New Order – Die neue Weltordnung – Kritik

Die Verwüstung einer großbürgerlichen Feier als klassenkämpferische Eskalation: Das klingt nach Parasite. Doch Regisseur Michel Franco geht es nicht um die feinen Unterschiede, dafür hat er viel zu viel Spaß an der Eskalation und am Nihilismus.

Die feine Gesellschaft lädt zu einer Hochzeitsfeier in den besseren Vierteln von Mexiko-Stadt: Drinnen wird geschäkert, Geschenke werden überreicht, Geschäftliches wird besprochen. Draußen stehen sich die Chauffeure neben teuren Sportwagen und SUVs die Beine in den Bauch. Ein Auto wurde bei der Anfahrt mit grüner Farbe verunstaltet, plötzlich speit auch der Wasserhahn nur noch Grün aus. In dieser Farbsymbolik deuten sich die niederen Motive an, die die Hochzeit in einem Blutbad werden enden lassen, Neid und Gier. Bald schon überrennen die prekären Dienstleister, Chauffeure und Zimmermädchen, Kellnerinnen und Köche, blind vor Wut und dennoch organisiert, die Party. Sie räumen Safes und Schmuckkästen aus, während sie die „reichen Schlampen“, und wen sie sonst noch finden, ohne jede Hemmung erschießen.

Nur die Braut Marianne (Naian González Norvind) überlebt das Blutbad, weil sie kurz vor der Katastrophe ihre eigene Hochzeit verlässt, um Geld für den früheren Angestellten Rolando (Eligio Meléndez) aufzutreiben – nur um kurz darauf in ein parastaatliches Folterlager gesteckt zu werden. Rolandos Frau wurde aufgrund der Unruhen aus dem staatlichen Krankenhaus geworfen, sodass jetzt ein privates bezahlt werden muss: Auch hier wird deutlich, dass die Sympathien des Films keinesfalls automatisch bei den Demonstrierenden liegen – man muss diese gesichtslose Masse wohl eher die Randalierenden nennen –, deren Aufstand gegen die da oben sich schon bald auf die ganze Stadt erstreckt.

Die menschennahe Chronik einer Katastrophe

Die Verwüstung einer großbürgerlichen Feier als klassenkämpferische Eskalation: Das liest sich möglicherweise, als setze New Order analytisch oder stilistisch am Finale von Parasite (2019) an. Doch Regisseur Michel Franco geht es nicht um die feinen Unterschiede, dafür hat er viel zu viel Spaß an der Eskalation und am Nihilismus. Nicht nur endet die Revolution im Terror; die Unbescholtenen erfahren stets das größte Leid, und die Upperclass macht es sich recht schnell wieder gemütlich. Zuletzt ist alles wie gehabt, nur viel schlimmer.

Denn nach den Krawallen ist schnell ein militantes Regime etabliert, dessen Ursprung ebenso im Dunkeln liegt wie seine politische Orientierung. Die Gutbetuchten scheinen vom Terror unbehelligt leben zu können, während die Armenviertel Ausgangssperren, Gewalt und willkürlichen Erschießungen ausgesetzt sind. Gleichzeitig werden eine große Menge „Kapitalistenärsche“, darunter auch die hilfsbereite Marianne, festgehalten und gequält, um nach der Lösegeldübergabe getötet zu werden. In drastischen Szenen werden psychologische und körperliche wie sexuelle Folter ausgekostet.

Das alles, wie der ganze Film, spielt sich in recht langen Einstellungen ab, die nach dem „Und dann“-Prinzip aneinandergeschnitten werden, was New Order wie die menschennahe Chronik einer Katastrophe wirken lässt. Gerade das Kippen der Revolution ins Regime bleibt von politisch-ökonomischen Fragen unbehelligt, wodurch der Film sich im Terrorspektakel erschöpft. Man denke an Fassbinders Die dritte Generation (1979), in der ziellose Revoluzzer gegen sich selbst arbeiten, weil sie sich wunderbar für ganz konkrete Kapitalinteressen instrumentalisieren lassen. Eine vergleichbare Analysehaltung nimmt New Order nicht ein.

Drastik und Geraune

Francos Film versteht sich als desillusionierte Warnung vor einem gewalttätigen Aufstand, der in Chaos und Terror mündet und mit der gleichen Gewalt, in besser organisierter Form, gebannt wird. Dabei werden verschiedene Topoi wie die vulgäre Reduktion sozialer Aufstände auf „Neiddebatten“ aufgenommen und fallengelassen, um zu der ernüchternden Erkenntnis zu gelangen, dass die Welt kein schöner Ort ist. Armut ist mehr Schauplatz denn Thema, und Marianne gibt die gütige Erlöserin mitsamt Martyrium. Franco gibt jegliche analytische Schärfe für Drastik und Geraune auf.

Doch vielleicht gewinnt der Film, wenn man ihn als Teil einer Wiederkehr des Klassenkampfes im Kino der letzten Jahre beachtet, wie sie Sascha Westphal kürzlich in einem Essay konstatierte und in der er auch New Order verortet. Und zu diesen Auseinandersetzungen mit dem Aufstand gehört nicht nur euphorische Zuversicht auf große Veränderungen, sondern auch diffuses Unbehagen und Angst beim Gedanken daran, was da kommen mag.

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