Menus Plaisirs - Les Troisgros – Kritik

Unknown Pleasures: Nach öffentlichen Institutionen wie Rathäusern und Bibliotheken widmet sich Frederick Wiseman einem Dreisternerestaurant in der französischen Provinz. Die Schönheit der Bilder von Menus Plaisirs – Les Troisgros liegt in der mechanischen Präzision der Kochprozesse.

Menus Plaisirs – Les Troisgros, der dieses Jahr auf der 14. Ausgabe des Unknown Pleasures-Festival seine Deutschlandpremiere feiert, begann wie die meisten von Frederick Wisemans Projekten spontan. Der Regisseur lud Freunde, die ihm während der Hochphase von Covid bei sich unterbrachten, als Dank zu einem Essen in die La Maison Troisgros ein, nachdem er das Restaurant in einem Michelin-Guide entdeckt hat. Einmal dort, fragte er spontan an, ob er einen Dokumentarfilm über das Restaurant machen könnte. Michel Troisgros war außer Haus, also googelte einer seiner Söhne nach Wiseman, fand dessen Wikipedia-Artikel, sah, dass er legit war, und willigte ein. Wiseman arbeitet seit mehreren Jahren nach demselben Prozess. Wiseman beginnt jeden Film mit einer geübten Voraussetzungslosigkeit und Offenheit, sich auf sein Sujet einzulassen. »The shooting is the research«, wie er es gegenüber Lola Peploe in The Paris Review auf den Punkt bringt. Er filmt zusammen mit einem kleineren Team oft monatelang, macht dabei selber den Ton, um daraufhin aus Stunden und Stunden von Rohmaterial einen Film zusammenzustellen. Die Struktur der Erzählung findet sich in der Montage.

Als Chef im Dialog mit der Welt

Der Film eröffnet wie gewohnt in medias res auf einem lokalen Bauernmarkt, wo die Brüder Troisgros gemeinsam einkaufen. Werden die Produzenten im Laufe des Films exklusiver, so zeigt sich bereits hier, wie das Restaurant eine Infrastruktur um sich selbst aufgebaut hat, die sich auch auf die regionalen Produzenten auswirkt. Dazu sourct man natürlich auch europaweit – Kapernblätter aus Sizilien – oder baut sein eigenes Shiso im Garten an. Wiseman folgt den Köchen weiter in die Natur, wo sie wilden Holunder schneiden. Zurück in der Küche, werden alle Lebensmittel gemessen und indexiert, damit der Verbrauch genauestens kalkuliert werden kann. Der Film führt dann in die Küche über, um nach zwei Stunden wieder von vorne zu beginnen. Wir besuchen einen Vieh- und einen Ziegenzüchter und hören über ihre Philosophie und lernen zusammen mit den Troisgros von ihrer Technik. Ein Chef zu sein bedeutet in der heutigen Zeit auch, sich mit seinen Zutaten auseinanderzusetzen, einen konstanten Dialog mit der Welt zu halten.

Jeder der Söhne beaufsichtigt ein Restaurant, aber das Herzstück wurde von Michel an César übergeben, der als Chefkoch die Küche anführt, aber dennoch im offenen Austausch mit seinem Vater steht. Das Herzstück des Films wie des Restaurants ist dabei die Küche. Die Kameraarbeit ist schnell – im Gespräch mit Jean-Georges Vongerichten berichtet Wiseman, dass sie sich in ihrem Tempo dem der Köche anpassen mussten, um nicht im Weg zu stehen –, fängt jedoch wenig von der nonverbalen Kommunikation ein, die das Troisgros laut Wiseman und Vongerichten auszeichnet. Geredet wird im Film vor allem in Rezepten, Fragen oder Kritik, die direkt und immer mit einer Handlungsanweisung verbunden ist. (Einen der Köche nimmt Michel Troisgros zur Seite, um im Escoffier und der Grand Larousse encyclopédique den Vorbereitungsprozess für die Rinderhirne nachzulesen.) Die Schönheit dieser Bilder liegt in der mechanischen Präzision der Kochprozesse. Gelernte Gesten, die mit jeder Ausführung ein Mindestmaß an Qualität produzieren, wobei jede Bewegung auch eine implizierte Fortschreibung der eigenen Tradition und des eigenen Qualitätsanspruchs ist. Die optische Anrichtung der Gerichte ist dabei genauso relevant wie ein konsistenter Geschmack

Die Kellner erklären jeden Gang

Die Gäste werden als Klienten gesehen. Für jeden Klienten wird eine Datei angelegt, die persönliche Geschmackspräferenzen, Diäten, Allergien etc. aufnimmt, sodass das entsprechende Menü darauf ausgerichtet werden kann. Es gibt allgemein drei Menü-Optionen: ein Standardmenü, ein Tasting-Menü und ein Pairing-Menü, in dem 10 Gängen je 10 Weine zugeordnet werden. Dazu gibt es einen Käsetisch, der durch das Restaurant gerollt wird. (Am Wochenende stellt das Troisgros auch einen Foodtruck auf den Marktplatz von Ouches aus, an dem sie ein Steaksandwich und Pannacotta für 17 Euro verkaufen.) Jeder Gang wird von den Kellnern erklärt, und wenn notwendig, weisen sie darauf hin, wie und in welcher Reihenfolge er am besten zu essen sei. Die meisten Klienten sind wenig überraschend französische Bourgeoise. Viele ältere Ehepaare, die ihren Hochzeitstag feiern. Einige Freunde der Familie oder Verwandte. Ein Tisch von amerikanischen Businessbozos. Einige Familien. Die meisten machen Fotos, manche ganz offen und andere verschämt das Handy nur knapp über die Tischkante haltend.

Es lassen sich hier auch schön die Grenzen oder Probleme von Wisemans Ansatz zeigen. In den letzten zehn Jahren dokumentierte er Museen (National Gallery, 2014), Stadtviertel (In Jackson Heights, 2015), Kleinstädte (Monrovia, Indiana, 2018) neben einem Rathaus (City Hall, 2020) und Bibliotheken (Ex Libris: The New York Public Library, 2017). Orte und Institutionen, die sich durch ihre öffentliche Zugänglichkeit auszeichnen und deren Kunst- oder Waltungswille immer auch um den scheinbaren Erhalt einer demokratischen Baseline schwebt. Ein Drei-Michelinsterne-Restaurant in der französischen Provinz mit einer monatelangen Warteliste fällt aus diesen Kategorien heraus. Wisemans konsequenter Stil bringt es jedoch narrativ in einen Dialog mit den oben genannten Institutionen, wo eine Differenzierung und Isolierung passender wäre.

Indem Wiseman die Erzählung seiner Filme in der Montage bildet, ohne jedoch die Chronologie seines persönlichen Wissenserwerbs zu verfälschen, ist die Struktur immer auch abhängig von dem Material und dem diegetischen Nachfragen seiner Subjekte, was hier teilweise zu Erklärungsproblemen führt. So sehen wir die Küche für gut zwei Stunden, bevor wir dank der Nachfrage von Klienten endlich ihren Aufbau kennenlernen. Wiseman ist durch seine Methode gezwungen, diese Aufklärung erst dann zu geben, wenn er sie auch chronologisch gelernt hat, was hier allerdings schlechter funktioniert und dramatisch weniger potent ist als zum Beispiel die Erfahrbarmachung von bürokatischen Prozessen in Welfare (1975) oder City Hall. Hätte in den sieben Drehwochen niemand nach dem Aufbau der Küche gefragt, Wiseman und wir hätten es nie verstanden.

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