Nachtkatzen – Kritik

Ein Regisseur dreht einen experimentellen Fetisch-Film im Wald und verschwindet plötzlich spurlos. Valentin Merz’ Improvisationsfilm Nachtkatzen ist in Form und Inhalt unverbindlich, bei seinen sanften sexuellen Transgressionen dafür umso nahbarer.

Zwei Personen stehen mit offenen Mündern unter dem plätschernden Nass eines Wasserfalls; eine ältere Frau schüttet aus einer weißen Porzellankanne Milch auf den Waldboden. Hinter der Kamera steht Valentin (Valentin Merz) und fängt das Schauspiel für seinen experimentellen Erotikfilm in weichgezeichneten Bildern auf. Kurz darauf erforscht die Polizei Valentins plötzliches Verschwinden. Der Kommissar (Jean-Charles de Quillacq) fragt im Verhör einen lokalen Bauer, den Valentin als Nebendarsteller angeheuert hatte, worum es sich bei diesem Filmprojekt genau dreht. Der antwortet trocken: „Ich habe nicht ganz verstanden, worum es geht. Es geht irgendwie um Uj-juj-juj.“

Didaktischer Softporno

Um dieses Uj-juj-juj geht es in Nachtkatzen durchaus, zumindest streckenweise. Mundinnenräume abtasten, an Zehen lutschen, spucken, riechen, pusten, lecken, reiben, rangeln, schlagen, bluten, sterben. Der Film bricht mit den Vorstellungen, die in der Regel Hetero-Sexualitäten zugeschrieben werden – vaginaler Sex in Missionarsstellung, monogam, zwischen zwei als gesund gelesenen, weißen Körpern ähnlichen Alters – und inszeniert queere Sexualitäten als gleichwertige, ja, schöne Formen der Lustgewinnung, begeht hier und da auch sanfte Transgressionen. Wenn Valentin durch die Kameralinse seine Schauspieler beobachtet, wird das Filmemachen selbst zu einer sexuellen Handlung. Filmisch ist all das vielfältig gestaltet: mal märchenhaft-pittoresk wie in einem Heimatfilm, mal statisch und sachlich. Auch wenn sie mitunter einen fast didaktischen Charakter annehmen, ist Nachtkatzen vor allem in diesen Momenten nahbar.

Der Herausforderung, einen narrativen Rahmen für nicht-normative Sexualitäten zu finden, in dem diese weder trivialisiert noch exotisiert werden, begegnet der Film mit einem selbstreflexiven Ansatz. Halbwegs einfach ausgedrückt: Der Regisseur Valentin Merz spielt im Film den Regisseur Valentin. Robin Mognetti, der für Nachtkatzen die Kamera führt, spielt den Kameramann Robin Mognetti, der für den Film im Film „Nachtkatzen“ die Kamera führt. Lediglich den groben Handlungsverlauf hat Merz entwickelt, ließ sich dann durch Situationen und Intuitionen der Darstellenden leiten, die sich selbst und und ihre Rolle in ihrem Department repräsentieren. Wenn also der Bauer im Polizeiverhör von seinem Mitwirken und seiner Ratlosigkeit gegenüber dem Inhalt berichtet, wird seine persönliche Reflexion zum konkreten Gegenstand der Szene. Natürlich führen die Darstellenden eine Fiktionalisierung ihrer Figuren durch, sie ist nur deutlich schwieriger zu definieren. Und Merz findet viel Freude daran, das Publikum durch Verfremdungseffekte auf die Medialität seines Films hinzuweisen. Ab und zu schwenkt die Kamera am Ende einer Einstellung lose in den Himmel, während die Crew sich über den Take unterhält.

Sinnliche Unsinnigkeit

Nachtkatzen bleibt gewollt unsinnig und streift sich verschiedene Kostüme über: Magischer Realismus, Geisterfilm und sogar Zombie-Splatter finden ihren Platz. Diese Unverbindlichkeit in Form und Inhalt macht den Film streckenweise frustrierend, aber auch interessant. Man könnte sagen, auch der Erzählmodus ist von einem queeren Geist beseelt, lässt sich keiner Kategorie unterordnen, erwächst nur aus sich selbst. Wenn der Film mit Valentins Verschwinden sich plötzlich in das Gewand einer Kriminalgeschichte schmeißt, bleibt die anfängliche Lust – mal als süßlicher Nachgeschmack, mal konkret bildlich – bestehen und bildet eine schmale Brücke zwischen den Themen Sex und Tod. Plötzlich meint man, eine neugierige Erregung in den Blicken des Kommissars zu erhaschen, plötzlich schmiegt sich eine subtile Erotik in das Schäkern zwischen zwei Bestatter*innen. In jeder Situation findet sich ein Funken von Begehren, so wie letztlich auch im Sterben selbst.

Der spanische Titel des Films lautet De noche los gatos son pardos, lose auf Deutsch übersetzt: Nachts sind alle Katzen grau. Die Nacht erschwert es, sich voneinander zu unterscheiden, lässt Grenzen verschwimmen, Hemmungen erweichen. Den Tagesanbruch erzählt Merz, indem er Tod und Gewalt als mögliche Folge der queeren Selbstoffenbarung andeutet. In diesen späten Wendungen erweckt der Film aber eher ein analytisches Interesse, als dass er zu berühren vermag. Doch Nachtkatzen ist zugleich ein Film, der umso interessanter wird, je mehr man sich mit seinem Kontext auseinandersetzt – und der an Wirkung gewinnt, wenn man rückblickend seine zahlreichen Schichten zurückschält und bei Tageslicht betrachtet.

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