Nightmare Alley – Kritik
Die Mechanik der eigenen Erzählmaschine: Für Nightmare Alley verfrachtet Guillermo del Toro einen monströsen Cast auf einen Jahrmarkt, verwandelt ganz klassisch eine Aufwärts- in eine Abwartsspirale und lässt sich dabei genüsslich in die Karten schauen.

Wie eine Motte vom Licht wird Stanton Carlisle (Bradley Cooper) vom sternförmig leuchtenden Riesenrad des Jahrmarkts angezogen. Gerade sahen wir noch, wie er eine Leiche samt Wohnhaus in der einsamen, stillen Feldlandschaft verbrannt hat, nun steht er zwischen den überbordenden, bunt gestalteten Schildern und Bühnen des Rummels, wo hinter jedem Vorhang eine neue Verheißung zum Staunen lauert: etwa der stärkste Mann der Welt Bruno (Ron Perlman), der Showman Clem (Willem Dafoe) mit seinem Kuriositätenkabinett oder die Wahrsagerin Zeena (Toni Collette).

Schwer, in diese Gesichter zu blicken, ohne sich an die monströsen Züge zu erinnern, die sie in der Filmgeschichte annahmen: die comichaft geformten roten Kanten eines Dämons (Hellboy), 2004), das teuflische Lächeln des Green Goblin (Spider-Man, 2002) oder die schaurige Wut der Annie Graham (Hereditary, 2018). Das Kino mag sich in den 1940er Jahren längst nicht mehr auf dem Jahrmarkt abspielen, aber Guillermo Del Toro bringt es zu Beginn seines neuen Films Nightmare Alley mit einem Besetzungskniff an diesen Ort zurück.
Del Toro über del Toro

Zudem spielt Del Toro mit Cast und zauberhaftem Setting ganz offen auf jenen Eskapismus in die Monsterwelt an, für den er sich schon in seinen wohl bekanntesten Werken Pans Labyrinth (2006) und Shape of Water (2017) interessiert hatte. Ein Eintauchen ins Fantastische, das bei ihm gleichsam von der Realität ausging, vom Faschismus Spaniens oder den Diskriminierungsformen in den USA. Insofern ist Nightmare Alley von Beginn an ein Del-Toro-Meta-Film, denn die attraktiven (Kino-)Kulissen des Jahrmarkts werden vom neugierigen Carlisle andauernd durchbrochen, um auf die realen Bedingungen dahinter zu blicken: auf die mal reine Muskelkraft, mal Geschicklichkeit erfordernde Arbeit.

Sein erster Gang in ein Zelt führt durch den Hintereingang wieder heraus, wo die Schausteller rauchend von ihrer Show pausieren. Und nur ein paar Minuten später hat Carlisle hier angeheuert, muss im strömenden Regen die Zelte auf- und abbauen. Zeena und ihren Mann Pete (David Strathairn) unterstützt er dabei, die Zuschauer durch das Erkennen ihrer privaten Krisen zu verblüffen. Del Toros Blick folgt ihm dabei, geht den trickreichen Ablauf der Show hinter den Kulissen minutiös durch: wie heimlich etwas ausgetauscht wird, die Bühne einen doppelten Boden hat, Pete darin mit einem Spiegel sitzt, um mit Zeena zu kommunizieren.
„Man or Beast?“

Nie aber kommen hier übernatürliche Mächte ins Spiel. Del Toro fährt den Zuckerguss-Stil des letzten Films zurück, geht mehr in den Film Noir, ersinnt seine Monster nicht im Fantastischen, sondern erblickt sie in der Realität. Zentral ist da Clem mit seiner großen Shownummer, die mit den Worten „Man or Beast?“ ihre Zuschauer lockt und einen verwilderten, abgemagerten Mann aus dem Käfig in die Manege lässt, um ihm ein lebendiges Huhn zum Fraß vorzuwerfen. Der menschliche Biss in den Tierhals mag besonders blutig ausfallen, aber gewaltvoll ist die Showeinlage eher, weil sie eigentlich gar kein Trick ist: Clems geeks sind nichts anderes als drogenabhängige Obdachlose, die er per Jobangebot herumkriegt und anschließend mit Betäubungsmitteln für den Auftritt zurichtet.

„Mensch oder Monster?“, diese Frage schwebt von da an über dem Film wie ein Leitmotiv, lässt sich an fast jede Szene herantragen. Die Antwort freilich ist wie bei Clems Show nicht immer eindeutig, aber dennoch eine Standortbestimmung des Stanton Carlisle innerhalb einer klassischen Geschichte von Aufstieg und Fall, die Nightmare Alley schon in William Lindsay Gresham gleichnamigen Roman ist. Und die sichtbar macht, warum die Branche so eine geeignete Bühne für dieses Drama ist. Ähnlich wie bei Christopher Nolan und seinem Magier-Wettkampf The Prestige wird die Unterhaltung in Nightmare Alley selber zum Drahtseilakt: Immer auf der dünnen Linie zwischen „echt“ und „falsch“ balancierend, darf sie nie in die eine oder andere Richtung kippen. Ist der Trick leicht zu durchschauen, ist jede Illusion dahin. Aber Carlisle wird von Pete auch vor der anderen Seite gewarnt: Ist es vollkommen real, wird es eine spook show, in der Menschen verletzt werden.
Monströse Mechanik

Irgendwann wird Carlisle mit der Schaustellerin Molly (Rooney Mara) dann eine eigene Mentalisten-Show für die amerikanische Oberschicht aufziehen, dort die Psychotherapeutin Dr. Lilith Klein (Cate Blanchett) kennenlernen, die ihm private Informationen über ihre Patienten gibt, mit denen Carlisle umso überzeugender ‚wahrsagen‘ kann. Welche Richtung Nightmare Alley also schlussendlich einnehmen wird, steht diesem Film so sehr auf der Stirn geschrieben wie Blanchetts verführerischem Lächeln die gefährliche Intrige.

Bei dieser scheinbar wie von Zauberhand geleiteten Entwicklung von einer Aufwärts- in eine Abwärtsspirale lässt sich der Film ziemlich in die Karten schauen. Del Toros Erzählmaschine offenbart mit ihrem Beharren auf Carlisles Alkoholabstinenz (die gebrochen wird) und der am Anfang eingeführten Leiche im Keller (die als psychischer Knacks wiederkehrt) den Durchblick auf die eigene Mechanik. Und wenn Carlisle schlussendlich wieder am Boden ist, läuft Nightmare Alley auf einen Elefanten heraus, der auch schon vorher in den filmischen Räumen Del Toros stand: Sein Kino erzählt monströs, weil die Gesellschaft eine monströse ist.
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