweile heruntergekommenen Fassaden des einst pulsierenden Arbeiterviertels von Tocopilla werfen lässt – schöne, schlichte Spielereien am Computer sind das, im Geiste handmade. Bizarr überzeichnete Mini-Episoden konstruieren dann eine triste Pubertät zwischen repressivem Elternhaus und Poesiewunsch, immer wieder bedient sich Jodorowsky hier bei Oper und Theater. Gesungen wird vor allem in diesem ersten Teil, vor allem Alejandros Mutter entführt jeden Satz in Frequenzen, die dem menschlichen Gehör so gerade noch zugänglich erscheinen. Das Theater zieht sich dann durch den ganzen Film: In Massenszenen tragen Passanten anonyme Masken, in Innenszenen sind immer wieder verhüllte Bühnenhelfer im Bild, die den Figuren die gerade benötigten Requisiten in die Hände drücken.

Altbekannte Wegmarken

Poesia sin fin 01

Die Fabulierwut, die hier am Werk ist, und die ausgestellte Künstlichkeit, mit der sie ins Werk gesetzt wird, werden dann aber zunehmend auf den Boden der biografischen Tatsachen geholt. Nicht dass Poesía sin fin auf surrealistische Stilisierungen fortan verzichten würde; ganz im Gegenteil, die sind hier ja gerade nicht nur Trademark des Regisseurs, sondern auch Modus der Erinnerung. Aber motivisch wird das Ganze zum Biopic mit altbekannten Wegmarken, die dann eben kreisförmig und nicht linear angeordnet sind. Die ständigen Schwuchtel-Beschimpfungen und Medizinstudium-Bedrängungen des Vaters führen jedenfalls zur endgültigen Familienflucht; Alejandro kommt ins Wunderland der Bohème von Santiago, trifft auf Dichter und Musen, aufs Leben und aufs Leid. Die beiden wichtigsten Frauen sind einmal füllig und einmal kleinwüchsig; ob das eine Kritik an Schönheitsidealen ist oder nicht doch ziemlich sexistischer Voyeurismus, sei erst mal open to discussion. Problematischer ist da vielleicht Alejandros ständiges Beharren auf der eigenen Heterosexualität, das von der innerfilmischen Reaktion auf die väterliche Zurichtung in die filmische Form selbst sublimiert scheint. Jodorowskys Surrealismus ist immer potent, selten augenzwinkernd, behauptet ständig und ziemlich autoritär die Intensität von Leben und Liebe, mag sich aber kaum wirklich hingeben, behält lieber die Zügel stets in der Hand. Wie der junge Alejandro seinem Vater ständig erklärt, sagt auch dieser Film: Ich bin ein großer Künstler, aber deshalb nicht gleich schwul.

Entmündigtes Publikum

Vor allem aber ist Endless Poetry ziemlich eitel. Das Autobiografische wird zum Problem, wenn es sich für keine Subjektivität interessiert außer für die eigene. Jodorowsky verdammt uns zu Bewunderung oder Abneigung; die radikal persönliche Assoziation, die der Film darstellt, führt zu einer entsprechenden in der Rezeption. Über manches lacht man, über manches staunt man, aber irgendwann wird’s ermüdend. Es ist ein bisschen, als würde einem ein eigentlich faszinierender Unbekannter in der Kneipe ungefragt seine Lebensgeschichte erzählen, sie ordentlich ausschmücken und mit Lebensweisheit spicken und dabei stets dafür sorgen, dass für eigene Gedanken kaum Zeit bleibt. Nichts davon ist an und für sich ein Problem fürs Kino; das soll schließlich gerade keine Nachfrage bedienen, es darf auch ausschmücken und uns überwältigen. Es sollte sein Publikum aber nicht für derart entmündigt halten, dass es sich gar nicht gemeint fühlen kann.

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