Merrily We Go to Hell – Kritik

In ihrem Pre-Code-Film Merrily We Go to Hell sucht Dorothy Arzner zwischen alkoholischer Unschärfe und nüchterner Rahmung nach der Liebe – und wagt sogar einen Ausflug in die Polyamorie.

Das entscheidende Bild dieses Films ist vollständig unscharf, ein Close-up mit nichts als Schemen. Dass dieses Bild Joan (Sylvia Sidney) zeigt, erschließt sich uns Zuschauern zwar aus dem Kontext, doch Schreiberling Jerry Corbett (Fredric March) hat sich jeden Kontext längst weggesoffen. Jerry erkennt nur noch Umrisse, wo eigentlich die Frau steht, mit der er eben noch heftig flirtete, der er gar versprach, sie am nächsten Tag anzurufen. Joan äußerte da schon die Vermutung, dass Jerry die Sache am nächsten Tag doch sicher wieder vergessen hätte, und so ist ihre Enttäuschung über die eigene Unschärfe im Blick des hübschen Trunkenbolds eine verständige.

Die Liebe als ästhetisches Problem

Und diese Haltung wird Joan über den Rest von Dorothy Arzners Merrily We Go to Hell beibehalten, selbst wenn Jerry sich am nächsten Tag doch noch meldet. Enttäuschung und Verständnis, aus Sylvia Sidneys Gesicht spricht stets beides, also Liebe. Das Problem ist die Gegenliebe: Joans unscharfes Bild kommt so schnell nicht an gegen das schwarz umrahmte Porträt, das in Jerrys Wohnung hängt und die Theaterschauspielerin Claire Hempstead (Adrienne Allen) zeigt. In Jerrys Körper hat nicht nur die Leber einen 24/7-Job, es schlägt dort auch noch ein gebrochenes Herz. Viel Gepäck für eine eigentlich so luftig beginnende Romanze.

Wenn Merrily We Go to Hell ein Beziehungsfilm ist, dann warnt Dorothy Arzner mit der Gegenüberstellung von Unschärfe und gerahmtem Porträt vor zwei Dingen, die Gift für jede Beziehung sind. Einmal vor der nur ungenügenden Wahrnehmung des anderen Menschen, vor einem Blick, der im Rausch nicht intensiver, sondern trüber wird, von einer entsprechenden Haltung, in der die Liebe als gegeben hingenommen wird und deshalb langsam verschwimmt. „I think you’re swell“, sagt Jerry zu Joan, bis die es nicht mehr hören kann, weil sie gern etwas anderes hören will. Und dann warnt der Film ebenso vor dem Gegenteil, vor der Rahmung, vor der Anbetung eines Bildnis, dem kein real existierender Mensch gerecht werden kann. Die Liebe ist in diesem Film auch ein ästhetisches Problem. Sie muss gebildet werden, aber nicht zu stark und nicht zu schwach.

Ein Korkenzieher als Ehering

Als Feigling tut sich Jerry damit naturgemäß schwer. „A punch in the nose heals more quickly than a broken heart“, hat er sich irgendwann gedacht und den Rest seines Lebens der Theke vermacht. Sein Lifestyle wird von Arzner auf die Probe gestellt, aber selbst noch jede wichtige Etappe der Romanze mit Joan setzt Jerry gekonnt in den Sand, seinerseits Joans enttäuschtes Verständnis immer wieder auf die Probe stellend. Zum Date kommt er zu spät, pünktlich zur Verlobungsfeier trinkt er sich bewusstlos, pünktlich zur Hochzeit verliert er den Ehering. Aber als gewiefter Lebemann weiß er sich zu helfen, wickelt Joan während der Zeremonie ja doch was um den Finger. Erst als diese still und heimlich einen Blick auf die Innenseite ihrer Hand wirft, erkennt sie, erkennen wir die spiralförmigen Windungen eines Taschenkorkenziehers als Kehrseite dessen, was von oben tatsächlich nach Ring und ewiger Liebe aussieht. Ist die Romantik je einem so radikalen Realitätscheck unterworfen worden wie in diesem Bild? Es kündet jedenfalls bereits von einem harten Battle zwischen Eheversprechen und Trinkspruch: „Merrily We Go to Hell“, sagt Jerry stets, bevor er das Glas mit seinen Freunden hebt.

(K)ein Platz für Polyamouröses

Doch Arzner ist geduldig und gnädig mit diesem Feigling. Immer wieder greift der Film auf Ellipsen zurück, wenn Joans Enttäuschung ihr Verständnis zu übermannen droht. Schon nach der Urszene mit dem unscharfen Bild springt Arzner direkt in Jerrys überraschenden Anruf, nach dem Fail bei der Verlobung direkt in die Hochzeit, nach der Sache mit dem Flaschenöffner direkt in den Ehealltag. Immer wieder nimmt Merrily We Go to Hell einen weiteren Anlauf, probiert aufs Neue die Sache mit dem Glück; der Traurigkeit kein Meter Zelluloid! Doch der Film hat es mit einem hartnäckigen Wiederholungstäter zu tun, und auch der Zeitsprung heilt nicht alle Wunden.

Zumal dann auch noch Claire Hempstead persönlich in diesen Film einzieht, da geht die Beziehungskiste dann so richtig los, und in Hollywoods Pre-Code-Ära bedeutet das noch volle Fahrt voraus: Da wagt sich Joan selbst in die Unschärfe, greift zur Flasche, verabredet sich mit einem alten Verehrer (Cary Grant in seiner dritten Kinorolle) und verkündet überzeugt, dass man ja in einer modernen Welt lebe. Dass seine Frau die verständige Enttäuschung aufgibt und ihrerseits zur Lebefrau mutiert, quittiert Jerry zunächst mit ungläubiger Souveränität: „You’ve got the words but not the tune.“ „Don’t forget I got a musical ear and pick up tunes easily“, kommt die Antwort, und in diesem allmählich sich einstellenden Gleichklang scheint dann tatsächlich kurz eine Utopie der eifersuchtsfreien Beziehung auf. Doch in Jerrys schielendem Blick auf die Frauen ist zwischen unscharfem Joan-Bild und gerahmtem Claire-Porträt für gelungene Polyamorie kein Platz.

To the ladies!

Die offene Ehe scheitert also nicht an der magischen Kraft der Liebe zu zweit, selbst wenn der Plot gegen Ende sein Bestes gibt, um die Maschine sicher in Family City zu landen. Dort scheint es dann, als hätte der Film seiner Protagonistin selbst nicht richtig zugehört. Einmal will nämlich Joans Affäre in spe darauf anstoßen, dass bei den Frauen Nein gar nicht Nein heißt, als Joan nach anfänglichem Zögern doch noch mit nach Harlem kommt: „To the ladies! They keep their hearts and change their mind!“ Noch in den großen Schluck der umstehenden Männer hinein plädiert Joan lachend für ein geschärftes, aber ungerahmtes Leben: „Oh no, we keep our minds but change our hearts.“

Den Einführungstext zu unserer Dorothy-Arzner-Reihe gibt es hier

Zu den Filmen:

Craig's Wife (1936)

First Comes Courage (1943)

Nana (1934)

The Bride Wore Red (1937)

Christopher Strong (1933)

The Wild Party (1929)

Merrily We Go to Hell (1932)

Dance, Girl, Dance (1940)

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