Mad Fate – Kritik

Berlinale 2023 – Special: Im Apartment einer Prostituierten werden die Schicksale aller Hauptfiguren zusammengeknotet. Soi Cheangs Thriller Mad Fate macht aus seiner Hyperkonstruiertheit keinen Hehl. Über einen selten gewordenen Vertreter alter Hongkong-Filmvibes.

Die Eröffnungssequenz von Soi Cheangs neuem Hongkong-Thriller Mad Fate steckt bereits ästhetisch und motivisch das Feld ab, in dem sich seine offensive Kinoästhetik (Scope-Bilder und 7.1.-Dolby-SR-Sound) auch später bewegen wird: Am Fuße des steilen Hangs von Hongkongs fotogenem, mit zahllosen Steingrüften gesäumtem Friedhof – eine beliebte Location der Jahrzehnte überspannenden, stadtreflexiven Hongkong-Genrefilmgeschichte – praktiziert unser namenloser Held, selbsternannter Wahrsager und Magier (Lam Ka Tung), ein Bestattungsritual. Er schüttet eine fluchende, in einem ausgehobenen Erdloch liegende Klientin mit Erde zu. Sie soll, geschützt von Plastikfolie, da unten ausharren, während er mit einer Feuerschale und Sprüchen zugange ist. Ihnen geht es darum, den nahenden Tod der Frau, so die Prophezeiung, abzuwenden. Es geht darum, ihr Schicksal umzulenken.

Doch als sich das Ritual gerade auf der Zielgeraden befindet, türmt sich am Horizont mittels halbgutem CGI eine mächtige Gewitterwolke auf. Das Unwetter bricht los, alles gerät durcheinander, die Frau wird fast von den Erdmassen über ihr erdrückt. Nur mit Mühe und Not kann sie befreit und zurück ins Leben geholt werden. Die greifbare Todesangst dieses ersten Thrills kippt, ähnlich schnell wie das Unwetter kam und verschwand, ins Komische um: Wieder bei Sinnen, schlägt die Befreite mit einer Schippe auf den Mystiker ein und rast empört mit einem Taxi – noch so ein Zufall, dass es gerade über die nahe Landstraße fährt – davon.

Von wegen Schicksal

Jetzt erst blendet der leinwandfüllende Titel des Films ein; sein Tempo wird für einige Zeit deutlich zurückgeschraubt. Mad Fate macht in seiner irrealen Ouvertüre keinen Hehl daraus, dass seine Handlung hyperkonstruiert, auf Pointen und Schauwerte zugespitzt, im Tonfall mehrstimmig ist (und bleibt). Das exaltierte Schauspiel während der Slapstick- und Situationskomikeinlagen geht auch später mit Szenen physischen und psychischen Leids einher, ebenso wie der wache Blick für ein Hongkonger Gegenwartsbild mit schriller Künstlichkeit verzahnt ist.

Das Schicksal hält das alles zusammen. Es ist das bestimmende Prinzip in einem Großstadtfilm, der uns ganz selten einmal Hongkongs Skyline, dafür umso häufiger Hausflure, Gassen, Katzen oder eben Friedhöfe zeigt. Das Schicksalsmotiv ist der Motor einer komplett eigenlogisch aufgezogenen Geschichte, in der der Zufall, wie etwa schon in Brian De Palmas Body Double (1984) oder Alfred Hitchcocks Vertigo (1959), zu keinem Zeitpunkt Platz hat. Wie die Figuren diesem vermeintlichen Naturgesetz trotzen, ist der rote Faden der ständig neue Stränge zulassenden Story. An einer Stelle wird der Wahrsager einmal sagen, es sei die größte Tragödie der Menschheit, dass sie gegen ihre vorgefertigte Geschichte rebelliert. Und doch ist es das, was alle diese Menschen in Mad Fate unerlässlich tun.

Tier und Mensch

Auch in der Sequenz, die ihre Schicksale zusammenknotet, regnet es. Der Himmel kündigt in Mad Fate das Unheil bereits an, bevor es eintritt. Aus irgendeinem Grund ist der Wahrsager hastig auf dem Weg zur Frau der gemeinsamen Friedhofseskapade. Sie ist eine Prostituierte, die in einer Zeitungsannonce ihre Dienste in einem bereits vom Hausflur aus grell neonbeschienenen Apartment anbietet. Dem Angebot folgend, macht sich ein weiterer Mann, hier noch durch eine OP-Maske anonymisiert, zu ihr auf. Wie wir zu dem Zeitpunkt bereits wissen, prangt sein Foto auf einem breit gestreuten Fahndungssteckbrief. Der Verdacht: zweifacher Mord an Prostituierten. Auch unter die Tür der Sexarbeiterin legt der Chief Detective (Berg Ng) und sein Team das Flugblatt, niemand ist da.

Wäre das nicht schon genug der Parallelmontage, eilt noch ein Dritter zum Apartment. Ein Lieferdienstbote, dessen Lieferschein durch den Regen so verwaschen ist, dass er die eigentliche Adresse mit der der Prostituierten verwechselt. Nun kommt die Frau nach Hause, im Gang schlendert sie nichtsahnend am maskierten Killer vorbei, dessen Destruktionstrieb erst im Regen richtig Fahrt aufnimmt. Sie entdeckt den Zettel, es dämmert ihr, doch zu spät. Der Killer drängt in die Wohnung, rollt sein chirurgisches Instrument aus, die Tortur beginnt.

Kurze Zeit später treffen der Bote und Wahrsager ein, aus der Wohnung dringen Schreie nach außen. Sie treten die Tür ein, der Killer entwischt. Der Wahrsager übergibt sich in Angesicht des Massakers; nicht so Siu Tung (Lokman Yeung), der Lieferdienstbote: fasziniert, ja erregt steht er da. Die Blutlache breitet sich zu seinen Füßen aus, er tritt mit seinem Fuß wie zärtlich hinein. Der Raum krümmt sich und verfärbt sich rot, versubjektiviert, wird expressiv. Es ist wie eine Liebesszene inszeniert.

Buddy-Comedy-Semi-Giallo

Geht es nach dem Wahrsager, ist Siu Tung der nächste Killer, der durch Hongkongs Gassen streift. Und tatsächlich verfärben sich seine Augen blutrot, wenn er wieder Mal diesen inneren Drang verspürt. Wie bei einem Stier – er hat sein Animalisches nicht im Griff (dazu passt, dass Mad Fate gleich mehrere tierische Helden und Antagonisten bevölkern). Auch Siu Tungs Schicksal kann – das neue Lebensziel des Schicksalsexperten – umgebogen werden.

So wird Mad Fate mehr und mehr zur Buddy-Comedy, in der das ungleiche Duo versucht, weder schuldig noch wahnsinnig zu werden. Der Maskenmörder taucht ab. Die Gefahr, die von ihm für eine weitere Prostituierte (Wing Sze-Ng), sein wohl nächstes Opfer, ausgeht, schwelt zwar unter der (nicht bloß) farbdramaturgisch gialliesken Oberfläche, aber wie schon Cheangs (wiederum in harten Schwarzweißkontrasten komponierter) Vorgängerthriller Limbo (2021) ist Mad Fate mehr Atmosphären- als stringentes Spannungskino. Die äußere Bedrohung gibt Anlass dafür, bei den Held:innen etwas in Gang zu setzen, wie schon in William Friedkins NY-Slasher Cruising (1980) die Mordserie zwischenzeitig eigenartig gegenüber Al Pacinos nuancierter Ermittlerpsychologie zurücksteht.

Alte Schule

Sowieso zollt Mad Fate allerlei Filmen Tribut, ohne dass dabei ein Zitatenkino herauskäme, am deutlichsten Cheangs eigenem Mystic-Thriller Accident (2009), der wiederum viel mit Mad Detective (2009) und The Sparrow (2008) seines Lehrmeisters und Produzenten – sowie diesjährigen Berlinale-Jurymitglieds – Johnnie To zu tun hat (Tos Stammkameramann und Drehbuchautor sind auch mit im Boot). Hier wie dort kommt dabei ein ästhetisch bis ins Kleinste durchkomponierter, von elegant bis expressiven Kamera- und Körper-Choreografien durchzogener Kinokosmos heraus.

Soi Cheang ist generell – mal von der großbudgetierten Monkey-King-Trilogie fürs Festland abgesehen – ein selten gewordener Vertreter alter Hongkong-Filmvibes. Sein Werk ruft Seherfahrungen wach, wie man sie im gegenwärtig bereits stark von der KPCh gegängelten Genrekino nur noch vereinzelt findet. Ein Alternativkino, das sich wenig um Wahrscheinlichkeiten und Geschmacksstandards kümmert, eins, das noch einen lustvoll-irren Umgang mit CGI, aber auch schmerzhaft mit anzusehender Körperlichkeit pflegt. Es ist eine Filmtradition, bei der man mit Bildkünstlichkeiten (z.B. hier heftige Filter), Jingle-Scores und Exzessen aller Art rechnen muss. Die Berlinale verfrachtet Mad Fate wie letztes Jahr bereits Limbo in die Trostpreis-Sektion Special. Na immerhin. Vielleicht eine der letzten Oldschool-Hongkong-Visionen auf internationaler Bühne.

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