Mad Detective – Kritik
Detektivarbeit als obligatorisches Durchdrehen: Mad Detective ist ein körperbetonter Mindgame-Film, der nicht seine Zuschauer, sondern das Konzept des Wahnsinns selbst für verrückt erklärt. Eine Wunschkritik unserer Abonnenten.

Wer hier der mad detective ist, scheint der Film so schnell aufzuklären wie der brillante Detektiv Chan Kwai-Bun (Sean Lau) seine Kriminalfälle: Gleich in der Eröffnungsszene geht es um eine Leiche mit Stichwunden, die in einem Koffer gefunden wurde. Chan ermittelt, indem er einen Schweinekadaver mit einem Messer malträtiert, in einen Koffer steigt, sich so eine Treppe herunterschmeißen lässt und noch beim benebelten Aussteigen weiß, wer der Mörder ist. Als sein Chef in Rente geht, schenkt ihm die Belegschaft zum Abschied einen Hund. Chan hingegen schenkt sein frisch abgeschnittenes Ohr und landet darauf gleich mit im Ruhestand.
Spiel mit dem Mindgame-Film

Mit der Van-Gogh-Remineszenz ist schon am Anfang klar, dass wir hier in die Perspektive eines Wahnsinnigen eintauchen werden. Mad Detective sucht den Kontakt zum Mindgame-Film, hat aber im Gegensatz zu vielen seiner Artverwandten kaum ein Interesse an den Effekten einer selbstverliebten Dramaturgie, die alles auf den großen Plottwist setzt. Weder geht es also darum, das Wahrgenommene als reine Imagination eines Verrückten zu entlarven, der man über weite Strecken des Films geglaubt hat (Fight Club, Shutter Island, Joker), noch um die früh im Drehbuch gesäte Unsicherheit, ob der erzählten Geschichte denn auch vertraut werden kann (Memento). Vielmehr besteht ein Großteil der Filmerfahrung erst einmal darin, mit dem Wahnsinn klarzukommen, wie er ist, ja ihn wie der Film ernst zu nehmen. Denn dass sich da jemand eindeutig seine Ehefrau herbeiimaginiert, die beiden miteinander streiten, zu zweit im Restaurant erscheinen und wir immer sowohl Chans innere als auch die äußere Perspektive im Gegenschuss präsentiert bekommen, das ist, ohne die gewohnte dramaturgische Ausschlachtung solcher Psychen, recht ungewöhnlich. Oft entwickelt das merkwürdige Momente, in denen man sich nicht sicher ist, ob beispielsweise Chans Reenacten eines neuen Kriminalfalls mit aus Daumen, Zeigefinger und selbstgemachten Schussgeräuschen gebauter Pistole eher alberne Komik oder eine ernstzunehmende Inszenierung des Wahns ist.
Wahnsinnige Perspektive ...

Wie oft bei To steht auch in Mad Detective der Körper im Mittelpunkt der Inszenierung. Wai Ka-Fai ist wie bei vielen Filmen zuvor Co-Regisseur, vor allem aber hat er zusammen mit Au Kin-Yee ein Drehbuch geschrieben, das es To erneut ermöglicht, das Genre des Cop-Thrillers in ein originäres Körper-Kino zu überführen. Noch bevor er in Help!!! (2000) mit Wai erstmals in der Regie zusammenarbeitete, hatte To begonnen, Sean Lau in diversen Thriller-Hauptrollen zu besetzen. In Loving You (1995) spielt Lau einen klassischen bad cop, dessen Läuterung von toxischer Männlichkeit, Alkoholkonsum und Gewalt weniger über sein Schauspiel als über den Zustand seines Körpers nach dem Überleben eines Kopfschusses funktioniert: Spottet er erst noch über Polizisten, die während der Arbeit auch mal eine Träne verlieren, so kann sein Körper die eigenen Flüssigkeiten später selbst kaum beisammenhalten. Und so bespielt er das Krankenhaus zunächst als inkontinenter Patient und den großen Showdown als jemand, dem die Gehirnflüssigkeit ständig aus der Nase tropft.

Mad Detective funktioniert da ganz ähnlich: Chan besitzt die Gabe, die echten Charaktere der Menschen um ihn herum zu erkennen. Er sieht nicht mehr das äußerliche Antlitz einer Person, sondern eben das Antlitz ihres Charakters, die Verkörperung ihrer Emotionen. Detektiv Ho Ka-On (Andy On) reaktiviert ihn deswegen für den Fall des Polizisten Wong, dessen Waffe auch Monate nach seinem Verschwinden für Raubüberfälle genutzt wurde. Chans Ermittlungen führen schnell zu Wongs ehemaligem Partner Ko Chi-Wai, in dem er eine gespaltene Persönlichkeit entdeckt, sodass er nicht nur einen, sondern gleich sieben Körper beschattet. Der Schauspieler Lam Ka-Tung ist deswegen eigentlich kaum zu sehen, muss der Figur auch kaum ein psychisch komplexes Spiel verleihen. Wenn Ko unsicher ist, steht da statt seiner etwa ein schweißtriefender Mann, wenn er in Gewalt ausbricht, ein muskulöser Gangster, und wenn er sich seiner sicher ist, eine bossy gekleidete Frau. Auch Ho wird von Chan irgendwann nicht mehr erkannt, weil sich sein Gemüt und Antlitz im Laufe der Ermittlungen immer mehr in das eines ängstlich weinenden Jungen verwandelt.
… und Perspektivierung des Wahnsinns

Nicht zuletzt zieht der sonst im kühlen Neo-Noir-Stil beleuchtete Film daraus auch seinen visuellen Reichtum. Besonders zeigt sich das in dem beeindruckend inszenierten Showdown in einer Art Spiegelkabinett, in dem nicht nur die Figuren umhergehen, sondern in den Spiegeln auch immer die Verkörperungen ihrer Persönlichkeiten. Da verfolgen, beschießen sich dann zwar vier Personen, aber die Handlung spielt sich eben zwischen zwölf Körpern und ihren unzähligen Reflexionen ab. Großartig ist diese Szene aber vor allem, weil dabei auch ein Diskurs starkgemacht wird, der im filmischen Wahn beinahe untergegangen wäre. Schließlich ist es nicht nur die visuelle Oberfläche des Films, die in den berstenden Spiegeln auf- und zusammenfällt. Es ist vor allem auch eine Perspektivierung des Wahnsinns selbst, die hier buchstäblich wie sinnbildlich reflektiert wird und zerbricht. Spätestens, wenn sowohl die imaginierten als auch die physischen Körper im reflektierten bzw. realen Raum alle gleichzeitig anwesend sind, ist die Sichtbarkeit der gespaltenen Persönlichkeiten nicht mehr einfach an die Gabe Chans zurückzubinden, scheint der Film seiner Sichtweise eine Allgemeingültigkeit zu verleihen.

Viele Mindgame-Filme versuchen zwar den Wahnsinn nachvollziehbar zu machen, hinterfragen ihn aber kaum als Konzept. Wer „wahnsinnig“ ist und wer nicht, ist in ihnen gerade dadurch getrennt, dass sie ihre Zuschauerschaft gewissermaßen erstmal selbst für verrückt erklären, aber meist noch während des Films via Plottwist souverän in die Vernunft entlassen – mit dem Effekt, gerade durch diese Fallhöhe die Trennmauer zwischen vermeintlich gesunder und vermeintlich kranker Psyche umso stärker zu ziehen. Mad Detective aber reißt diese Mauer mit seinem Ende einfach ein, entzieht ihr die grundlegende Anwesenheit einer Vernunft, von der sich der Wahnsinn abgrenzen ließe. Schon weil der Film Chans Imagination spätestens durch die Spiegelreflexionen selbstverständlich in seine Realität aufnimmt. Aber auch weil sich mit Ko zu ihm ein weiterer mad detective gesellt, der die Anwesenheit „vernünftiger“ Perspektiven schwinden lässt. Zum Schluss steht Ho dann zwischen den beiden, weiß nicht, wem er glauben soll, und ob der ganzen Irrwege, die seine Untersuchungen gegangen sind, gerät schließlich auch seine Vernunft ins Wanken. „This investigation is driving everyone crazy“, sagt Ko dann einmal zu ihm. Eigentlich ein dahingesagter Spruch, aber in diesem Film heißt das: Wenn alle verrückt sind, ist es niemand mehr.
Streamen kann man den Film bei Amazon Prime, Maxdome und Videobuster.
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