Mein Ende. Dein Anfang. – Kritik

VoD: Der Film beginnt mit dem Ende. Die Hauptfigur stirbt. Von hier aus bewegt sich Mariko Minoguchis Regiedebüt in alle Zeitrichtungen – und spürt die Verbindungen auf, die über Leben und Tod entscheiden.

Am Anfang ist das Ende, zumindest, wenn man die Auflösung für das obligatorische Finale hält. Denn Mariko Minoguchi schickt die Losung ihres Films voran, lässt sie schon in der ersten Szene ex cathedra sprechen, von einem recht coolen Jungspund, der schon Physikvorlesungen an der Uni hält: „Relativität besagt, dass Zukunft und Vergangenheit die gleiche Gültigkeit für die Gegenwart haben“, erklärt Aron (Julius Feldmeier) voller Enthusiasmus. Nun ist es nicht ganz unprätentiös, einen Film mit einem solchen Satz beginnen zu lassen und das auch noch in der Erhabenheit eines universitären Settings. Doch Mein Ende. Dein Anfang schert sich so wenig um Genauigkeit und Gründlichkeit im Umgang mit dieser Losung, die es nicht ohne Stolz für seinen theoretischen Überbau hält, dass deren einschüchternde Wirkung schnell verpufft und einem viel zugänglicheren, nicht minder interessanten Leitspruch Platz macht: dass alles nämlich mit allem zusammenhängt.

Den Spannungsbogen rückwärts erklimmen

Kurz nach dem Vortrag stirbt Aron bei einem Banküberfall in den Armen seiner Freundin Nora (Saskia Rosendahl). Keine besonders originelle Inszenierung, aber der Platz, den die Szene in der Erzählung einnimmt, ist bezeichnend: ganz am Anfang. Von Arons frühzeitigem Dahinscheiden nimmt der Film seinen Lauf, und zwar in entgegengesetzte Richtungen. Denn das formelhafte „Davor und Danach“, in das Schicksalsschläge für gewöhnlich das Leben der Getroffenen spalten, wird hier beim Wort genommen. Mit Arons Tod öffnet der Film zwei Zeitebenen, eine, auf der vorwärts erzählt wird – Nora ist auf sich allein gestellt und muss irgendwie zurechtkommen – und eine, die die Geschichte von Nora und Aron vom Schockzustand des abrupten Endes zur Leichtigkeit eines flüchtigen ersten Blickes rückwärts aufrollt.

Minoguchi rekonfiguriert den klassischen Spannungsbogen. Das Ende – hier: Arons Tod – ist nicht das, worauf die Handlungsstränge verschlungen zuarbeiten, sondern ihr Ausgangspunkt: Hier treffen sie sich, und nun gilt es, mit detektivischem Eifer zu entknäueln und ihnen zu folgen, in alle Zeitrichtungen, in die sie weisen. Mein Ende. Dein Anfang ist in dieser Struktur einem Krimi nicht unähnlich, legt das Augenmerk aber nicht auf die Aufklärung des Mordes im engeren Sinne – Wer war’s? –, nicht auf die Freilegung psychologischer oder soziologischer Faktoren – Warum?–, sondern er erkundet die individuellen, miteinander vertrackten Lebenspfade, die an jenem fatalen Tag zu exakt jener verhängnisvollen Tat geführt haben. Ob alles vorherbestimmt ist – eine Ansicht, von der der Tote übrigens felsenfest überzeugt war –, steht hier weniger im Vordergrund als das Aufzeigen einer Vielzahl von Umständen, von denen das Fehlen eines einzigen den Lauf der Dinge zu ändern vermocht hätte.

Im Verborgenen verbunden

Mein Ende. Dein Anfang spannt ein Netz an Lebenswegen, spürt die Verbindungen, die Knoten, die Schaltstellen auf, die zwischen den Menschen verlaufen; manche sind zufällig, andere lange durchdacht, manche sind banal, andere sind irre. Der Film ist immer in Bewegung, ist doch die erste zufällige Begegnung die zweier Körper, deren Wege sich im öffentlichen Raum kreuzen. Die Zeit fließt in alle Richtungen, und Minoguchis Protagonisten tun es ihr nach, durch die Stadt, durch die Nacht, durch den Wald; sie sind Getriebene. Es hat etwas zutiefst Menschliches, wie diese scheinbar parallel verlaufenden Leben einander immer wieder begegnen, wissentlich oder eben auch nicht. So verwundert es nicht, dass Minoguchi in ihren Film die Geschichte eines kleinen Mädchens einwebt, das auf einen passenden Stammzellenspender wartet; die Begegnung zwischen Spender und Empfänger, zwei zufällig und unwissentlich miteinander verbundene Menschen, als das Sinnbild der verborgenen Verbindungen, der über Leben und Tod entscheidenden Bande zwischen Menschen.

Die Liebesbeziehung zwischen Aron und Nora wird genau inszeniert: eine Verbindung zweier füreinander bestimmter Menschen, denen das, was man gemeinhin Schicksal nennt, auf die Sprünge helfen muss, weil ihre jeweiligen Lebenswelten sich selten berühren: Der aus gutem Hause stammende Aron ist schon fest im akademischen Betrieb, Nora dagegen, einst eine Laufbahn als Eiskünstlerin in Aussicht, hat sich offensichtlich damit abgefunden, als Kassiererin zu arbeiten. Konsequent weigert sich der Film, diese Unterschiede zur Sprache zu bringen, feiert den fragilen Zufall – eine flüchtige Begegnung an einem Regentag in einem U-Bahnhof –, aber verschweigt den sozialen Determinismus, den dieser Zufall just vereitelt.

Ein Wirrwarr individueller Entscheidungen

Interessanterweise ist Mein Ende. Dein Anfang völlig befreit von Politischem – das Politische im Sinne der gemeinen Sache. Die Welt ist ein Wirrwarr von individuellen Entscheidungen, die sich auf die Füße treten und so in Wechselwirkung kommen; von einem Kollektiv aber ist nie die Rede. Der entscheidende Konflikt, der in den Banküberfall mündet, wird im Film als ein individueller Konflikt aufgefasst, der von einem Individuum verursacht wurde und für den es eine individuelle Lösung gibt. Tatsächlich aber dokumentiert Mein Ende. Dein Anfang so etwas wie das punktuelle Versagen des sozialen Staates. Der Film spult die Kausalkette zurück und spielt vergnügt an Mikro-Schraubstellen – Was, wenn es an diesem Tag nicht geregnet hätte? –, blendet aber die eigentliche Frage aus, nämlich nicht die nach dem Zufall.

Der Film steht bis 23.03.2024 in der ARD-Mediathek.

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