Los Hongos – Kritik
Cologne Conference 2014: In seinem zweiten Film porträtiert Oscar Ruiz Navia ein Milieu, das er kennt und das er liebt. Los Hongos ist deshalb frei von Ambivalenzen und fühlt sich doch wie aufrichtiges Kino an.

Zwei Jugendliche stehen im Zentrum von Oscar Ruiz Navias zweitem Film nach Crab Trap (El vuelco del cangrejo, 2010), der sich erneut durch eine Reduktion narrativer Kausalitäten zugunsten eines eher impressionistischen Ereignisflusses auszeichnet. Jovan Alexis (Jovan Alexis Marquínez Angulo), genannt Ras, fährt mit seinem Skateboard durch die Straßen der kolumbianischen Großstadt Cali, die Kamera begleitet seine Reise von links nach rechts durchs Bild. Calvin (Calvin Buenaventura) fährt Mountainbike, auch er bekommt eine solche Sequenz geschenkt, nur dass er von rechts nach links fährt. Ras und Calvin prallen nicht aufeinander, aber sie ziehen sich an, das kann man sagen. Das Herz von Los Hongos ist eine jugendliche Freundschaft, die selbstverständlich und deshalb bedingungslos erscheint. Auch wenn das Leben der beiden vor allem in der Graffiti-Subkultur verankert ist, betont Ruiz Navia hier weniger hippe Kumpels-Gesten als liebevolle Intimität, ohne die romantisch-erotischen Untertöne jemals auszubuchstabieren.
Filmische Konstruktion einer Community

Der Kolumbianer sucht das Extravagante: wie Calvin mit einem kleinen Mountainbike zwischen hupenden Autos durch einen Tunnel fährt und Ras auf dem Skateboard mitschleift; wie ein Bodenakrobat kunstvolle Sprünge durch ein Seminarzimmer unternimmt, in dem Kunststudenten Bewegungsmalen üben sollen. Und er sucht das Verständige, das Lebensbejahende: wie Calvin seiner Oma liebevoll den Kopf massiert, weil der so juckt. Diese Poetik ist eine radikal affirmative, kennt Abgründe nur als Widrigkeiten, mit denen die Figuren umzugehen haben: die Chefs auf der Arbeit, die Politik im Fernsehen, die Cops, die keine Sprayer mögen. Ras und Calvin sind – wie auch die meisten Nebenfiguren – keine in sich widersprüchlichen Subjekte, sondern Individuen zwischen Selbst- und Fremdbestimmung. Der Kampf tobt nicht in ihnen, sie führen vielmehr einen Kampf gegen die Umstände, in denen sie leben müssen. Selbst Calvins für große Gefühle prädestinierte Teenager-Beziehung führt nicht zu Rissen, sondern zum Weitermachen. Ein Kuss auf die Wange, eine enttäuschende Nacht, ein kleiner Betrug. Das Ach-ja-diese-Frauen löst sich für Calvin wie für den Film rasch in einem Ach-ja-das-Leben auf.

Man kann Los Hongos das alles vorwerfen, diese ausgestellte Sympathie, dieses offensichtliche Verzichten auf Ambivalenzen, die klare Positionierung der Jugendlichen von Cali gegen den Rest der Welt. Man muss es nicht, weil Ruiz Navia gar nicht verhehlt, dass er hier mit Leidenschaft seine Heimat porträtiert, dass er ihren Bewohnern nichts Böses will. Aber er stilisiert sie nicht zu Helden; er interessiert sich für seine Figuren, und vor allem interessiert ihn, wofür sich seine Figuren interessieren. Los Hongos wechselt gekonnt zwischen quasi-dokumentarischem Stadtporträt und dessen affektiver Modulierung – zwischen Wie-zufällig-dabei-gewesen und Schaut-doch-mal-her –, ist dabei zwar nicht subtil, aber auch nicht manipulativ. Er romantisiert keine ursprüngliche Gemeinschaft, sondern konstruiert eine Community, die zwar nicht frei ist von internen Konflikten – zwischen Ras und seiner religiösen Mutter etwa, die ihn in die Kirche treiben will –, die durch diese Differenzen aber nicht auseinanderbricht. Sofia Oggioni Hattys Kamera ist dabei eine von mehreren vermittelnden Instanzen, lässt Ras und Calvin allen Raum, den sie wollen, schenkt aber auch Ras’ Mutter und Calvins Vater Empathie – und jeweils beeindruckende Gesangsauftritte.
Die Jugend gegen den Staat

Didaktisch mutet das immer dann an, wenn deutlich wird, wer nicht zu dieser Community gehört: die Politik – ständiger Begleiter im Off –, der Prediger in der Kirche, aber auch die Kollegen von Ras auf dem Bau, die den Jugendlichen mobben. Ruiz Navias Vorstellung der (oder zumindest dieser) Gesellschaft unterteilt sich in die urbane Protestkultur der Jugendlichen, eine desinteressierte und doch wohlmeinende ältere Generation und die feindseligen Kräfte von Gewalt und Korruption. Spätestens mit einer Parallelmontage, in der einerseits ein Lokalpolitiker Stimmen auf dem Gottesdienst einfängt, während andererseits die beiden Protagonisten von der Polizei aufgemischt und verschleppt werden, will uns Los Hongos sagen, dass fern vom Wahlkampf und von den Debatten um das Verhältnis der Institutionen längst ein Krieg tobt zwischen dem Staatsapparat und der Jugend; zwischen einer progressiven, intelligenten, kreativen Zukunft und der quasi-faschistischen Reaktion.
Hoffnungsvolle Emphase

Als politische Diagnose mag das platt und romantisierend sein, aber Ruiz Navias Vision von Kino hat trotz seines dokumentarischen Stils eben wenig zu tun mit einer Aufzeichnung von Realität. Es sucht nicht nach einer möglichst subtilen Darstellung von kleinen Hoffnungsschimmern im schlechten Ganzen, sondern nach der größtmöglichen Dichte hoffnungsvoller Momente, der Schlechtigkeit des Ganzen zum Trotz. Calvin ist nicht hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, sich um seine kranke Oma zu kümmern, eigentlich sprayen zu wollen und sich dabei noch um seine Freundin zu kümmern; er will das alles und noch viel mehr. Und seine Oma ist keine Grantlerin, die das nicht zu schätzen weiß und über jugendliche Umtriebe den Kopf schüttelt, vielmehr zeigt sie sich zutiefst dankbar und verständnisvoll.
Einmal sehen sich Ras und Calvin ein YouTube-Video aus dem arabischen Frühling an, das sie tief beeindruckt. Der Widerstand gegen das Militär, die Frauen mit Kopftuch und Megafon. „Wir sollten unser Wandgemälde mit verhüllten Frauen anfangen, die ein Megafon tragen“, sagt der eine. „Ja, gute Idee, das wär cool, die ganze Sache mit dem Feminismus und so“, sagt der andere. Und er meint das auf eine ganz rührende Weise ernst.
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