Pale Flower – Kritik

Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis zieht es Muraki schnell in die Schatten des Verbrechens zurück. Im Gerüst ein klassischer Yakuza-Film, lebt Masahiro Shinodas Pale Flower (1964) mehr von stilisierten, teils aberwitzigen Momenten als von seiner Geschichte.

Auf die Einstellung von hell gekleideten Leuten vor einem äußerst dunklen Hintergrund folgt die Einstellung von dunkel gekleideten Leuten vor grellweißem Hintergrund. Ein drastischer Wechsel in den schwarzweißen Bildern, als würden unsere Augen kurz mal gegen eine Wand krachen. Es handelt sich um einen der markantesten Schnitte von Pale Flower (Kawaita hana, 1964), bei dem wir uns quasi im Herz dieses Films der Kontraste wiederfinden. So scheint das Weiß einem fast durchgehend in die Augen zu stechen, während das Schwarz nicht nur das Licht schluckt, sondern auch die Untiefen der Figuren, möglicherweise auch uns. Aber auch die Geschichte enthält kaum Grautöne und baut auf zwei gegensätzlichen Prinzipien auf.

Nur im Gerüst eine Yakuza-Story

Muraki (Ryō Ikebe) wird zu Beginn des Films aus dem Gefängnis entlassen, wo er erstaunlich wenige Jahre wegen eines Mordes verbrachte, den er im Zuge von Yakuza-Vorherrschaftskämpfen begangen hatte. Mit gleißendem Licht empfängt uns Pale Flower, aber Muraki sucht schnell wieder die Schatten auf. Das heißt: die Umgebung des organisierten Verbrechens. Dort, beim Kartenspielen, lernt er Saeko (Mariko Kaga) kennen, die zwar meist ihre Einsätze verliert, aber trotzdem nach Spielen mit immer höheren Einsätzen sucht. Es folgt eine im Gerüst klassische Yakuza-Geschichte über strategische Manöver zwischen den Gruppierungen, wobei unsere Hauptfigur in einen Widerspruch zwischen die Pflichten gegenüber dem Clan und den Gefühlen in einer fatalen Liebesgeschichte gerät.

Nur ist Regisseur Masahiro Shinoda Teil der Shōchiku-New Wave, also einer dieser drei Regisseure, die vom traditionsreichen, konservativen Filmstudio Shōchiku die Möglichkeit erhielten, eigenwilligere Filme zu machen. Seit den 1950ern hatte der zunehmende Fernsehkonsum eine Krise in den Kinos ausgelöst, und ab 1960 sollte die drei ein junges Publikum vor die Leinwand locken. Während die anderen beiden, Nagisa Ōshima und Yoshishige Yoshida, unter großem Getöse das Studio verließen, weil sie doch zu radikal für es waren, zeigt sich an Shinodas Pale Flower sehr schön die Demarkationslinie, ab der die sogenannte New Wave für das Studio untragbar wurde.

Politisch und ästhetisch war Shinoda zu diesem Zeitpunkt sicherlich noch der tragbarste von den dreien, und doch war dies der erste Film, den er unabhängig von Shōchiku produzierte und von seinem Studio nur noch vertreiben ließ. Zwar steckt in Pale Flower ein herkömmlicher Yakuza-Film, doch unterschied er sich grundlegend von den Filmen mit Ken Takakura wie Brutal Tales of Chivalry (Shôwa zankyô-den, 1965) , die fast gleichzeitig die japanischen Kinos zu dominieren begannen. Dort kämpfen ritterliche Helden in sachlicher Erzählweise gegen die faulen Äpfel unter den Yakuza an. Pale Flower ist dagegen zuvorderst introspektiv und an Dingen interessiert, die in den Figuren verschüttet liegen.

David Lynch kündigt sich an

Vor allem zeigt sich der Film aber nicht so sehr an seinem Gerüst interessiert, sondern mehr an der audiovisuellen Aufbereitung der einzelnen Momente. Die erwähnten starken Kontraste der Bilder, die leeren Flächen in den Einstellungen, in denen Gesichter und Körper zuweilen nur noch gerade so zu sehen sind, die Schnitte, die avantgardistische Musik von Tōru Takemitsu, das Geschehen, alles an Pale Flower ist darauf angelegt, kunstvoll und artifiziell zu irritieren, ohne dabei ins Abstrakte abzukippen.

Am schönsten ist das vielleicht in der Szene, in der Muraki Saeko bei einem Kartenspiel alteingesessener Yakuza einführt. Sobald sie den Raum betritt, richten sich alle Augen unablässig auf sie. Die vereinzelt schlagenden Töne der Musik machen spürbar, dass jeder Anschein von Normalität verschwunden ist. Und wenn alle Spieler beginnen, in ihrem Schoß ihre Karten zu mischen, beinah so, als wohnten wir einer Gruppenmasturbation bei, obwohl faktisch alles seinen geregelten Gang geht, dann reißt unter der Oberfläche von Pale Flowers mal wieder die Realität, und das Kino eines David Lynch kündigt sich sichtlich an. Es sind diese stilisierten, erratischen, teilweise aberwitzigen Momente, die den Film mehr bestimmen als seine Geschichte – was dann eben doch einen Tick zu viel des Guten für Shōchiku war.

Aber auch, wenn es also nicht so sehr um Yakuza geht, die Regeln ihrer Welt und ihre sozialen Implikationen, und auch wenn keine herkömmliche (Liebes-)Geschichte erzählt wird, bleibt Pale Flowers doch ein ziemlich klarer Film, weil er eben über einfache Kontraste organisiert ist. Wenn Muraki das Gefängnis verlässt, hören wir ihn auf der Tonspur darüber sinnieren, dass ein gesellschaftliches eingegliedertes Leben mit Familie und Job für ihn dem lebenden Tod gleichkäme. Und doch findet er Yakuza-Bosse vor, denen es selbst nur um Ruhe geht. Die nach Ausgleich in ihren Geschäften suchen, die sich auf ihre Neugeborenen freuen, die von Insignien des Westens umgeben sind, die sich im Tageslicht wohlfühlen. Oder er begegnet seiner Jugendliebe (Chisako Hara), die im Uhrengeschäft ihrer Familie darauf wartet, dass er eine Familie mit ihr gründet. Sie ist umgeben von Wänden voller Uhren, die anzeigen, dass die Zeit verrinnt, und von denen ein immenser Druck ausgeht.

Ein eigenschaftsloses Zentrum

Dem entgegen steht die Welt des Verbrechens und des Glückspiels. Die Welt der Schatten, der Drogenabhängigen, der Unkontrollierbaren, der immer höheren Einsätze und des Nervenkitzels, wo Mord die ultimative Droge ist. Die Welt der Leidenschaft, eines ewigen Jetzt – und von Saeko. Muraki ist sichtlich von ihr angezogen und schwirrt um sie wie die Motte um das Licht. Aber doch lauert hier der Schrecken von Sex, „Unreinheit“ und Zerstörung.

Zwischen diesen Kontrasten, zwischen Ordnung und Selbstzerstörung, befindet sich Muraki und kann sich nicht entscheiden. Er kann weder Teil von einem noch vom anderen sein, kann nicht einknicken oder sich einem Prinzip entgegenstellen. Er gleitet durch den Film und ist dessen eigenschaftsloses Zentrum, gegen das die Kontraste branden. Er hält sich schlicht an die Regeln, die ihm vorgegeben sind, und findet keinen Weg, aus dem Muster auszubrechen. Mit ihm steht ein leidenschaftsloser, ja gehemmter Todestrieb im Zentrum von Pale Flower.

Auf gewisse Weise ist er eine ins Zwielicht versetzte Figur aus einem Familiendrama von Yasujirō Ozu, nur dass sie durch das Ertragen ihrer Konflikte (und einiger Mengen von Sake) nicht wieder zum Einklang mit ihrer Welt zurückfindet. Vielmehr erhalten wir etwas, was das Shōchiku-Studio womöglich am meisten getroffen hat. Nämlich die schreckliche Vision einer Zeit der Widersprüche zwischen Jugend und Alter, die nicht auf Versöhnung hinausläuft, sondern einen japanischen Traditionen folgenden Weg in ein dunkles, dunkles Grab beschreitet.

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