Maggie's Farm – Kritik

Porträt einer Idee von Institution. Nur wenn Sport oder Bob Dylan im Radio läuft, ist die belebte Welt in James Bennings Maggie’s Farm mal anwesend. Die meiste Zeit durchbohrt sie als Imagination den Kopf.

Roland Barthes hat einmal notiert, dass es bei der Betrachtung eines Bildes so etwas wie zwei verschiedene Haltungen des Interesses gibt. Auf der einen Seite ein ganz konventionelles Interesse an den im Bild erhaltenen Informationen. Ein Interesse, das mit anderen geteilt wird, das jeder haben kann, weil es vom Bild so intendiert ist und jeder diese Absichten (beispielsweise zu erkennen, was in einem Bild hauptsächlich abgebildet ist) nachvollziehen kann. Auf der anderen Seite ist da aber ein ganz persönliches Interesse, das, einmal von ihm erfasst, scheinbar nur ganz dem Selbst gehört. Es „schießt wie ein Pfeil aus seinem Zusammenhang hervor, um mich zu durchbohren“, erinnert vielleicht an etwas ganz anderes, das mit dem eigentlichen Bild kaum etwas zu tun hat, oder ist etwas, das auffällt, obwohl es Elemente gibt, die sich viel mehr aufdrängen.

James Bennings Filme haben diese Unterscheidung schon immer durchbrochen. Bennings Kino ist offen für die Ideen der Betrachterin, des Betrachters, dabei aber nicht willkürlich darin, welche Perspektive es nahelegt: In den sehr langen und statischen Ansichten, den, auf seltsame Weise, gleichzeitig entleerten und angefüllten Tableaus, die er inszeniert, stößt man ständig auf Ideen, Dinge, Beobachtungen, die einem scheinbar allein gehören, und doch fühlt man sich mit seinen Entdeckungen ganz und gar gemeint. Es ist nicht so, dass Benning diese Entdeckungen forcieren würde, den Blick lenken würde, bis sie dann da sind. Aber sich seinen Schnittreihenfolgen, exakten Kadrierungen und langen Blicken in einem Kino auszusetzen, das hilft dann doch dabei, immer wieder aufs Neue durchbohrt zu werden.

Nachgereichter Zusammenhalt

In Maggie’s Farm begegnet man nun insgesamt 24 solcher Bilder, in denen man sich auf diese Art und Weise verlieren kann: „Filmed at California Institute of the Arts“ wird ganz nüchtern am Ende ihrer kontemplativen Abfolge stehen, und schon an dieser Formulierung, die den Ort mehr pflichtschuldig als dankend, mehr als Gebrauchswert denn als Ausgang eines Interesses nennt, lässt sich eine eigene filmische Agenda ablesen. Ein Stück weit geht es Maggie’s Farm um ein Sammelsurium nicht-repräsentativer Orte des Instituts. Die Orte des Vorbeigehens und Vorbeischauens, des Durchgangs und der leichten Entrücktheit vom eigentlichen „Ort des Geschehens“. Die Ecken einer Treppenhausetage mit nach oben und unten führenden Geländern, überhaupt die Decke, geschlossene Türen auf Korridoren, die Ecken, in denen ein Blechschrank und eine Tafel abgestellt sind, Bäume, Büsche und Abhänge, die in eine weitere Landschaft führen. Jedes einzelne Bild ruht in sich, ist wie nach außen abgedichtet, könnte gleich um die Ecke seines Vorgängers sein oder ganz weit weg von seinem Nachfolger. Erst das Schlusswort reicht da einen Zusammenhalt nach.

Die Idee einer Institution und ihrer fantastischen Arbeit

Trotz dieser Bilder wäre „Nicht-Ort“ als Beschreibung hier so naheliegend wie falsch. Maggie’s Farm ist im Kern kein repräsentationspolitischer Statement-Film, der die vergessenen Orte einer Institution auf die Leinwand beschwören möchte, ihnen Aufmerksamkeit schenkt, einfach weil sie sonst keine kriegen. Die schließenden Worte machen Maggie’s Farm nicht zu einem Gegenbild, sondern zum schlichten Institutionsporträt. So schlicht, dass es hier nicht mal um das Kunstinstitut selbst geht, sondern um das Bild einer Institution an sich und um die Visualisierung all der Vorstellungen, der Bilder, der gemeinsamen Nenner und (auch: amerikanisch-mythischen) Allgemeinplätze, die daran haften: um normierte Plastik-Mülleimer an weißen Wänden, Korridore mit Metall-Trinkbrunnen, weiß gestrichene Plattendecken mit Exit-Schildern und Sprinklerdüsen, draußen liegende Pausen-Plätze mit Stein-Aschenbecher und Sitzbank, Auffahrten zur Anlieferung und Spindfächer für die Mitarbeiter.

Diesen Film zu schauen ist wie die Erkundung eines Institutionsprototyps. Die darin verrichtete Arbeit bleibt dagegen eine simple Imagination, die von den Spuren des Gebäudes angeregt wird. Und gerade da durchbohrt es einen ganz schön heftig: Jeder Delle im Metall, jedem Streifen an der Wand, jeder Zigarette im Aschenbecher, jedem Fleck auf Putzwägen wohnt eine Handlung inne. Die Vorstellungen reichen von bloßem Arbeitsverschleiß bis zu ganz haarsträubenden Konflikten, die sich hier abgespielt haben könnten. Nur wenn im Ton hier und da mal ein paar Schritte und Autogeräusche zu hören sind, wenn mal aus der Ferne ein Bob-Dylan-Song oder eine Sportübertragung im Radio läuft, ist die Welt außerhalb der Bilder in diesem Film anwesend. Ansonsten gibt es sie nur im eigenen Kopf, ganz für sich selbst.

Andere Wege

Zweifellos sind diese Zuschreibungen nur eine von vielen Wegen, die man bei der Sichtung gehen könnte. Man könnte sich auch gar nicht für den Begriff der Institution interessieren, könnte die Schlussworte tatsächlich als entkoppelte Dankesgeste verstehen und stattdessen der Bewegung des Schnitts zuschauen: Eine Bildreihe, die, zunächst ganz in der wildwüchsigen Natur verhaftet, dann über ihre antithetischen Ansichten von strikt gebauten Interieurs bis zu ihrer Synthese von quadratischen Containern an der freien Luft gelangt, deren Fassaden wiederum chaotisch verwittert sind. Man könnte auch auf ganz abstrakte Muster achten, auf farbige Balken mitten im Bild oder schwarze Dreiecke oben in der Ecke. Aber egal, wohin die Wege führen, gemeinsam ist ihnen, dass Benning hilft, sie zu beschreiten, sich ihnen intensiv zu widmen, ja sie anhand des Films zu durchdenken. Sich in seinen Bildern zu bewegen heißt nicht, sich langsam vortasten zu müssen, sondern sich auf alles stürzen zu können, was Sinn ergeben könnte, und gleichzeitig die Freiheit zu haben, alles wieder fallen zu lassen und neu anzusetzen. Maggie’s Farm zeichnet damit nicht zuletzt das Bild von Bennings Schule des filmischen Sehens und damit dann doch irgendwie auch das Portrait einer ganz spezifischen, ganz wertvollen Institution.

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