Mord in Pacot – Kritik

Vollkommen unaufgeregt seziert Raoul Peck die nach dem großen Erdbeben offen daliegende Sozialstruktur Haitis – und strebt doch heimlich einer großen Aufregung zu.

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Die emotionalen Ausbrüche verpuffen, prallen ab an diesem Film. Die Bitterkeit, der Schmerz, die Trauer dieses für haitianische Verhältnisse eher wohlhabenden Ehepaares müssen zwar manchmal auch rausgeschrien werden, aber Raoul Peck lässt diese Schreie erst mal genauso stehen wie die sachlicher geführten Dialoge zuvor. Die Stimme der Frau spricht von Hass, aus ihr Verzweiflung, aber Mord in Pacot (Meurtre à Pacot) lässt sich von dieser Stimme nicht aus seiner Ruhe bringen, bleibt bei der unaufgeregten Bestandsaufnahme einer Gesellschaft nach der Katastrophe. Und so ist die Intensität dieses Films eine gehemmte, so liegt die Wahrheit nicht in den Momenten, die Gefühle auf den Punkt zu bringen scheinen, sondern im geschlagenen Körper dieses Mannes, in den traurigen Augen dieser Frau, deren zierliche Statur über die Schwere jeder ihrer Bewegungen nicht hinwegtäuschen kann. „Die Reichen sind so fragil“, wird eine Arme später sagen.

Licht ins Dunkel

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Das Setting: Haiti nach dem Beben, täglich steigt die Zahl der Toten. Raoul Peck bleibt in einer halbzerstörten Villa in einer Vorstadt von Port-au-Prince, das große Leiden deshalb im Off. Dass auch seine beiden namenlosen Hauptfiguren (gespielt von Alex Descas und der in Deutschland aufgewachsenen Sängerin Ayọ) einen Toten zu beklagen haben, das kommt erst nach und nach ans Tageslicht, weil Mord in Pacot uns erst mal reinwirft in einen Alltag und dann ganz behutsam und durch organisch in den Plot eingewobene Erkenntnisse die ganze Geschichte enthüllt. Und die will der politische Filmemacher, der selbst einst Kulturminister seines Landes war, nicht als exemplarisches persönliches Schicksal im Schatten der Trümmer verstanden wissen, sondern als Geometrie sozialer Verhältnisse auf lichtdurchflutetem Grundstück.

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Dafür reicht ihm, neben der sich ohnehin für die allegorische Indienstnahme anbietenden Ruine (in der es stark mieft, in der vielleicht irgendwo noch ein Kind begraben liegt), eine präzise Grundkonstellation: Die Frau und der Mann, praktisch bankrott, brauchen Geld für Reparaturen, damit das einsturzgefährdete Haus nicht abgerissen wird, und so ziehen sie selbst in einen Anbau und vermieten den noch bewohnbaren Teil ihres Anwesens weiter. Die Mieter: NGO-Mitarbeiter Alex (Thibault Vinçon) mit seiner jungen haitianischen Freundin Andrémise (Lovely Kermonde Fifi). Die theoretisch reichen landlords leben nun also in Trauer und Not und müssen nach dem Verschwinden ihres Angestellten Joseph die Hausarbeit selber machen, während die aus dem verarmten Süden des Landes stammende Andrémise, die sich bald in Jennifer umbennent, es sich in ihrer Villa gemütlich macht und von Europa träumt: Das Beben hat die Verhältnisse nachhaltig irritiert. Wenn die Häuser wegbrechen, kommen nicht nur versehrte Körper ans Licht. Auch die Überlebenden begegnen sich jetzt ungeschützt.

Symmetrische Asymmetrien

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Die Spannung von Mord in Pacot liegt ganz in diesen vor lauter gegenläufigen Asymmetrien ziemlich symmetrisch gewordenen Machtverhältnissen, die sich in offenen Konflikten, in bösen Blicken, dann aber auch in Momenten der Solidarität und des Begehrens ausdrücken. Solidarität: Manchmal, da vergisst dieser Film seinen Pessimismus und denkt die Katastrophe als Ursprung eines anderen Umgangs miteinander, fasst das Erdbeben als ein Ereignis, das nicht nur Gebäude, sondern auch Gewissheiten ins Wanken bringen kann. „The country belongs to everyone now that it’s ruined“, sagt Jennifer einmal. Begehren: Eben diese zunächst belächelte Jennifer wird für ihre Belächler bald zu einem exotischen Objekt der Begierde, Peck bedient sich dafür bei Pasolinis berühmtem Teorema-Motiv.

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Derartige Verschiebungen im Figurengefüge bilden die zentrale Bewegung des Films und irritieren immer wieder auch unsere Zuschauerposition. Zunächst lädt uns Peck zur Perspektive seiner Protagonisten ein, dann tariert er unsere Empathien und Vorbehalte ihnen gegenüber behutsam aus und schüttelt sie schließlich nochmal gänzlich durcheinander. Denn sein Film strebt, darauf weist ja schon der Titel hin, schließlich doch zur Zuspitzung, findet in einer von Regen und Donner dramatisierten Nacht Täter und Opfer, Leichen und Überlebende – aber das weiß lange Zeit nur die Filmmusik, die allein sich der nüchternen Distanz entzieht.

Klassenbewusstsein statt Mitleid

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Am Ende fast egal ist dann Alex, der einzige Weiße. „Ich helfe“, sagt er, wenn er nach seinem Beruf gefragt wird; Jennifer nennt die Fotos, die er mit lachenden schwarzen Kindern knipst, seine Trophäen. Etwas gewollt hinzugefügt wirkt diese Ebene dem Porträt inner-haitianischer Machtverhältnisse, aber natürlich braucht es diesen Alex. Nicht unbedingt als neokolonialistischen Körper – rassistische Strukturen sind hier ohnehin nicht schwarzweiß gemalt, sondern konsequent an soziale Relationen gebunden. Aber als zusätzlichen Schwerpunkt in einem komplexen Gefüge. Als Projektionsfläche für den Wunsch nach einem besseren, nicht erreichbaren Leben: als Weißabgleich. Und als Repräsentant jener desaströsen Hilfs-Industrie, die Peck schon vor zwei Jahren in seiner Dokumentation Fatal Assistance hart angegangen hatte. Mord in Pacot liefert nun nicht bloß eine fiktionalisierte Form dieser Kritik, sondern dank seines, formulieren wir es mal altmodisch, Klassenbewusstseins auch ein Gegenprojekt zum filmischen Modus des Spendenaufrufs, dem Mitleids-Arthouse-Themenfilm. Nicht das große menschliche Leid fürs schlechte Gewissen zeigt er uns, sondern weist im unmittelbaren Danach auf das, was schon vorher war und nur zur Kenntlichkeit gerüttelt wurde. Nicht das Erdbeben ist die Katastrophe, sondern dass es so weitergeht.

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