Monsieur Aznavour – Kritik
Zeitweise wirkt Monsieur Aznavour wie die kunstvolle und expressive Karikatur einer Biographie des weltberühmten Chansonniers. Doch gerade in seiner erzählerischen Hast liegt eine berührende Traurigkeit.

Als kleiner Junge darf Charles Aznavour an einer Theateraufführung teilnehmen, weil er einen „afrikanischen“ Dialekt nachmachen kann. Aufgeregt steht er hinter der Bühne. Eine Tür öffnet sich vor ihm. Aus dieser fällt ein gleißendes Licht, das den Bereich, aus dem er aufbricht, zu einem einzigen Schatten macht. Nichts mehr ist wichtig, außer der Helligkeit, in der er steht. Zweifel sind ausgeschlossen, dieser Junge erlebt eine göttliche Offenbarung, eine Berufung. Im Biopic eines der großen Chansoniers des letzten Jahrhunderts – Monsieur Aznavour – wird eine Sucht nach der Bühne porträtiert, die hier ihren Beginn hat.
Zuhause, jenseits der Bühne, betreibt Charles‘ Vater ein Restaurant, er singt und tanzt mit den dort engagierten Musikern, seine Frau und Kinder mittendrin. Leben, das ist die ausgelassene Zusammenkunft einer großen Gemeinschaft. Doch dann folgt der Kater: Der Vater muss sein Geschäft schließen, weil er nicht nur seine Familie, sondern auch diesen ausgedehnten Kreis allzu freigiebig verköstigt hat. Mit Frau und Kindern landet er in einem Loch von einer Wohnung.
Reißender Fluss der Geschehnisse

Streng chronologisch verfolgt der Film des Regieduos Grand Corps Malade und Mehdi Idir die Stationen von den Anfängen bis zu Starruhm und Reichtum. Von bescheidenen Erfolgen als Duo mit Pierre Roche (Bastien Bouillon) in edlen Stripclubs, im Vorprogramm von Edith Piaf (Marie-Julie Baup) und in Montreal. Und weiter geht es umdie Trennung von Roche und das Vegetieren im Schatten seiner Förderin Piaf bis hin zu einer selbstfinanzierten Tour, die zum Fiasko zu werden droht und doch der Beginn eines grenzenlosen Erfolgs wird. Im letzten Moment nämlich findet Aznavour dort zu seiner eigenen Stimme, die ihn zur internationalen Marke und zum gefeierten Star macht. Das Publikum wird riesig, die malerisch gelegene Villa ist luxuriös. Er verkehrt mit Models und Stars und bekommt irgendwann selbst in den USA die gleiche Gage wie der Größte: Frank Sinatra.
Zeitweise wirkt Monsieur Aznavour dabei wie die Karikatur einer Biographie. Ohne irgendwo zu verweilen geht es vorwärts. Wiederholt greift der Film auf Montagen zurück, die Entwicklungen kunstvoll und expressiv zusammenfassen. Näher auf Dinge einzugehen wird dadurch unnötig. Die Eltern, Gefährten, Geliebten, die Kinder, die Nazibesetzung Frankreichs, die Niederlagen undErfolge: alles kommt und geht im reißenden Fluss der Geschehnisse während der 94 Lebensjahre Aznavours. Die etwas mehr als zwei Stunden des Films fliegen geradezu an uns vorbei.
Nicht schön genug für diese Raspelstimme

Meistens begegnen ihm Leute wie im Nebel: Sie tauchen groß auf und verschwinden wieder, ohne dass es Erläuterungen gibt. Lediglich seine Schwester (Camille Moutawakil) hält bis zum Ende durch an seiner Seite. Nur selten gibt es einen so harten Bruch wie dem mit seiner ersten Frau, seinem Partner Roche und dem Club in Montreal; dieses Trennungs-Tripel wird dann auch – ebenfalls in einer Parallelmontage – zur Zäsur: Mit einem Cut will es Aznavour endlich ganz nach oben schaffen und zwar ohne Ballast.
In dieser etwas seelenlosen Hatz durch ein Leben liegt aber gerade die Tragik. Während Aznavour es schafft, seine Lieder zu den sentimentalen, vor Leben berstenden Verliererballaden zu machen, für die ihn das Publikum liebt, geht ihm selbst – zumindest in der filmischen Inszenierung − das Leben ab. Dieser Monsieur Aznavour lässt jede Beziehung wie von Teflon an sich abgleiten. Selbst als sein Sohn stirbt – die Umstände bleiben für uns und vielleicht auch Aznavour im Dunkeln – tourt er weiter, so als wollte er sich nicht den großen Traum durch die Anhänglichkeit an eine Familie oder Gemeinschaft zerstören lassen.
Diese Dualität verstärkt sich in Aznavours Darsteller Tahar Rahim. Die weiche Knuffigkeit seines Originals geht Rahims Gesicht völlig ab, während er die typische Steifheit der Bewegungen Aznavours übertreibt. Zu groß und hart, um optisch zu passen, ist Rahim zu verbissen in dem Willen, jemand anderes zu werden − ganz im Gegensatz zum restlichen Cast, der mit müheloser Natürlichkeit im Leben der Figuren aufgeht. Der Welterfolg Aznavours, der eng mit seinem Charisma verbunden ist, wird sonicht nachvollziehbar. Die getriebene Starrheit von jemanden, der nur einem Ziel hinterherjagt und dafür alles gibt, trifft Tahir Rahim allerdings mit seiner Darstellung passgenau. Sein Aznavour steckt in einem Panzer aus verlegenem Lächeln und steifen Gliedern, den er einsetzt gegen alle Widerstände seines Erfolgs. Und davon gibt es genug − allem voran das immer wiederkehrende Mantra, dass er nicht schön genug sei, um mit seiner Raspelstimme Erfolg zu haben.
Die Traurigkeit dringt aus den Fugen

Gerade weil der Film nicht das Brennglas auf die Traurigkeit einer stellaren Figur legt, sondern sie eher aus den Fugen dringen lässt, wird sie umso effektiver. Sie schleicht sich an, mitunter in schönen Miniaturen umfassender Tristesse: Aznavour, bis zu seinem Lebensende umtriebiger Liederschreiber, hat doch mal eine Schreiblockade. Also geht er erstmal zu Frau und Kindern frühstücken. Seine Tochter erzählt ihm von einem kleinen, nichtssagenden Traum. Eigentlich nichts Aufregendes, könnte man denken. Hätte nicht wenige Szenen zuvor sein alter Freund Roche ihm erzählt, dass er sich beim Frühstück von seinen Kindern zu neuen Stücken inspirieren lasse. Eingedenk dessen wird der Besuch bei der Familie zur kalten Berechnung − und die Schnute von Rahims Aznavour – weil der Quatsch seiner Sprößlinge unergiebig bleibt – zur tragikomischen Pointe.
Statt seiner Kinder inspiriert ihn dann kurz darauf die Begegnung mit einem Fremden zu einem seiner schönsten und gewagtesten Erfolge. Die Menschen um ihn herum bleiben am weitesten von ihm weg. Ganz unmerklich wird der Film so selbst zum Wiedergänger der Chansons Aznavours, der seine Szenerien in Breite malt, um einem mit der Einsamkeit des Menschen in ihrer Mitte das Herz so richtig zu brechen.
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