My Sweet Pepper Land – Kritik

In seinem Western erzählt Hiner Saleem vom Aufbau autonomer kurdischer Strukturen und allem, was dem im Wege steht. Die Genremotive hat er allerdings eher dazwischengemogelt.

My Sweet Pepper Land 01

Der Western beginnt auf einem leeren Schulhof. Ein Feind der kurdischen Befreiungsbewegung soll gehängt werden, doch alles läuft schief. Der tollpatschige Polizist hat nichts vorbereitet, der Basketballkorb hält das Gewicht des Todeskandidaten nicht, ihn zu erschießen oder noch ein weiteres Mal zu hängen ist juristisch gesehen nicht ganz in Ordnung. Die kurze Episode fungiert als abstrakter Prolog, eine absurde Farce, die thematische Motive von My Sweet Pepper Land vorwegnimmt. Kurdische Autonomie schön und gut, aber wer baut nun die Institutionen auf, nach welchen Maßstäben, mit welchem Recht – und wie wird dieses durchgesetzt? Was kommt nach der Befreiung, nach der Revolution? Wie geht man nun selbst mit Widerstand um? Ein Western-Stoff, in der Tat.

Konfuses Nebeneinander der Stimmungen

My Sweet Pepper Land 06

Im ersten Teil des Films scheint es noch, als hätte Hiner Saleem sich auch über den Prolog hinaus an die atmosphärischen Vorgaben der politischen Farce halten wollen. Doch mit Einsetzen der eigentlichen Handlung verpufft der schwarze Humor nach und nach, wird überführt in eine nüchtern erzählte Geschichte, die nicht mehr durch Groteskes verfremdet wird, sondern durch Avancen an den klassischen Western. Und so ist auch die Einstiegsszene irgendwann nur noch vage Erinnerung an eine von unzähligen Stimmungen, die diesen Film durchlaufen, aber nie wirklich genossen werden können. My Sweet Pepper Land ist auch nach dem skurrilen Prolog ein äußerst merkwürdiger Film, doch das ist schon bald kein Kompliment mehr.

Im Kern geht es um die Begegnung zweier Menschen. Der frühere Freiheitskämpfer Baran (Korkmaz Arslan) will seinem Volk Gerechtigkeit schenken und lässt sich als Polizist in das kurdische Grenzdreieck zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak versetzen. Schnell bekommt er es mit den traditionellen Machthabern zu tun, die die Durchsetzung von Recht und Ordnung für sich beanspruchen. Im gleichen Dorf will die selbstbewusste Govend (Golshifteh Farahani) ihre Arbeit als Lehrerin wieder aufnehmen, aber auch sie kämpft mit lokalem Widerstand: Bildung scheint nicht das Wichtigste, schon gar nicht, wenn sie von einer alleinstehenden Frau eingeführt wird. Gerüchte um eine Beziehung zwischen den beiden Protagonisten lassen nicht lange auf sich warten. Das Feld ist früh abgesteckt. Alles, was passieren muss, wird passieren.

Zu wenig Rosinen, zu viel Checkliste

My Sweet Pepper Land 07

Zwischendurch tritt eine bewaffnete Gruppe von kurdischen Frauen auf, die in der Türkei gegen ihre Unterdrückung kämpfen. Mit ihnen verlässt My Sweet Pepper Land kurzzeitig die Männerwelt des Westerns, widmet sich dem konkretem Widerstand, schenkt uns ein bisschen Action jenseits des schnell langweilig werdenden Machtkampfs zwischen formeller und informeller Autorität. Doch schon bald werden die Guerilleras an den Rand der Handlung gedrängt. Wie die romantisierenden, aber doch schön melancholischen Szenen, in denen Govend unter freiem Himmel auf einem Hang spielt, oder diese unglaubliche Energie, mit der zwei angeleinte Pferde unversehens aufeinander losgehen, sind sie dann nur noch interessantes Versatzstück in einem Film, der seine Form nicht findet, vielleicht gar nicht finden will, sodass man zum Rosinenpicken verdammt ist.

Anregend ist diese Formlosigkeit deshalb nicht, weil das, was My Sweet Pepper Land im Innersten bewegt, der Rückgriff auf altbackene Motive ist. So läuft der „kurdische Western“ schließlich doch auf standardisiertes Polit-Arthouse mit übersichtlichem Themencheck für den Förderantrag hinaus: Ah ja, Korruption ist ein großes Problem. Ah ja, die Warlords müssen entmachtet werden. Ah ja, die Frauen werden unterdrückt. Ah ja, Bildung ist sehr wichtig. Alles wird ausbuchstabiert und hundert Mal illustriert. Der Dorfpate ist oberböse, die chauvinistischen Brüder oberfies, die Frauen oberhübsch.

Schaut her, ein Western!

My Sweet Pepper Land 03

Freilich kann eine solche Kritik schnell ins Leere laufen, denn irgendwie soll das alles natürlich so sein, die bekannten Motive treten als offensiv ausgestellte Genrezitate in Erscheinung. Und klar: Die hier unter Weltkino-Verdacht stehenden „Themen“ berühren genau jene Fragen um prekäre und stets neu auszuhandelnde Machtverhältnisse, die auch im Zentrum des Westerngenres stehen. Ist die Analyse der Probleme kurdischer Unabhängigkeit im Spiegel einer Ästhetik, die wir mit der „Zivilisierung“ des amerikanischen Westens verbinden, dann nicht eine recht anregende Synthese von Film und Welt? Sind die plakativen Figuren und die fast schon märchenhafte Handlung also Teil einer ganz bewussten Reflexion des Verhältnisses von klassischem Kino und Tagespolitik?

Gedanken dieser Art entströmen weniger Saleems Film selbst als der offensichtlichen Markierung von My Sweet Pepper Land als Western. Die Begegnung zwischen einer konkret benennbaren politischen Situation und den Mythen und Motiven des klassischsten aller Genres ist eher leicht zu verkaufende Prämisse, als dass sie im Film tatsächlich stattfindet. Denn ganz anders als in Nuri Bilge Ceylans weitaus anregenderem Once Upon a Time in Anatolia (2010) stehen die beiden Ebenen hier eher nebeneinander: Inhalt und Form, Drehbuch und Kamera, Arthouse und Western, immer schön abwechselnd. Die mitunter herrlich fotografierten Landschaftsbilder, die Gitarrenmusik, die wenigen ästhetischen Verfremdungen erscheinen somit weniger als der Handlung entsprechende Filmsprache denn als kalkuliertes Distinktionsmerkmal, Versicherung des cineastischen Segens für einen ansonsten hoch schematischen Film, der mal schön sein will, mal komisch, mal ernst – und am Ende nichts davon so richtig ist.

Neue Kritiken

Trailer zu „My Sweet Pepper Land“


Trailer ansehen (3)

Neue Trailer

alle neuen Trailer

Kommentare

Es gibt bisher noch keine Kommentare.






Kommentare der Nutzer geben nur deren Meinung wieder. Durch das Schreiben eines Kommentars stimmen sie unseren Regeln zu.