Liebe, D-Mark und Tod – Aşk, Mark ve Ölüm – Kritik
VoD: Auf zu neuen Archiven. Nach seinem Film über die türkische Filmindustrie der 1960er und 1970er Jahre erzählt Cem Kaya nun mit einem wahren Schatz von Bildern die Geschichte türkischer Musik in Deutschland – und damit unweigerlich viel mehr als das.

Auch wenn Cem Kaya in seinem wundervollen neuen Dokumentarfilm Liebe, D-Mark und Tod keine Fortschrittsgeschichte erzählt, keine lineare Entwicklung von Segregation und Diskriminierung zur zufrieden postmigrantischen Gesellschaft, scheint dieser Moment dann doch ein cooler Wendepunkt: Der türkisch-deutsche Sänger Muhabbet, Schöpfer des R’n’Besk, erinnert sich an den großen Durchbruch, der nicht nur für viele blonde Teenies in den ersten Reihen seiner Konzerte sorgte, sondern auch für geradezu anarchische Zustände in bundesdeutschen Geschäften. Weil die türkischsprachigen Kids ihre Musik bis dato nur in den eigenen kleinen Läden erwarben, war eine Muhabbet-Autogrammstunde im deutschen Kaufhaus eine völlig neue Erfahrung – dass man die mit persönlicher Widmung versehene CD dann auch noch bezahlen sollte, stieß auf Unverständnis. Schmunzelnd erinnert sich Muhabbet, wie er einige seiner Fans am Ende der Veranstaltung freikaufen musste.
Vergessene Musik, vergessene Orte
Eine Anekdote vom Mainstream-Erfolg eines türkisch-deutschen Acts Anfang der 2000er, die aber auch Bände spricht über die absurde Trennung zweier Welten, die zu diesem Zeitpunkt bereits über vier Jahrzehnte ein Land teilten: Als der deutschen Öffentlichkeit so allmählich schwant, dass man irgendwie wohl doch Einwanderungsgesellschaft ist, ist längst eine florierende Parallelgesellschaft entstanden, von deren musikalischem Ausdruck seit den frühen 1960er Jahren Liebe, D-Mark und Tod erzählt.

Weil sich Deutschland für die Angehörigen dieser Gesellschaft zunächst nur als möglichst steuerbares Element seiner Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik interessierte, florierte das Meiste unter dem Radar der Öffentlichkeit, muss deshalb heute mühsam geborgen werden: Aus dem Reichtum der Bilder von Liebe, D-Mark und Tod spricht die Sorgfalt von zwei Jahren Archivarbeit. Nicht nur Musikvideos und Live-Auftritte haben Kaya und sein Rechercheteam geborgen, auch viele andere Schätze, etwa Aufnahmen vom fast völlig in Vergessenheit geratenen türkischen Basar, der der U-Bahnhof Bülowstraße in Westberliner Zeiten einst gewesen ist. Diese Aufnahmen verwebt der Film weniger virtuos als mit ansteckender Leidenschaft und großem Witz mit Zeitzeugen-Interviews, Ausschnitten aus öffentlich-rechtlichen Reportagen mit ihren manchmal gut gemeinten, aber immer eklig paternalistischen Off-Kommentaren sowie Filmszenen aus deutschen Produktionen wie Helma Sander-Brahms’ Shirins Hochzeit (1975) oder türkischen Filmen wie dem leider kaum bekannten und auch nach einem Song benannten Almanya aci vatan (1979), einer der radikalsten filmischen Bestandsaufnahmen des Gastarbeiter*innen-Lebens in Deutschland.
Deutschland, ich habe dich satt!

Mit diesem Material bewaffnet erzählt Kaya die Geschichte türkischer Musik in Deutschland, und damit unweigerlich von so viel mehr: Liebe, D-Mark und Tod fügt der Geschichte Nachkriegsdeutschland nicht nur ein bislang wenig beachtetes Kapitel hinzu, sondern perspektiviert mit ihm das ganze Buch neu. Dafür geht der Film lose chronologisch vor, von den erniedrigenden Rekrutierungspraktiken nach Abschluss des Anwerbeabkommens mit der Türkei 1961 über den plötzlichen Anwerbestopp 1973 und die krisenhaften 1980er, in denen die deutsche Politik allmählich ein „Ausländerproblem“ erkennt und zum Wahlkampfthema macht, bis in die Nachwendezeit, in der der rassistische Terror erstmals einen Höhepunkt erreicht. Die Begriffe aus dem Titel, der seinerseits ein von der Band Ideal vertontes Gedicht von Aras Ören zitiert, strukturieren den Film grob in drei Kapitel.

Wie schon in seiner Hommage an die türkische Filmindustrie der 1960er und 1970er Jahre, Remake Remix Rip-Off (2014), lässt sich Kaya gern von der schieren Quantität populärer Kultur faszinieren, wenn er einen Sammler stolz seine Tausenden Kassetten präsentieren oder die Künstler*innen selbst sich an die Massen im Publikum und an Massen verkaufter Tonträger erinnern lässt. Das Herz des Films aber sind die historischen Aufnahmen von Tanz, Musik und Leben aus sechs Jahrzehnten Leben in Almanya. Von Anfang an geht es in den Liedern, die die Auswanderung ins Zentrum stellen, um mehr als um Heimweh und persönliche Abschiede; jedes Mal, wenn die Heimat in der Fremde besungen wird, geraten die Verhältnisse in der Fremde in die Zeilen. Da ist die Rede von gebrochenen Versprechen, zerplatzten Träumen, der großen Kluft zwischen den Wünschen nach einem guten Leben oder dem Versprechen eines Abenteuers und der Wirklichkeit aus Ausbeutung und Ausgrenzung. „Deutschland, alles an dir ist eine Lüge, du hast mir mein Leben genommen, ich habe dich satt“, intoniert die im Film als „Diva Europas“ vorgestellte Cavidan Ünal das Lied „Yalan Almanya“ von Gülden Karaböcek noch einmal für diesen Film. „Ihr habt nie an mich geglaubt / Ich war immer, was ihr braucht“, rhymt heute die kurdische Rapperin Ebow in „K4L“.
Songs und Streiks

Imran Ayata, einer der beiden Herausgeber der „Songs of Gastarbeiter“-Reihe, die Kaya unter anderem zu dem Film inspirierte, erkennt denn auch im Rassismus das verbindende Element zwischen den historischen Perioden und den disparaten Genres. Er zwinge überhaupt erst dazu, widerständig zu werden, auf das eigene Existenz- und Bleiberecht zu bestehen, erst recht vorkommen zu wollen in der Welt, eine Bühne zu betreten. Tatsächlich ziehen sich Klage über und Wut auf rassistische Exklusion und die Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft durch alle hier versammelten Phasen türkischer Musik in Deutschland, von den frühen Protestliedern von Aşık Metin Türköz oder den Volksliedern der „Kölner Nachtigall“ Yüksel Özkasap, die vor allem in der Türkei Rekordverkaufszahlen verbuchte, über Exil-Rocker Cem Karaca, der es mit seinen Kanaken zumindest schon mal zu Biolek schaffte, bis zum Disco-Folk-Duo Derdiyoklar, dessen Popularität in den 1980ern mit der von Michael Jackson verglichen wird, und schließlich dem Hip-Hop einer neuen Generation, die sich nicht zuletzt zum Schutz gegen den eskalierenden Neonazi-Terror zu Straßengangs zusammenschlossen.

Diese politische Haltung macht auch Kayas Film selbst aus, der mit seiner klugen Montage eben nicht nur türkisches Leben, sondern auch deutsche Verhältnisse in den Blick nimmt, auch die Alltäglichkeit und Kontinuität rassistischer Anschläge nicht erst seit den 1990er Jahren. Er betont diese gewaltvolle Rahmung, lässt sie aber doch nicht in die Bildmitte, die ja der Musik gehört. Diese ist Reaktion auf unzumutbare Zustände und zugleich Ermächtigung und Quell des Lebens, man klagt eher an, als sich zu beklagen, vor allem tanzt man, singt man, rast man die Elektro-Bağlama rauf und runter, lacht man – und kämpft man. Von einem kritisch gemeinten, aber übel stereotypisierenden Rudi-Carrell-Song blendet der Film direkt über in eindrückliche Aufnahmen aus den wilden Streiks der 1970er Jahre, als es vor allem migrantische Arbeiter*innen waren, die ohne gewerkschaftliche Unterstützung wichtige Siege errangen.

Von Anfang an macht Liebe, D-Mark und Tod klar, dass die Kultur, die er in den Blick nimmt, keine bereits bestehende ethnische Identität, sondern eine soziale Erfahrung ausdrückt, und damit auch wie absurd die Vorstellung einer homogenen türkischen Kultur ist, die rückstandslos von der Heimat in die Fremde transportiert wird. „Ich habe von meinen eigenen Wünschen gesungen“, erzählt Özkasap im Rückblick, „aber damit auch von denen aller anderen, denn das Schicksal hat uns zusammengeführt.“ Zu welchen musikalischen Herausforderungen eine Schicksalsgemeinschaft als Zielgruppe führen kann, davon wissen nicht zuletzt diejenigen zu erzählen, die auf den wie Popkonzerte beliebten türkischen Hochzeiten spielten und deshalb Lieder aus allen 81 türkischen Provinzen im Repertoire haben mussten, dazu 20–30 kurdische Lieder und ein paar auf Arabisch, damit’s in jedem Fall genug Trinkgeld gab.
Plädoyer für neue Geschichten

Manche Wendepunkte sind also bei näherem Hinsehen gar keine: Muhabbet wusste auf dem Höhepunkt seines Erfolgs in den 2000ern laut eigener Aussage schlicht nichts von diesen seinen Vorgänger*innen, hielt sich für den Ersten und Einzigen. Dabei hätte es ihm sehr geholfen, erzählt er, hätte er gewusst, dass bereits so viele aus der Türkei nach Deutschland Ausgewanderte so erfolgreich Musik gemacht haben. Liebe, D-Mark und Tod ist nicht nur ein faszinierendes Stück Musikgeschichte, es ist auch ein Plädoyer für eine postmigrantische und transnationale Geschichtsschreibung, die Migration nicht bloß als vom ganzen Rest trennbares soziales Phänomen studiert, sondern als Perspektive, von der aus Geschichte neu erzählt werden kann. Die bessere Zukunft steckt immer schon in den Archiven.
Der Film steht bis 24.01.2024 in der Arte-Mediathek.
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