Lovelace – Kritik
Linda Lovelace kultivierte das Pornoimage und verhalf der Nation zum Schuss.

Noch nie ist aus dem exilierten Pornomilieu ein Film derart an die Oberfläche der Pop- und Hochkultur geklettert wie Deep Throat. Seit seiner Uraufführung 1972 häufen sich die Mythen über seinen Erfolg. Gezeigt in großen Filmtheatern abseits der schmuddeligen Seitenstraßen und rezensiert von der New York Times, gilt Deep Throat als Schwellenfilm zwischen zwei grundverschiedenen kulturellen Gebrauchsdiskursen von bewegten Bildern. Autorenporno, könnte man meinen. Linda Lovelace war der große Star dieses Erfolgsprodukts, eine Eintagsfliege in der Pornokultur, dafür umso richtungsweisender, umso ereignishafter. Rob Epstein und Jeffrey Friedman, die zuletzt mit Howl – das Geheul (Howl, 2010) dem Wirken Allen Ginsbergs und dem ästhetischen Innovationsdrive der Beat Generation nachspürten, ergründen in Lovelace mit Amanda Seyfried in der Titelrolle erneut das subkulturelle Rumoren im restaurationseuphorischen Amerika Mitte des 20. Jahrhunderts.
Linda Lovelace’ Biografie enthält zweierlei: die einander beißenden Spannungsmomente für den Dramaturgen und die psychisch labile Disposition für den Psychologen. Aufgewachsen in einer streng katholischen Familie, ist Linda Boreman das Musterbeispiel für die gegenkulturellen Putschversuche junger Amerikaner und gleichzeitig ein von der Wirklichkeit geformter Diamant für die Erzählvorlieben des Kinos. In ihren Memoiren schlummert die Fantasie vom totalen Ausbruch aus der Enge einer bornierten Normsetzung. Und umso totaler spitzt sich der Eskapismus im Protestverhalten zu: Pornografie als subkultureller Widerstand? 1980 schrieb Linda Boreman ihre Autobiografie Ordeal, das Werk, auf das sich Lovelace unter anderem wesentlich stützt, und es sind eben jene zwiespältigen Streitfragen wie die nach Protest und Unterdrückung oder nach Autonomie und Zwang, die die Filmemacher anhand ihrer Lebensgeschichte ins Zentrum rücken.
Ganz Amerika, so überspitzt es die Inszenierung, masturbiert auf Linda Lovelace’ Sommersprossen. Eine neue Natürlichkeit, eine neue sexuelle Sensation, eine weitreichende Reform in der Kulturtechnik Pornografie. Deep Throat ist ein Erzeugnis nonkonformistischen Kulturschaffens, ein alternatives Gegenmodell sowohl zur doktrinären religiösen Sexualmoral als auch zur dämmrig obszönen Perversität der gängigen Hardcore-Produktionen. Gleichzeitig unterliegt diese Figur, die emanzipierte Weiblichkeit, die die Autorität über das libidinöse Begehren einer ganzen Nation beansprucht, im Privaten einer geradezu antiaufklärerischen Repression männlicher Gewalt und artikuliert damit die bis heute problematische pornografische Organisation geschlechtlicher Machtverhältnisse.

Einem streckenweise lähmenden Anspruch auf biografische Vollständigkeit verfallen, wird Lovelace aber gerade in der methodischen Auseinandersetzung mit dieser Dialektik interessant. Kann ein Kunstwerk Kunstwerk sein, wenn es unter autoritärem Zwang entstand? Kann Deep Throat überhaupt das pornografische Urbedürfnis befriedigen und gleichzeitig zum subkulturellen Vorstoß romantisiert werden, wenn seine Protagonistin dafür brutal prostituiert wurde? Lovelace setzt durchaus Wertigkeiten in beide Richtungen, die in ihrer begrifflichen Brisanz zwar immer durch den biografischen Überzug legitimiert zu sein scheinen, aber die dennoch das Problemfeld innerhalb dieser Fragen aufspannen. So ist Lindas beruflicher Erfolg, sei er auch noch so fremdbestimmt über ihren Körper hinweg, zunächst immer auch ihr persönlicher Erfolg, ihre Emanzipation aus der familiären Kerkerschaft. Dabei wird ihr konservatives Elternhaus als eine derart klaustrophobische Hölle inszeniert, dass der Weg ins Pornogeschäft geradezu als Befreiungsschlag wirkt, obwohl sie dabei doch nur aus einem Zustand der Unfreiheit in einen anderen flüchtet.
Chuck Traynor (Peter Sarsgaard), Lindas Ehemann, ist der brutale Unterdrücker, der seine Frau sogar an wohlhabende Privatpersonen verkauft und die Prämie für sich selbst einbehält, doch niemals ist es die Pornoindustrie selbst, die verteufelt wird. Sie ist immer gleichzeitig eine fragwürdige Institution der weiblichen Repression und die Brutstätte subkulturellen Schaffens, eine Gegenindustrie zur gesetzten moralistischen Praxis der Hochkultur. Deep Throat, so klingt es durch, war und ist wohl bis heute nicht nur der erfolgreichste Pornofilm aller Zeiten, er war ein gesellschaftliches Wachrütteln. Schockiert im ersten Moment und dann doch fasziniert auf den zweiten Blick, ließ sich die Nation mittragen auf einer Welle der Emphase, dass die Pornografie errettet wurde, zwar auf dem Rücken ihrer ikonischen Erlöserin, aber doch immer in einem respektvoll ehrfurchtsvollen Aufblicken auf die ritterliche Heldin Linda Lovelace.
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