Lola – Kritik
England 1941: Zwei geniale Schwestern können Radiowellen aus der Zukunft empfangen und wollen damit den Lauf der Geschichte ändern. Andrew Legges Mockumentary Lola gleicht der Fantasie eines tagträumenden Teenagers im Geschichtsunterricht.

Auf der Leinwand erscheint ein körniges Schwarzweißbild Londons. In der Ferne ragt die St Paul’s Cathedral aus einer Trümmerlandschaft auf, umschlungen von dichtem Rauch. Auf dem Gerippe eines hohen Altstadtbaus hissen zwei Soldaten im Vordergrund eine Flagge. Einige Sekunden lang weht die Swastika über den Ruinen der englischen Hauptstadt – eine Umkehrung der berühmten Hissung der sowjetischen Flagge auf dem Reichstag – bevor das Bild schwarz wird. Lola, der Debütfilm von Andrew Legge, stellt wie jeder Zeitreisefilm die Frage „Was wäre, wenn?“ Was wäre, wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, mit den Erkenntnissen aus der Zukunft Einfluss auf die Vergangenheit zu nehmen? Im Hinblick auf die Nazis, und wie man ihre Taten hätte verhindern können, spukt diese Erlösungsfantasie in den Köpfen vieler Menschen. Doch wie dieses düstere Bild schon andeutet, fragt Lola nach den Konsequenzen solcher Eingriffe.
Radiowellen aus der Zukunft

Grimmig sitzen Martha (Stefanie Martini) und Thom (Emma Appleton) an ihren zugeteilten Plätzen, als der stramme Admiral Cobcroft (Aaron Monaghan) das königliche Verdienstkreuz entgegennimmt. Es ist das Jahr 1941, und das englische Militär feiert eine bahnbrechende Glückssträhne gegen die Nazis. Über 900 Luftangriffe vereitelt, die gesamte deutsche U-Boot-Flotte auf dem Meeresboden. Nur einige wenige wissen, ja auch Cobcroft weiß, dass die Siege nicht ihm, sondern den beiden Schwestern und ihrer Erfindung zu verdanken ist: LOLA, einem quantenmechanischen Empfänger, der Radiowellen aus der Zukunft einfangen kann. Frustriert schnappt sich Thom, die selbstbewusste von den beiden, das Mikrofon und beginnt, am Klavier ein Lied zum Besten zu geben, das es eigentlich noch nicht geben sollte: You Really Got Me von The Kinks. Martha, die emotionale, steigt kurz darauf ein. Schnell verbreitet sich der Refrain über die Radiowellen von ’41 und wird absurderweise zum Slogan Englands gegen das Hitler-Regime.

Momente wie diese sind zugleich die altvertrautesten und gelungensten Momente in Lola. Da sind viele bildliche Parallelen – wie zu Marty McFly in Zurück in die Zukunft (Back to the Future, 1985), der in einer ikonischen Szene als Zeitreisender auf dem Highschool-Ball seines Vaters die E-Gitarre schnappt und buchstäblich Zukunftsmusik spielt. Auch hier ist sich der Held nicht des Schmetterlings-Effektes bewusst, den jede Entscheidung auf den Verlauf der Geschichte hat. Konzentriert sich Robert Zemeckis’ Klassiker aber auf die Kernfamilie, so erweitert Lola den Maßstab. Martha und Thom setzen sich zum Ziel, den Verlauf der Weltgeschichte zu verändern.

Lola ist eine Mockumentary und behauptet, aus Heimvideomaterial der beiden Wissenschaftlerinnen zu bestehen. Auf handwerklicher Ebene findet Legge mit Kamerafrau Oona Menges und Cutter Colin Campbell dafür einen erstaunlichen Ansatz. Zuerst sammelten sie über Monate historisches Filmmaterial. Die fiktionalen Anteile des Films drehten sie auf analogem 16-mm-Film mit Vintage-Linsen und verbanden sie durch visuelle Effekte, Neuvertonung und Zwischenschnitte mit dem Fremdmaterial. Dass die Nähte zwischen historischen und fiktionalen Anteilen sich nicht verbergen lassen, ist ein Glücksgriff. Legge und Menges können – und wollen wohl auch nicht – ihre Prägungen durch das 21. Jahrhundert verbergen. Die etwas zu intime Kameraführung, gepaart mit dem asynchronen, assoziativen Schnitt, erzeugt mal die kühle Essayistik von Chris Markers Am Rande des Rollfelds (La Jetee, 1962), mal eine ätherische Poetik im Stil von Terrence Malick. Diese Verbindung von Retro-Ästhetik mit modernem Filmvokabular entrückt den Film der Realität, gibt ihm beinahe eine postmoderne Sensibilität. Als wäre Lola die Fantasie eines tagträumenden Teenagers im Geschichtsunterricht.
Rigide Handlungskonstrukte

Doch das Drehbuch von Andrew Legge und Angeli Macfarlane steht auf einer ungemütlichen Kippe zwischen augenzwinkernder Überspitzung und ernstem Realismus. Solange sie sich an das ihnen vertraute popkulturelle Vorwissen halten, injizieren sie der Geschichte eine große Spielfreude. Als Martha und Thom zum Beispiel einen strategischen Fehler begehen, empfangen sie aus der Zukunft plötzlich nicht mehr die Musik von David Bowie, sondern die einer faschistischen Bowie-Karikatur, die mit Glam-Brille nationalistische Propaganda-Songs von sich gibt. Wenn Legge und Macfarlane aber das Szenario auf realistischer Ebene durchexerzieren, funktioniert das, indem sie entweder komplexe politische Sachverhalte übersimplifizieren oder zum Schnittmesser greifen, bevor sie offensichtliche Logikfragen beantworten müssen.

Es hilft auch nicht, dass der Regisseur manche Diskurse nur als Lippenbekenntnis einbindet. Lola soll sich im Blick auf die beiden weiblichen Genies auch mit institutionellem Sexismus befassen. Das Thema wird den beiden aber eher aufgestülpt; sie kommunizieren oft mehr in Slogans, als dass sie wirklich aus sich selbst heraus sprechen dürften. Dadurch bleiben sie narrative Konzepte und können von den kompetenten Schauspielerinnen nie komplett zum Leben erweckt werden. Martha und Thom sind immer wieder mal impulsgesteuert, eifersüchtig, fragil, irrational – und bedienen dadurch letztlich genau die misogynen Stereotype, denen sie eigentlich entgegengestellt werden. Das liegt aber weniger an der politischen Einstellung des Regisseurs als an der rigiden Konstruktion des Drehbuchs. Irgendwie muss die vorgesehene Handlung schließlich passieren.
Fühlen, nicht denken

Und doch beginnt Lola in manchen Momenten zu leuchten. Martha betrachtet in einer Szene stolz Fotos, die die Maschine ihr ausgespuckt hat: Die 68er-Proteste in Washington, die Studentenbewegung, ein Konzert von Bob Dylan. Den pessimistischen Blick in die Vergangenheit wendet sie nun hoffnungsvoll auf das, was die Zukunft an Gutem verheißt. Darauf, welche Wirkmacht die Kultur in sich tragen kann. In diesen Momenten handelt der Film von Reue und Sehnsucht. Emotionen, die sich zwischen den Zeilen erfühlen lassen – zwischen den telegrafierten Botschaften, an die der Film uns denken lassen möchte.
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