My Blueberry Nights – Kritik
Wong Kar Wai reist in fremde Lande. Mit My Blueberry Nights arbeitet er sich an der seichten Version eines Road Movies für Melancholiker ab.

Die Gründe, die einen ausländischen Filmemacher dazu bewegen, in den USA zu drehen, können ja vielerlei Natur sein. Wenn ein Regisseur wie Wong Kar Wai diesen Schritt wagt, sind die Erwartungen in jedem Fall hoch. Und dies nicht nur, weil der Arthouse-Größe aus Hongkong mit seinen letzten abendfüllenden Werken In The Mood for Love (Huayang Nianhua, 2000) und 2046 (2004) so etwas wie Formvollendung gelungen ist.
Mit der Unterstützung des New Yorker Drehbuchautors Lawrence Block und Schauspielern aus Nordamerika und Großbritannien hat Wong nun eine moderne Liebesgeschichte geschaffen, die er mit Elementen des klassischen amerikanischen Road Movies durchsetzt. Sängerin Norah Jones gibt ihr Leinwanddebüt als Elizabeth, eine Frau, die sich nach einer Trennung aus Selbstfindungsgründen auf eine Reise durch die Vereinigten Staaten begibt. Episodenhaft erzählt My Blueberry Nights von Elizabeths Begegnungen mit anderen, von Jude Law, Natalie Portman, Rachel Weisz und David Strathairn gespielten, verlorenen Seelen, die gleichermaßen mit ihren Sehnsüchten ringen, ganz wie schon andere Protagonisten Wongs vor ihnen.

Neben diesen allgemeinen thematischen Motiven sind zudem die Schauplätze der Begegnungen aus früheren Filmen Wongs bekannt: Nächtliche Bars, Cafés und Schnellimbisse zählten stets zu den privilegierten Örtlichkeiten, in denen seine Figuren aufeinander trafen. Spielt sich ein Großteil der Handlung in diesen Innenräumen ab, bricht Wong dieses Kontinuum immer wieder mit Außenaufnahmen der prominenteren Stationen von Elizabeths Streifzügen auf. New York, Memphis und die Wüste Nevadas sind Großstadt- und Landschaftsstriche, die die Bilderwelt des Films beherrschen, für die diesmal nicht des Filmemachers regelmäßiger Kameramann Christopher Doyle verantwortlich zeichnete, sondern der Iraner Darius Khondji, der zuvor das neogotische Leinwanduniversum aus Sieben (Se7en, 1995) erschuf und auch hier sein Können demonstriert.
Die Aufmerksamkeit gilt jedoch natürlich dem Blickwinkel Wong Kar Wais. Der Regisseur bewies stets großes Formbewusstsein in seinen Filmen, und hier in der Ferne gilt sein besonderes Interesse der amerikanischen Ikonographie, wie auch schon Wenders (Paris, Texas, 1984), Antonioni (Zabriskie Point, 1970) und kürzlich Dumont (Twentynine Palms, 2003) vor ihm. Diners, Autos, Reklameschilder und die Wüste, all diese Versatzstücke der US-Kultur finden sich in My Blueberry Nights allerdings immer wieder mit der bloßen Anmutung einer ästhetischen Best-Of-Sammlung. Präsentiert werden solche klassischen Embleme lediglich aus der Perspektive eines Touristen, der dem Reiz des Anderen erlegen ist.
Ganz kurz blitzen Einstellungen von New Yorks Subway oder neonbeleuchteten Hochhäusern auf, die formal einzelnen Szenen des Hongkongs aus Fallen Angels (Duoluo Tianshi, 1995) oder Chungking Express (Chongqing Senlin, 1994) nachempfunden zu sein scheinen. Visuell beschränkt sich My Blueberry Nights aber eben meist auf das Recyceln eines überlieferten Standardzeichenrepertoires amerikanischer Filme im Allgemeinen und Road Movies im Besonderen, gepaart mit einer hübschen, farbintensiven Bildsprache, die außer einer schwammigen Melancholie herzlich wenig kommuniziert. Das ist umso enttäuschender, waren Wongs Filme doch stets von einer innovativen und stark ausgeprägten Sensibilität für ihr räumliches Umfeld gekennzeichnet. Schmerzlich vermisst man eine persönliche Sicht, oder gar eine fruchtbare Form von Distanz in My Blueberry Nights, die über die bloße faktische eines Außenseiters in Amerika hinausgeht und über die sich Wong das Gezeigte vielleicht zu Eigen hätte machen können.

Auch spielt der Soundtrack seit jeher eine maßgebliche Rolle bei Wong Kar Wai, und so pulsiert My Blueberry Nights ebenfalls in stimmungsgebendem musikalischen Rhythmus. Unterlegt ist der Film mit Liedern von Norah Jones und dem Otis-Redding-Klassiker „Try A Little Tenderness“. Hier leider bezeichnende Entscheidungen in einem recht eindimensionalen Werk, dessen Modus Überdeutlichkeit zu sein scheint und das in seinem Drehbuch zudem mit fast sentimentalen Blaubeerkuchenleitmotiven und Schlüsselbundmetaphern operiert.
Ein weiterer Aspekt zeugt noch nachträglich von Wongs Außenseitertum, versucht er doch erst gar nicht, die soziokulturelle Situation seiner Protagonisten zu reflektieren, wie er es in seinen in der Heimat verorteten Filmen oft vermochte. Die meisten Figuren bleiben in My Blueberry Nights unterentwickelte Sketche, die einiges an Charakterzeichnung zu wünschen übrig lassen. Gerade über die Heldin lernen wir kaum etwas, obwohl Wong und Block ihren Road-Trip genregemäß als identitätsstiftende Erfahrung anlegen. Elizabeth reagiert auf ihr Umfeld mit Passivität und teils sogar Gleichgültigkeit, und einen ähnlichen Eindruck erhält man von Wong Kar Wai. Über mehr als eine Dekade hat sich der Regisseur als eines der vitalsten Talente des World Cinemas etabliert. Mit seinem ersten englischsprachigen Film mag er den Weg zu einem breiteren Publikum gefunden haben. Dabei liefert er aber ein uninspiriertes Werk ohne jegliche emotionale Schlagkraft ab, das sämtliche Erwartungen seiner Fans bitter enttäuscht.
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