Luca – Kritik
Disney+: Zwei Amphibienjungs müssen in einem aus der Zeit gefallenen Fischerdorf ihre Ängste überwinden. Im charmanten Animationsfilm Luca geht es um Freundschaft, vielleicht sogar um Liebe. Ganz ohne Konflikte kommt ein Pixar-Film dann aber doch nicht aus.

Zwei Jungen verbringen ihren Sommer in einem kleinen italienischen Fischerdorf. Ihre Geschichte ist erfüllt von Sonnenschein und der Leichtigkeit italienischer Popmusik. Vom Rauschen des Meeres und Nächten unter freiem Himmel. Von weltverändernden Erfahrungen wie dem ersten Eis oder dem ersten Kinobesuch. Von Tagträumen, in denen eine Vespa einem die Welt zu Füßen legt oder in denen zwischen den leuchtenden Makrelen am Nachthimmel – in anderen Umständen als Sterne bekannt – geflogen wird und die Ringe des Saturns befahren werden. Es geht um Freundschaft und eine befreiende Weite. Die Freiheit von den Eltern, dem eigenen Leben und sich selbst. Freiheit von der Realität. Das Dorf befindet sich nicht in den 1950ern (Bilder von Marcello Mastroianni werden an klapprige Fahrräder gehängt) oder den 1970ern (das oben verlinkte Lied), es ist aus der Zeit gefallen. Ein Idyll voller Schönheit, Neugier und Abenteuerlust.
Von Amphibien, Menschen und Ängsten
Bei den beiden Jungen, Luca und Alberto, handelt es sich um menschenähnliche Amphibienwesen, die nur im Trockenen wie Menschen aussehen. Ansonsten sind sie schuppig, tragen einen Schwanz und auf dem Kopf etwas, das wie eine Mischung aus mehreren Flossen und einer Seerosenblüte aussieht. Für die vorurteilsbeladenen Menschen sind sie in ihrer ursprünglichen Form Ungeheuer. Wie auch die fischfangenden Menschen – schon eher zu Recht – in den Augen ihrer Konterparts nur Monster sind.

Enrico Casarosas Animationsfilm Luca handelt folglich davon, dass zwei Seiten ihre gegenseitige Befangenheit überwinden müssen. Aber es geht auch darum, die eigenen Ängste zu bekämpfen und sich der Welt zu öffnen. Bei Luca ist es die Angst vor den Menschen und all den schrecklichen Konsequenzen, die er überall sieht. Bei Alberto die Angst, nicht geliebt zu werden, wenn seine flippige Aufschneiderfassade bröckelt. Und es geht um eine Art Triathlon (Schwimmen – Nudelessen – Radfahren), bei dem ein arroganter Schnösel besiegt werden muss. Um der Welt zu beweisen, dass das eigene Selbst einen Wert besitzt. Auf dass die eigene Identität nicht mehr versteckt werden muss.
Aufdringlicher Antagonist

Ein Hauch von Nichts – d.i. das Staunen über die kleinen Wunder des Lebens – überstrahlt diese Masse der Konflikte, die aber nicht verschwinden wollen und immer wieder an die Oberfläche drängen. Details bereichern und bestimmen diese Gegenbewegung. Details wie eine misstrauische Katze, die Luca und Alberto stalkt, oder der fehlende Arm eines Fischers, der wiederholt vielsagend im Bild steht und der mit einem Nebensatz, in dem er doch kurz zur Sprache kommt, seine Bedeutung völlig verändert: Aus einer sich aufdrängenden Kapitän-Ahab-artigen Fehde mit der Unterwasserwelt wird Verständnis für Außenseiter. Luca lässt sich oft treiben, bleibt im Kleinen aber immer pointiert.
Kurz: Wir haben es mit einem sehr charmanten Film zu tun. Einem Film, der sich nur leider nicht traut, völlig loszulassen und seinem freudigen Impressionismus zu vertrauen. Am deutlichsten wird das bei Ercole, einem Radfahrer, der die Kinder und Jugendlichen des Ortes tyrannisiert. Aus Sicht einer herkömmlichen Dramaturgie ergibt diese Figur durchaus Sinn. Eine Geschichte braucht eben einen Antagonisten. Nur besitzt Ercole kein Charisma und bleibt eine schablonenhafte Witzfigur. Mehr, als der Erzählung zu helfen, bremst er sie mit seiner pflichtschuldigen Bösartigkeit aus.

Während die Stärke von Luca gerade darin besteht, dass die Probleme eher im Hinterkopf nagen, während sich bei Eiscreme und Sonnenschein eine wunderbare neue Welt eröffnet, besteht Ercole nur aus Aufdringlichkeit. Seine Existenz verdeutlicht gerade die Unsicherheit, von der Luca seine Protagonisten befreien möchte. Als könne der Film ohne einen Gegenspieler nicht genügen. Als würden die Zuschauer vor zu viel Freiraum und Treibenlassen in der Schönheit fliehen. Ercole und alles, wofür er steht, ist ein Marker, der aufzeigt, warum Pixar wohl nie einen so subtilen, einfachen, in sich ruhenden Film wie Hayao Miyazakis Mein Nachbar Totoro (1988) machen wird.
Ein Hauch von Liebe

Nun erzählt der Film aber, wie gesagt, nicht von Ercole, sondern von zwei Jungen, die ihre wahre Identität hinter einer akzeptablen Oberfläche verstecken. Sobald die beiden sich mit der Fischerstochter und Außenseiterin Giulia anfreunden, reagiert Alberto zunehmend mit Eifersucht, was schließlich in reichlich Trennungsschmerz gipfeln wird. Zwischen Luca und Alberto herrscht ein Grad von Emotionalität, die die Freundschaft zu Giulia bei keinem der beiden kennzeichnet. Es liegt also durchaus nahe, dass wir nicht zuletzt eine Liebesgeschichte miterleben. Wären Luca und Alberto etwas älter, dies wäre ein wunderschöner Coming-of-Age-Film.
Der emanzipatorische Moment dieses großen Themas bleibt aber aus. Es ist nur ein Hauch, der über eine Beziehung weht, die ganz einfach aus ihren Charakteren und den Momenten ihres Zusammenlebens erwächst. Es ist ein Potenzial, das lediglich in den Köpfen der Zuschauer Form annehmen kann. Und in dieser lockeren Unaufdringlichkeit ist Luca eben mehr als ein völlig unnötiger Radfahrer und Buhmann – ein Film, der uns daran erinnern kann, wie bereichernd diese Welt manchmal ist.
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