Mudbound – Kritik

Emanzipation im Bild ausgeschlossen: In dem Netflix-Drama Mudbound gelingt es Dee Rees mit den Mitteln des klassischen Erzählkinos, Rassismus nicht als Sonderfall, sondern als Ordnungsprinzip zu begreifen – und über ästhetische Gegenprinzipien nachzudenken.

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Die dritte Erzählerstimme ist ein politischer Eingriff. Sie eröffnet uns nicht nur die Sichtweise einer dritten Figur, sondern bricht mit einer ganzen Repräsentationslogik. Das hat damit zu tun, dass Hap Jackson (Rob Morgan), dem diese Stimme gehört, schwarz ist – aber natürlich nicht nur damit. Vielmehr ist das dritte Voice-over deshalb ein politischer Akt und nicht bloß diversity-logische Erweiterung der Perspektiven, weil die afro-amerikanische Regisseurin Dee Rees uns mit der Eingangssequenz ihres zweiten Spielfilms Mudbound in Erinnerung gerufen hat, dass Hautfarbe im Kino noch immer eine Rolle spielt, weil sie historisch immer eine Rolle gespielt hat, weil sie den tradierten Bildregimes inhärent ist, weil sie Teil unserer Seh- und Erzählgewohnheiten ist.

Schwarze Körper am Wegesrand

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Aber von vorn: Bevor dieses Voice-over spricht, hat Mudbound mit Schaufeln begonnen. Es sind die 1940er im ländlichen Mississippi, und die Brüder Jamie (Garrett Hedlund) und Henry (Jason Clarke) McAllan müssen im strömenden Regen ihren Vater (Jonathan Banks) verscharren. Aber bloß nicht da, wo noch Sklavenskelette rumliegen, das wäre für den lieben Pappy die größte erdenkliche Schmach. Hilfe werden sie noch brauchen, Henrys Frau Laura (Carey Mulligan) ist zu schwach, und da kommt die Farmpächter-Familie Jackson, die jetzt mit ihrer Kutsche vorbeifährt, doch gerade recht. Diese Anfangssequenz ist nicht nur erzählerische Klammer, nicht nur ein Prolog, durch den wir ahnen sollen, dass zwischen all diesen Figuren einiges im Argen liegt, und bei dem wir am Ende, wenn wir mehr über all dies wissen, wieder landen werden. Diese Sequenz ruft eben auch nochmal das Blickregime des Westerns auf: weiße Konflikte, Spannungen zwischen Brüdern, eine Frau zwischen Männern, und irgendwann am Weges- und am Bildschirmrand eine Kutsche mit nicht-weißen Gesichtern: ein weiterer Konflikt, ein weiteres Problem, ein weiteres Plotelement, aber eben nicht einfach ein weiteres Subjekt.

Prämissen und Gegen-Prämissen

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Ob im klassischen oder revisionistischen Genrefilm, ob als Bedrohung oder als Ungerechtigkeits-Verweis: Der schwarze Körper bezeichnet, bevor er auf eine psychologische Innerlichkeit verweist. Er ist immer mehr als nur er selbst, und deshalb weniger. Wenn Mudbound mit dem erstmaligen Erscheinen schwarzer Körper also abbricht, in der Zeit zurückspringt, die Geschichte von vorn zu erzählen beginnt, und zwar mit Haps Stimme aus dem Off, dann ist das nicht nur Vollzug der Klammerstruktur und Perspektivwechsel, sondern der radikale Bruch mit einer visuellen Erzähltradition und ihren machtvollen Verstrickungen. Der schwarze Körper verschwindet erst mal vollends aus dem Bild und wird Stimme, flüchtet aus der visuellen Existenz in die verbale Insistenz und wird dadurch zu einem Leben.

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Die Stimme im Voice-over kommt von irgendwo her, wir können sie nicht einrahmen. Sie hat keinen richtigen oder falschen Platz im Bild, sondern ist ihm vorgängig, narrative Prämisse, und das ist wichtig in einem Film, in dem Rassismus nicht als irrationaler Hass erscheint, sondern als „natürliche“ Platzordnung der white supremacy, eben als Prämisse, nicht als Sonderfall. Innerhalb des Plots wird diese Ordnung unterbrochen, als der älteste Sohn der Jacksons, Ronsel (Jason Mitchell), aus dem Krieg zurückkehrt, zerbrochen, aber auch ausgestattet mit einem neuem Selbstbewusstsein und einem Körper, der nicht mehr so einfach an seinen Platz verwiesen werden kann. Pappy McAllan nimmt die Herausforderung trotzdem an: „Whatever you did out there, this is still Mississippi“, erklärt er Ronsel bei ihrer ersten Begegnung, und hier in Mississippi müssen Schwarze den Laden immer noch durch die Hintertür verlassen. Ronsels Vater zwingt seinen Sohn später zu einer Entschuldigung für sein despektierliches Verhalten dem weißen Patriarchen gegenüber: „No point in fighting ’em. They’re just gonna win very time.”

Krieg als Heterotopie

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Auch Jamie McAllen war im Krieg, der jüngere von Pappys Söhnen, hübscher, cooler, interessanter als der etwas biedere und unsichere Henry, und das weiß wohl auch Henry selbst, und das findet wohl auch Laura, Henrys Frau. Das Ehe- und Brüderdrama scheint vorprogrammiert, aber was viel wichtiger ist: Auch Jamie ist im Krieg dem Tod und deshalb dem Leben nähergekommen. Er fährt seinen Mit-Veteranen Ronsel fortan regelmäßig von der Farm in die Stadt und zurück, und zwar nicht hinten auf der Ladefläche, sondern auf dem Beifahrersitz; nur wenn Pappy oder andere stolze Südstaatler ihnen entgegenkommen, muss Ronsel sich ducken. Die Freundschaft dieser beiden Figuren ist Dee Rees’ (und Co-Autor Virgil Williams’) Gegenentwurf zu jener beliebten Versöhnungsutopie, der auch George Clooney kürzlich nicht widerstehen konnte, als er seinen Suburbicon mit einer Szene beendet hat, in der ein schwarzer und ein weißer Junge sich einen Baseball über einen Zaun hinweg zuwerfen.

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Der Hoffnung auf kindliche Unschuld, dem Versprechen eines unbelasteten Neuanfangs setzt Mudbound die Kriegserfahrung und damit die Gewalt als Desegregierungsmaschine entgegen. Beide Veteranen sind schwer gezeichnet, der Weiße säuft wie ein Loch und bricht regelmäßig zusammen, dem Schwarzen zittert unkontrolliert die Hand. Beides versehrte Körper, aber Körper, die im Ausnahmezustand aus jeglicher sozialen Verankerung gerissen wurden und die deshalb wie selbstverständlich die angeblich natürliche Ordnung der Dinge als willkürliche erkennen. Die Erfahrung nackter Gewalt macht die strukturelle endgültig unerträglich. Wie die Stimme im Voice-over sind auch die versehrten Körper entortet, können gesellschaftlichen Platzanweisungen nicht mehr Folge leisten, weil sie sie schlicht nicht mehr verstehen, weil es keinen Platz im Bild mehr für sie gibt.

Wider den humanistischen Deus ex Machina

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Obwohl also Mudbound als Netflix-Produktion formal nicht mit dem klassischen Erzählkino bricht, obwohl Rees die epische Buchvorlage von Hillary Jordan mit musikalischem Pathos und melodramatischen Zuspitzungen ins Bild setzt, ja ihre Adaption schließlich gar mit einem flammenden Plädoyer für die Liebe beendet, ist dieser Film weit entfernt von konventionellem Politkino. Weil er stets weiß, dass er die Ungerechtigkeit, die er uns zeigt, durch narrative und affektive Gerechtigkeit nicht einfach zurechtrücken kann. So gibt es Pathos und Plädoyers, aber eben keine entscheidenden Konversionsmomente, keine plötzliche Empathie, die sich in die Blicke schleicht, keine Kronzeugen für die Gleichheit aller Menschen, die große Reden schwingen. Völliger Verzicht auf jenen humanistischen Deus ex machina also, mit dem das Kino so gern im entscheidenden Moment die Tore der Menschlichkeit aufstößt, als ließen sich die Klinken dieser Tore ganz lässig runterdrücken, wenn’s hier drinnen mal wieder zu stickig wird. In Mudbound braucht es einen ganzen Weltkrieg, um diese Tore auch nur einen winzigen Spalt aufzustoßen. Und aus den Blicken, die sich Jamie und Ronsel zuwerfen, sprechen nicht universelle Werte, sondern traumatische Verwerfungen.

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