Pacifiction – Kritik
Die sinnliche Erfahrung der Apokalypse. Albert Serra folgt in Pacifiction einem französischen Politiker auf einen zerstörerischen Trip nach Polynesien – gespickt mit absurden Einsprengseln, die an einen Spionagecomic erinnern.

Gemächlich gleitet die Kamera den Hafen entlang. Hinter den aufgetürmten Containern – sichtbarer Einzug der Globalisierung auf die Insel – schichten sich ein Streifen Pazifik und krakelige Berggipfel, wie eilig in den orangenfarbenen Himmel gekritzelt. Es dämmert, die Szenerie würde die zufriedene Trägheit eines ruhenden Paradieses verströmen, wenn nicht ätherische Klänge Unheil ins Bild sprenkelten. Ein Schlauchboot der französischen Marine fährt langsam ein, an Bord ein Admiral (Marc Susini) und eine Handvoll seiner Leute. Fast drei Filmstunden später verlässt ebendieses Boot mit ebender Mannschaft wieder die Insel, und man kann sich nur ungläubig-berauscht die Augen reiben. Was war das?
Getriebene Dunstgestalt

Anfang und Schluss sind einige der wenigen Szenen, die ohne die schillernde Hauptfigur De Roller (Benoît Magimel) auskommen, „Hochkommissar der Republik in Französisch-Polynesien“. Das Amt des Vertreters des französischen Staates gibt es wirklich, es lässt sich bis ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen, als Polynesien zunächst zum französischen Protektorat, dann zur Kolonie erklärt wird. Mit der Art, wie De Roller das Amt verkörpert, verlässt Pacifiction allerdings flugs den Boden der Wirklichkeit und richtet sich in einem eigenwilligen Zwittergenre ein, auf das schon die titelgebende Wortneuschöpfung verweist. Den mehr oder weniger klaren geografischen und zeitlichen Markern – Tahiti, einige Zeit nach den letzten französischen Atomversuchen in Französisch-Polynesien Mitte der 1990er und in einer Zeit der Rivalität zwischen Frankreich, den USA, China und Russland – steht die Dunstgestalt De Roller entgegen mit ihrer dezidierten Wirklichkeitsfremde.

Seinen Blick verbirgt der französische Staatsbedienstete hinter getönten Sonnenbrillen, sein beiger Zweireiher erscheint wie eine Kolonialreminiszenz. De Rollers seltsamer Arbeitsalltag kommt ganz ohne Büro aus, ohne Akten, ohne Verwaltung; stattdessen watet er wie ein Getriebener durch die zunehmend dunkle Welt, die Serra erschafft, und es bleibt bis zuletzt unklar, welchen Platz De Roller in diesem Gefüge eigentlich einnimmt. Dabei ist er in beinahe jeder Szene dieses Films, Pacifiction ist sein persönlicher Trip. Nur die Natur dieses Trips bleibt ein Rätsel: Es könnte ein Trip durch seine allumgreifende Paranoia sein, durch ein tatsächlich gegen ihn gerichtetes Komplott oder aber hin zu einer von ihm gelenkten Apokalypse. Die Welt geht zugrunde, aber an wem?
Paradise Night

Zu Beginn des Films wird De Roller mit – so könnte man meinen – brisanten Gerüchten konfrontiert: Angeblich erwägt Frankreich eine Wiederaufnahme der Atomversuche. Schon die Reaktion des Hochkommissars verortet den Film in einer ihm eigenen Deplatziertheit, auf einer anderen Ebene als der, die Setting und Thema suggerieren: Die Empörung bleibt aus. Gänzlich unbeeindruckt vom weltgeschichtlichen Zündstoff, von den menschen- und umweltrechtlichen Implikationen einer solchen Möglichkeit weist De Roller die Gerüchte etwas träge von sich ab, nein, nein, das würde ihn doch sehr wundern. Man denke allein an die Kosten!

Pacifiction ist kein Film über die französischen Atomversuche in Französisch-Polynesien; weder sucht er Bilder für das, was eine Wiederaufnahme bedeuten würde, noch ist er Gesellschaftsporträt oder Sozialdokumentation. Vielmehr ist Pacifiction die Vorahnung der Apokalypse, die sinnliche Erfahrung einer Welt im Wanken, unterminiert von dunklen Kräften im Verborgenen; gespickt allerdings mit absurden Einsprengseln, die in ihrer Einfachheit und Künstlichkeit an einen Spionagecomic für Kinder erinnern. Großartig etwa ist die Szene, in der De Roller auf einem kleinen Boot und mit einem Scheinwerfer ausgestattet ein U-Boot zu finden versucht; oder die Szene, in der ein nicht näher definierter Amerikaner (das reicht für die Verortung als Bösewicht) durch die Nacht späht, als wäre das, wonach alle suchen, ein Dieb und nicht eine komplexe geostrategische Intrige; dieses Auseinanderfallen von Bild und Handlung hat etwas wunderbar Eigenes.

Pacifiction hat seine Lieblingsorte, allen voran den Club Paradise Night, in den er immer wiederkehrt und der ein Echo abgibt auf die matte Hoffnungslosigkeit. Hier ist die Realität wie abgedämpft und träge, ihrer Geschwindigkeit und Dramaturgie beraubt; die Zeit fließt dahin, alles zerfließt. „Politik ist wie ein Nachtclub“, sagte De Roller später in einem Monolog, der in Erinnerung bleiben wird. „Das ist Politik: Menschen im Dunkeln, die sich nicht einmal anschauen. […] Vollkommen von der Realität abgeschnitten.“
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