Magic Skin – Kritik
Woche der Kritik 2019: Ein Schriftsteller in der Sinnkrise bekommt ein Stück Tierhaut geschenkt, das ihm alle Wünsche erfüllt. Eros und Thanatos bilden in der Balzac-Verfilmung des Filmkritikers Konstantinos Samaras eine aus den Fugen geratende griechische Tragikomödie.

Warum sich umbringen, wenn der Kater am Morgen sich auch wie ein kleiner Tod anfühlt? Von diesem Rat scheint Nikos nach seinem vermeintlichen Selbstmordversuch schnell überzeugt. Existenzialistischer Exzess ist jedoch nur eine kurzfristige Antwort auf die Sinnkrise, die den verzweifelten Schriftsteller befallen hat. Und danach? Diese Frage treibt die Figuren und ihre Geschichte voran. Doch alles erscheint sinnlos in Anbetracht des Todes. Von seiner großen Liebe Christy verlassen, der er sein Buch „Die herzlose Frau“ gewidmet hat, das nun nicht einmal publiziert werden soll, stürzt er von einer Mauer. Er findet sich in einem kuriosen Antiquariat wieder, dessen Besitzer ihm ein Stück Tierhaut schenkt, das ihm alle Wünsche erfüllen kann. Doch mit jedem Wunsch schrumpft das Stück und mit ihm die Lebensdauer von Nikos. Magic Skin, der erste Film des Filmkritikers Konstantinos Samaras, ist eine Adaption von Honoré de Balzacs Roman Das Chagrinleder und erzählt eine Geschichte über Begehren und Zerstörung. Eros und Thanatos, Lebens- und Todestrieb, bilden hier eine eigensinnige griechische Tragikomödie, die selbst aus den Fugen zu geraten scheint.
In pompösen Räumen drapierte Figuren

Schwankende, sich überlagernde Einstellungen, die sich durch den Film ziehen, zeugen nicht nur von den Rauschzuständen seiner Protagonisten. Es ist, als würde sich das Innerste zusammenziehen und dem Wahnsinn weichen. Die Überlagerung von Bewegung zeugt vom Versuch, die Bewegtheit der Figuren zu verdeutlichen. Wirkt diese Geste an vielen Stellen unbeholfen, so reiht sie sich in die zahllosen Verfremdungseffekte ein, die der Film nutzt, um die Psyche seiner Figuren zu visualisieren. Während die Kamera kaum merklich ihren Blick justiert, verlassen und betreten die Personen beinah eigenständig die Räume. Psychologisch wird die Montage durch zwischengeschaltete Zeitlupen von Nahaufnahmen, überlagert von rückwärts abgespielter Tonspur. Stillstehende Statistinnen vervollständigen die tableauartigen Schauanordnungen. Langsame, oft einführende Kameraschwenks lassen den Blick von Tischen über Böden zu den in pompösen Räumen drapierten Figuren gleiten.
Eine fatale Wunschmaschine

Als Stefanos ausgelassen Rausch und Verfall besingt, prangt im Hintergrund neben einem Porträt von Balzac das riesige Gemälde eines weiblichen Unterleibes, „Der Ursprung der Welt“ von Gustave Courbet. Während sie ihrer Männlichkeit frönen, ständig Frauen an die Brüste greifen, wird das naive Festhalten an Geschlechterrollen und -verhalten zum Indikator ihrer Verzweiflung. Der Pakt mit dem Teufel setzt eine fatale Wunschmaschine in Gang, die Nikos nicht unter Kontrolle hat. Zeit, Handlung und Ort scheinen auseinanderzufallen. Sein Onkel stirbt, er zieht in sein Haus, heiratet Christy, verfilmt sein Buch. Stefanos steht ihm dabei stets als eine Art Mephistopheles zur Seite. Die sprunghafte, von Auslassungen durchzogene Erzählform stiftet Verwirrung, und die Grenzen zwischen Traum und Realität verschwimmen. So reihen sich vielmehr lose Situationen aneinander, oft ohne erkennbares lineares Narrativ. Mal durch Vignetten eingeführt oder durch Überblendungen ins Weiß, was die Traumhaftigkeit der Sequenzen unterstreicht. Dazwischen ausartende Beziehungsmomente, in denen Romeo und Julia oder eine Vampirgeschichte nachgespielt werden.

Dicht wirkt die luxuriöse und dekadente Szenerie somit zusätzlich durch die unzähligen Verweise und Zitate aus Kunst- und Literaturgeschichte, die es hier jedoch nicht zu entziffern gilt. Vielmehr verhindern sie eine klare Auslegung und spielen mit der Unschärfe, die die Erzählung noch undurchdringlicher erscheinen lassen. Absichtsvolle Verdichtung oder selbstreflexiver Kommentar auf narzisstisches Schriftstellerdasein, die diskursive Ebene des Filmes ist nicht vollständig zu erschließen, die Inszenierung könnte überfordernd wirken. Dass der Film dem Regisseur Niko Panayotopoulos gewidmet und ihn mit einem Zitat desselben eröffnet, schließt sich diesem Reigen an. Sein Leben und das seiner Filme sollen wie Blumen sein, die wachsen und verschwinden ohne irgendeinen Anflug von Zweckhaftigkeit. Als Kommentar auf die Existenzkrise des Protagonisten ließe sich so eine versöhnliche Haltung erkennen, die den Film vor Zynismus bewahrt.
Als weibliche Katze wiedergeboren werden

Wie getrieben von krampfhaften Zwängen, bewegt sich Nikos stets am Rande von Übergriffigkeiten und mitten im Wahnsinn. Das Kreischen, Quietschen und Zappeln deutet auf seine Zerrissenheit, den Wunsch, in seiner Freundin zu sein, damit sie ihn nicht verlassen kann; es zeugt vom schlechten Umgang mit Gefühlen und fehlendem Zugang zu den eigenen Bedürfnissen. Die letzte Sequenz treibt das auf die Spitze: Der an der Brust hängende Säugling zu Beginn des Filmes und der an der Brust hängende kopulierende Mann zum Schluss entblößen den destruktiven Typen als verzweifelte Gestalt mit Mutterkomplex. Diese Überzeichnung kommt den Männerdarstellungen zugute, da es sie in ihrem Mackertum vielmehr bemitleidenswert wirken lässt und ironisch bricht. Und als weibliche Katze wiedergeboren zu werden erscheint da doch als annehmbare Lösung. Magic Skin ist selten theatralisches, aber dennoch sympathisches Kino, das wie verfilmtes absurdes Theater groteske Züge menschlicher Existenz umschreibt und von einer Liebe erzählt, die an der Welt selbst zu zerbrechen scheint. A love like ours doesn’t exist.
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